Sektorenübergreifende Arzneimittelversorgung ist ein Schlagwort, das seit Jahren die Runde macht. Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist die Situation hingegen weiter desaströs.

Auch aus Sicht der Barmer, die die Versorgung von Polypharmazie-Patient:innen im Übergang von der Praxis zur Klinik und umgekehrt nun mit neuen Daten unterfüttert hat, ist die Lage alarmierend. Hierzu hat die Barmer fast 2.900 Versicherte über 65 Jahre befragt, die 2017 in einer Klinik behandelt worden sind und die sich wie folgt geäußert haben:

  • Rund ein Drittel der Versicherten gab an, von ihrer Haus:ärztin keine Unterlagen in die Klinik mitbekommen zu haben.
  • Nur 29 % der Betroffenen konnten in der Klinik einen bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP) vorlegen, der einen QR-Code zum Einlesen der Medikation enthält.
  • Rund 17 % verfügten über gar keine Aufstellung ihrer Medikamente. Bei weiteren 53 % existierte nur ein Medikationsplan.

Als besonderes Problem stellte sich heraus, dass jeder dritte Medikationsplan dann unvollständig war, wenn die Patient:in zuvor von mehreren Ärzt:innen behandelt wurde. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass etwa 40 % der über 80-Jährigen, die stationär eingewiesen wurden, zuvor 5 bis 9 Wirkstoffe gleichzeitig verschrieben bekommen haben. Wer nun aber geglaubt hat, die Probleme liegen primär im ambulanten Bereich, täuscht sich. Der Informationsbruch findet im Übergang zum ambulanten Sektor genauso statt. So haben 41,5 % der Klinikpatient:innen einen oder mehr neue Wirkstoffe erhalten. Doch nur 35 % bekamen bei ihrer Entlassung einen neuen Medikationsplan für sich und ihre Haus:ärztin mit nach Hause. So stellt die Barmer ernüchtert fest, dass eine sektorenübergreifende Versorgung "de facto nicht stattfindet". Die Kliniken beklagen, dass im Krankenhaus derzeit der Medikationsplan auf der elektronischen Gesundheitskarte weder ausgelesen noch gepflegt werden kann. Ist das nicht alles längst bekannt? Müssten wir hier nicht schon viel weiter sein? Und brauchen wir wirklich noch mehr Projekte wie das neue Barmer-Projekt "Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit", in dem die strukturellen Defizite der Arzneiversorgung von Polypharmazie-Patient:innen einmal mehr wissenschaftlich durchleuchtet werden sollen?

Hoffen auf die ePA

Nein, brauchen wir nicht, weil wir wissen, dass wir gerade hier bei der Digitalisierung – sprich der elektronischen Erfassung und dem Austausch von Arzneidaten – zulegen müssen. Und wenn schon ein neues Projekt, hätte man gleich nicht nur die Sektor-Mauern, sondern bereits vorab die Mauern der Barmer hin zu den anderen 4 großen Kassen (AOK, TK, DAK, KKH) durchstoßen sollen. Ein sektor- und kassenübergreifendes Projekt – das wäre innovativ gewesen. Bleibt jetzt also im Hinblick auf eine bessere sektorübergreifende Arzneiversorgung auf kurze Sicht erst einmal nur die Hoffnung auf die elektronische Patientenakte (ePA). Aber auch das wird kein Selbstläufer, zumal auch hier erst alle Datenschutz-Mauern durchbrochen werden müssen...


...fürchtet Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (1) Seite 28