Wir Hausärzt:innen haben die Chance, viele Krankheiten frühzeitig zu diagnostizieren. Seien Sie deshalb z. B. großzügig mit der Messung der Lungenfunktion. Enthalten Sie sich die vielen Erfolgserlebnisse nicht vor! Ist die Patient:in erst bei der Pneumolog:in gelandet, ist in vielen Fällen viel Zeit verloren, in der die Krankheit sich ungehindert hat fortentwickeln können.

Für uns Hausärzt:innen besteht das große Problem, unsere Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Eine routinemäßige Erhebung der Lungenfunktion ist weder durchführbar noch wird sie honoriert. Es gilt folgerichtig, die Indikation gezielt zu stellen, d. h. nicht zu häufig – aber mehr noch – auch nicht zu selten.

Die Deutsche Atemwegsliga hat die Indikationen für eine Lungenfunktionsuntersuchung aufgelistet [1]. In dieser Liste fehlen aber einige typische Indikationen, wie sie in der Hausarztpraxis zu finden sind. Im Folgenden sollen einige typische Indikationen beschrieben werden, wie wir sie täglich in der Praxis präsentiert bekommen (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1: Modifizierte und erweiterte Liste der Indikationen zur Lungenfunktionsuntersuchung [1, 2]
  1. Diagnostik von Atemwegserkrankungen (z. B. COPD, Asthma)
  2. Dyspnoe, Husten und/oder Auswurf
  3. Auffälliger Auskultationsbefund (s. u.)
  4. Infektneigung
  5. Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe (z. B. Raucher:innen, Allergiker:innen, Berufsexposition)
  6. Screening (Gesundheitsuntersuchung)
  7. Früherkennung von Schäden durch inhalative Noxen
  8. Verdacht auf Erkrankungen von Atemwegen, Lunge oder Herz sowie muskuloskelettale Erkrankungen mit Auswirkungen auf die Atmung
  9. Verdacht auf Erkrankungen der Atempumpe (Atemzentrum, zugehörige Nerven und Muskeln)
  10. Verlaufsbeobachtung bronchopulmonaler Erkrankungen
  11. Arbeitsmedizinische Überwachung und Vorsorge (z. B. bei Exposition gegenüber Allergenen, anorganischen Stäuben, Rauchbelastung usw.)
  12. Präoperative Diagnostik


Wann ist es Asthma oder COPD?

Bei welchen Auffälligkeiten sollten Sie an Asthma oder COPD denken und die Indikation für eine Lungenfunktionsuntersuchung stellen?

Dyspnoe

  • bei Asthma: in Ruhe anamnestisch nach Exposition, seltener unter Belastung
  • bei COPD: bei Belastung, in Ruhe erst im Spätstadium

Husten

  • bei Asthma: nachts, nach Exposition oder bei Belastung
  • bei COPD: besonders morgens, dagegen selten nachts oder bei Belastung

Auswurf

  • bei Asthma: selten, wenn nach Exposition, wenig, zäh, weiß bis gelb
  • bei COPD: morgens (Bronchialtoilette), selten bei Belastung

Wir wissen ja, dass diese typischen Beschwerden Luftnot, Husten, Auswurf selten vom Patienten genannt werden. Werden sie wider Erwarten spontan geäußert und sind nicht Zeichen eines akuten Infektes, sollten sie immer eine Indikation für eine Lungenfunktionsuntersuchung darstellen.

Zur "Frühdiagnose" sollte unsere Aufmerksamkeit nach weiteren Indikationen fahnden.

  • Auffälliger Perkussions- und/oder Auskultationsbefund
  • Hyper- und hyposonorer Klopfschall/eingeschränkte Atembreite/tief stehendes Zwerchfell
  • Inspiratorischer Stridor (Trachea?/Struma mit Kompression der Trachea?)
  • Allgemein oder besonders endexspiratorisches Giemen. Giemen spricht "immer" für Allergie oder Rauchen!
  • Seitendifferentes Atemgeräusch (Fremdkörper (Cave: schnelle Reaktion!), Tumor, selten Asthma oder COPD)
  • Leises bronchiales Atemgeräusch
  • Dieses so typische Atemgeräusch findet man bei fortgeschrittener COPD (Emphysem), Zusatzbefund hypersonorer Klopfschall, tief stehendes Zwerchfell, reduzierte Atembreite

Knistern wie das Lösen eines Klettverschlusses (Fibrose?)

Wir konstatieren immer, dass Patient:innen mit einer chronischen Schädigung der Schleimhaut im Vergleich zu Atemwegsgesunden häufiger Infektionen erleiden. Wir versäumen aber die Chance, im Umkehrschluss bei Patient:innen mit Infektauffälligkeit an eine chronische Atemwegserkrankung zu denken und diese frühzeitig zu diagnostizieren. Denken Sie in diesem Moment daran, dass die Diagnose COPD meist erst bei der ersten Exazerbation, d. h. im fortgeschrittenen Stadium gestellt wird. Auffälligkeiten sind uns hier zu häufig entgangen.

Protrahierter Infektverlauf

Bei einem Atemwegsgesunden endet eine Virusgrippe in der Regel nach zwei Wochen. Bei vorgeschädigter Schleimhaut folgt dann der Übergang in eine sekundär bakterielle Bronchitis.

