Wer an COVID-19 erkrankt, hat in den ersten zwölf Monaten nach der akuten Krankheitsphase ein erhöhtes Risiko, einen Diabetes oder eine Verschlechterung des Blutzuckerstoffwechsels zu entwickeln. Dies ergab eine Kohortenstudie in den USA.

Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass bei Patient:innen mit COVID-19 nach der akuten Phase der SARS-CoV-2-Infektion ein breites Spektrum postakuter Folgeerscheinungen auftreten kann. Dazu gehört auch Diabetes.
In einer Kohortenstudie [1] untersuchten Yan Xie vom Zentrum für Epidemiologie und Biostatistik der Saint Louis University und Ziyad Al-Aly vom Department of Veterans Affairs nun das postakute Risiko für die Entwicklung von Diabetes und das Ausmaß der postakuten Diabetesneuerkrankungen bei 181.280 US-Veteranen, welche die ersten 30 Tage einer SARS-CoV-2-Infektion zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2021 überlebt hatten.
Als Kontrollgruppen dienten eine zeitgenössische Kohorte mit 4.118.441 Veteranen aus dem Jahr 2019 und eine historische Kohorte mit 4.286.911 Veteranen aus dem Jahr 2017. Beide Kontrollgruppen bestanden aus Personen, die sich nicht mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Die Teilnehmeraller drei Kohorten litten vor Studienbeginn nicht an Diabetes. Die Beobachtungsdauer betrug median 352 Tage (Interquartile Range [IQR]: 245–407).

Höheres Diabetesrisiko, mehr Diabetesdiagnosen

In der postakuten Phase zeigte sich bei den COVID-19-Patienten:innen im Vergleich zur zeitgenössischen Kontrollgruppe ein um 40 % erhöhtes Risiko für eine Diabeteserkrankung (Hazard Ratio [HR]: 1,40; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 1,36–1,44]). Zudem wurden in der Untersuchungskohorte innerhalb von zwölf Monaten pro 1.000 Personen 13,46 (95 %-KI: 12,11–14,84) Diabetesdiagnosen mehr gestellt als in der zeitgenössischen Kontrollgruppe.
Des Weiteren stieg bei den mit SARS-CoV-2 infizierten Personen das Risiko für die Einnahme von Antidiabetika (HR: 1,85; 95%-KI: 1,78–1,92), und im Vergleich zur zeitgenössischen Kontrollgruppe erhielten pro 1.000 Personen zusätzlich 12,35 Personen Antihyperglykämika (95%-KI: 11,36–13,38).
Das Diabetesrisiko und die Inzidenz der postakuten Diabeteserkrankungen nahmen mit dem Schweregrad der COVID-19-Akutphase zu (nicht hospitalisiert, hospitalisiert, Intensivstation). Dabei zeigte sich, dass auch ein milder Krankheitsverlauf – ohne Hospitalisierung – bereits mit einer um 8,28 erhöhten Anzahl an Diabeteserkrankungen pro 1.000 Personen verbunden war.
In weiteren Subgruppenanalysen war COVID-19 über alle Altersstufen und Body-Mass-Index(BMI)-Kategorien hinweg mit einem erhöhten Diabetesrisiko und erhöhten Fallzahlen verbunden. Das Diabetesrisiko und die Anzahl der zusätzlichen Diabetesdiagnosen pro 1.000 Personen nahmen stufenweise mit dem Alter, dem ursprünglichen Diabetesrisiko und dem BMI zu. Alle Ergebnisse waren konsistent, auch im Vergleich zur historischen Kontrollgruppe.
Als Limitationen der Studie erachten die Studienautoren, dass die Kohorten vorwiegend aus älteren weißen Männern bestanden und die Ergebnisse deshalb möglicherweise nicht verallgemeinerbar seien. Auch könnten sich in den Kontrollgruppen Personen befunden haben, deren SARS-CoV-2-Infektion unerkannt geblieben sei, und es sei nicht auszuschließen, dass nicht diagnostizierte Diabeteserkrankungen erst bei Untersuchungen im Zusammenhang mit COVID-19 entdeckt worden seien.

Zusammenhänge zwischen COVID-19 und Diabetes

In einem Kommentar regen zwei Wissenschaftler von der Emory University in Atlanta (USA) an, die Zusammenhänge zwischen COVID-19 und Diabetes in mechanistischen Studien zu erforschen [2]. Für eine der interessantesten Hypothesen von Xie und Al-Aly halten sie, dass SARS-CoV-2 die Bauchspeicheldrüse infizieren, sich dort vermehren und dadurch exokrine und endokrine Zellen schädigen könnte. Als weitere untersuchungswürdige Mechanismen erachten die Kommentatorendurch COVID-19 ausgelöste autonome Dysfunktionen, Immunreaktionen, eine induzierte Autoimmunität und niedriggradige Entzündungen. Abschließend weisen sie darauf hin, dass die Studienergebnisse mit bedeutsamen Implikationen für den klinischen Alltag verbunden sein könnten. Erwiese sich COVID-19 in der postakuten Phase tatsächlich als Risikofaktor für Diabetes, sollten Screening und Management der Dysglykämie ein integraler Bestandteil von Guidelines zur Diagnose und Versorgung von COVID-19-Patient:innen sein.PS |

Wichtig für die Sprechstunde
  • Die US-Kohortenstudie belegte ein um 40% erhöhtes Diabetesrisiko für Patient:innen nach COVID-19.
  • Es wurden innerhalb von einem Jahr 13,46 Diabetesdiagnosen pro 1.000 Personen mehr gestellt.
  • Das Risiko stieg mit der Schwere der COVID-Erkrankung.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars Medici 13/2022

Interessenkonflikte: Ziyad Al-Aly hat Honorare von zwei Pharmaunternehmen erhalten. Die Autoren des Kommentars erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.


Literatur:
1) Xie Y, Al-Aly Z. Risks and burdens of incident dia-betes in long COVID: a cohort study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2022;10(5):311-321.
2) Narayan KMV, Staimez LR. Rising diabetes dia-gnosis in long COVID. Lancet Diabetes Endocri-nol. 2022;10(5):298-299.


Autor
PS



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 22-23