Die Corona-Pandemie scheint zunächst einmal eingedämmt. Seit Mai sinken die Infektionszahlen kontinuierlich, von einigen Hotspots abgesehen. Da bleibt Zeit zurückzublicken und eine erste Bilanz zu ziehen. Seitens der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht die positiv aus. Die ambulante Versorgung habe sich bei der Bewältigung der Krise gut geschlagen und einen Schutzwall errichtet, der das Gesundheitssystem vor Schlimmerem bewahrt habe. Aber einiges könne auch noch verbessert werden, will man für die Zukunft gerüstet sein.

"In Deutschland hat das Gesundheitswesen funktioniert", so lautet das vorläufige Fazit des KBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Andreas Gassen. Vor allem die besonders geforderte ambulante Versorgung habe ihre Stärken gezeigt und der Bevölkerung dramatische Szenarien wie in Italien, Spanien oder Frankreich erspart. So seien sechs von sieben Corona-Patienten ambulant versorgt worden in einer der rund 100.000 niedergelassenen Praxen. Das sei komplett anders als in fast allen anderen Ländern dieser Welt und ein wichtiger Grund für den Erfolg.

Hausärzte sind früh aktiv geworden

Da zählt der KBV-Chef einfach mal auch alle Praxen von Spezialisten hinzu. Ob sich davon nicht allzu viele in der Anfangsphase der Pandemie "weggeduckt" haben, sei dahingestellt. Beim Deutschen Hausärzteverband (DHÄV) sieht man es jedenfalls so, dass die Hausärzte die Hauptlast der Versorgung geschultert haben. Schon früh seien sie aktiv geworden und hätten z. B. die Praxisabläufe umstrukturiert oder sich am Aufbau von Corona-Ambulanzen beteiligt. Innerhalb kürzester Zeit seien so Modelle entwickelt worden, wie infektiöse Patienten zwar von den Praxen ferngehalten, aber dennoch so gut wie möglich behandelt werden konnten.

Als einen weiteren Erfolg wertet Gassen, dass sich die Experten hierzulande sehr frühzeitig zur Testung verständigt und die KBV bereits im Februar mit den Kassen eine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen hätte. Dadurch sei es möglich gewesen, alle Verdachtspatienten sehr schnell und ohne Kosten für die Patienten zu testen.

Hausärzte sollten mitentscheiden

Dass es speziell bei den Schutzausrüstungen für die Praxen erhebliche Defizite gab, beklagen sowohl die KBV als auch der DHÄV. DHÄV-Chef Ulrich Weigeldt sieht hier ein klares Versagen der Politik. Nur mit viel hausärztlichem Erfindungsreichtum sei es gelungen, viele Schutzmaßnahmen selbst zu erstellen. Ohnehin hätte man beim DHÄV erwartet, dass Hausärzte früher in politische Entscheidungen eingebunden worden wären und ihre Erfahrungen in der direkten ambulanten Versorgung hätten einbringen können. Dann wäre es wohl auch nicht zu dem peinlichen Hickhack um die telefonische AU und deren Gültigkeitsdauer gekommen.

Rückkehr zum Normalbetrieb

Wie auch immer, bei der KBV sieht man die Probleme bei den Schutzmaterialien inzwischen als erledigt an. KBV-Chef Gassen gibt jedenfalls Entwarnung. Die Struktur sei jetzt da, man wisse nun, wie man mit dem Virus umgehen kann. Und die Praxen seien daher gut gerüstet, sollte es nochmal zu einer zweiten Welle kommen. Aus diesem Grund rät Gassen den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten dazu, den Normalbetrieb wieder hochzufahren. Und das sei auch dringend notwendig, denn "die chronisch Kranken sind unverändert chronisch krank, Vorsorgen sind unverändert wichtig und sinnvoll", so Gassen. Behandlungen und Kontrolluntersuchungen hätten einen gewissen Zeitraum unterbrochen oder gestreckt werden können, aber man merke nun, dass man langsam in Bereiche komme, wo es eben auch mit Gesundheitsrisiken für die Patienten einhergeht. Die sozioökonomischen, aber auch die psychologischen Auswirkungen mit all ihren Folgewirkungen, auch gesundheitlichen und auch lebensgefährdenden, seien inzwischen so dramatisch, dass es gar keine andere Option gebe als die Rückkehr zu einem geregelten Normalbetrieb, so KBV-Vorstand Dr. Stephan Hofmeister. Das sieht man beim Hausärzteverband ganz ähnlich, auch dort möchte man, dass ältere und chronisch Kranke wieder in die Praxen zurückfinden, um das Risiko dramatischer Nebenwirkungen der Pandemie aufgrund einer Unterversorgung dieser Patienten möglichst klein zu halten.

Wie kann der Praxisbetrieb künftig gestaltet werden?

Klar sei, dass man auch weiterhin gewisse Vorgaben und Vorsichtsmaßnahmen einhalten müsse. Dazu gehörten das Abstandsgebot, ein vernünftiger Umgang, Händehygiene und weitere Schutzmaßnahmen gegen Infektionen. Da aber mit einem Impfstoff oder einem wirksamen Medikament gegen COVID-19 auf absehbare Zeit nicht zu rechnen sei, müsse man nun lernen, mit dem Coronavirus zu leben. Wie weit Mund-Nasen-Schutz perspektivisch noch getragen werden muss, müsse man sehen, so KBV-Chef Gassen. Das mache sicherlich durchaus Sinn bei Patienten, die offenkundig an Atemwegserkrankungen leiden und potenziell infektiös sind. Er vertraue hier auf die Sachkenntnis der Niedergelassenen, die ja alle mit Hygienemaßnahmen vertraut seien. Das sei ja schließlich kein Neuland für die Ärzte.

Hygieneregeln langfristig beibehalten

In einem Interview plädierte Hausärzte-Chef Weigeldt dafür, die jetzt eingeführten Hygieneregeln auch längerfristig einzuhalten. Die Hausärzte hätten wegen der Corona-Maßnahmen ein allgemein geringeres Ansteckungsrisiko mit leichten Infekten registriert. Auch die veränderten Abläufe in den Praxen könnten beibehalten werden. Patienten mit leichteren Infekten müssten nicht unbedingt in die Praxen kommen, da könnten erfahrene Hausärzte auch am Telefon helfen. Weigeldt spricht sich daher dafür aus, die Option der Telefon-AU auch weiterhin zu ermöglichen.

Um auf den Fall einer zweiten Welle oder gar einer neuen Pandemie besser vorbereitet zu sein, fordert der DHÄV, dass Krisenstäbe künftig mit hausärztlichen Vertretern besetzt werden müssten. Nur sie würden die Versorgungsrealität in den Hausarztpraxen kennen und könnten auch die Positionen der Patienten aus ärztlicher Sicht am besten vertreten. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass es genügend Schutzausrüstung für die Praxen gibt. Und die Hausärzte müssten sich darauf verlassen können, dass sie für ihr Engagement fair honoriert werden und keine wirtschaftlichen Einbußen befürchten müssen.

Im Hinblick auf die von der Politik geplante Ausweitung der Tests auf asymptomatische Patienten sieht Gassen noch ausreichend Kapazitäten, fordert aber klare vertragliche Regelungen auf Bundesebene. Organisatorische Fragen und auch die Vergütung müssten geklärt werden – etwa falls der Gesundheitsdienst bei den Abstrichen Unterstützung durch die Vertragsärzte benötige.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (13) Seite 24-26