Gehäufte Infekte der Atemwege

Der Patient mit einer chronischen Atemwegserkrankung scheint zwar gleich häufig einen Virusinfekt, aber bis zu 6-mal häufiger einen bakteriellen Atemwegsinfekt zu erleiden [4]. Bei einem Patienten, der mehr als einmal pro Jahr einen bakteriellen Atemwegsinfekt erleidet, sollte der Verdacht auf eine chronische Atemwegserkrankung bestehen, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe (Raucher, Allergiker, Exposition am Arbeitsplatz)

Bei 30 % der Patient:innen mit einer allergischen Rhinokonjunktivitis erfolgt der berühmte Etagenwechsel, d. h. der Übergang in ein allergisches Asthma. Bei einer eigenen Überprüfung der "Heuschnupfenpatienten" zeigten fast 60 % eine obstruktive Ventilationsstörung, litten folgerichtig zusätzlich unter einem allergischen Asthma.

Indikation für den Bronchospasmolysetest

Asthma oder COPD?

Beim Asthma handelt es sich um eine "variable" Obstruktion, bei der COPD um eine "starre", progrediente Obstruktion. Der Bronchospasmolysetest ist somit die wichtigste Unterscheidungsmöglichkeit (Abb.1). Bleibt dieser trotz Verdacht auf Asthma negativ, kann der protrahierte Test vielleicht noch eine scheinbar fixierte Obstruktion lösen und den Verdacht bestätigen.

Beurteilung der Entzündungsintensität bei Asthma

Ein großes Δ-FEV1 spricht für eine intensive, ein kleines bzw. fehlendes Δ-FEV1 für eine schwache bis erfolgreich unterdrückte Schleimhautentzündung (Abb.2).

Hyperreaktives Bronchialsystem

Nach einem Infekt der Atemwege, meistens einem Virusinfekt, klagen Patient:innen oft über einen anhaltenden Hustenreiz. Typisch ist dessen Auftreten nach körperlicher Anstrengung oder unspezifischen Gerüchen, was an Asthma erinnern kann. In der Tat entwickeln einige dieser Patient:innen im weiteren Verlauf ein Asthma, was wir mit einer vorübergehenden Therapie mit einem inhalierbaren Corticoid (ICS), alternativ mit kurzzeitiger oraler Kortisontherapie verhindern können. Eine Ausnahme ist die Ausatemschleife beim Patienten mit einem hyperreaktiven Bronchialsystem. Ein sägezahnartig verlaufendes Kurvenende bei der Exspiration ist kein Hinweis auf fehlerhafte Mitarbeit, sondern Ausdruck eines krankheitsbedingten Hustenreizes (meist im Anschluss an einen viralen Atemwegsinfekt) (Abb. 3). Nach Inhalation eines Beta-Agonisten im Bronchospasmolysetest verschwindet dieses Phänomen durch kurzzeitige Blockade der asthmatischen Reaktion und "beweist" das hyperreaktive Bronchialsystem.

Husten und "gelber" Auswurf werden im Frühjahr oft als Infekt fehlinterpretiert. Ist der Patient Allergiker, könnte eine Lungenfunktion mit Änderung im Bronchospasmolysetest als Hinweis auf ein periodisches oder perenniales Asthma gelten (Abb. 4). 40 % aller Menschen, die regelmäßig husten, leiden unter Asthma!

Für den Autor ist eine Lungenfunktionsuntersuchung ohne Bronchospasmolysetest eine unvollständige Untersuchung! Wer den Test routinemäßig bei jeder Lungenfunktionsuntersuchung durchführt, wird sich des Öfteren wundern müssen. Bei offensichtlich völlig normalem Kurvenverlauf und normalen Lungenfunktionsparametern erfolgt im Bronchospasmolysetest unerwartet eine Reaktion (Abb. 4). Diese gilt es dann im Zusammenhang mit der Klinik weiter abzuklären.

Fazit: Eine großzügige Indikation zur Lungenfunktion und auch Bronchospasmolysetest können öfter als vermutet eine Ventilationsstörung aufdecken und zur Frühdiagnose von chronischen Atemwegserkrankungen führen. Sie werden Erfolgserlebnisse ernten und Ihre Patient:innen werden es Ihnen danken.


Wichtig für die Sprechstunde
  • Berichtet eine Patient:in spontan über Luftnot, Husten, Auswurf, ist eine Lungenfunktionsuntersuchung indiziert.
  • Bei Patient:innen mit häufigen Atemwegsinfekten sollte man an eine chronische Atemwegserkrankung denken.


Literatur:
1. Criée et al. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin zur Spirometrie http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1391345 Pneumologie 2015; 69: 147–164
2. Hausen, Th. Atemwegserkrankungen Asthma – Chronische Bronchitis – Emphysem Ullstein Mosby 1993
3. Hausen, Th. Pneumologie für die Praxis / Akute und chronische Atemwegserkrankungen mit Besonderheiten im fortschreitenden Alter Elsevier 2017
4. Hausen, Th. Häufigkeit banaler und bakterieller respiratorischer Infekte
MMW 132 (1990) Nr.45, 711-714


Autor

© copyright
Dr. med. Thomas Hausen

Praxis für Allgemeinmedizin
45239 Essen
Interessenkonflikte: Der Autor hat Honorare für Beratung und Vorträge von Aerocrine, Bayer, Berlin-Chemie und Novartis erhalten.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (9) Seite 36-39