Eine Depression wird auch von den Betroffenen nicht immer sofort erkannt. Hausärzt:innen haben die Möglichkeit, selbst eine effektive Therapie einzuleiten oder in komplizierten Fällen weiterzuüberweisen. Vor einer medikamentösen Behandlung – aber auch begleitend dazu – sollten niedrigschwellige Kardinalmaßnahmen stehen.

Die Kenntnis der Behandlungsoptionen depressiver Erkrankungen ist wegen ihrer Häufigkeit für jeden Behandler) bedeutsam [1, 2, 3]. Dem primärärztlichen Sektor kommt hier eine Schlüsselrolle zu: Hausärzt:innen können Patient:innen mit Depressionen frühzeitig erkennen, behandeln oder zur Fachärzt:in überweisen. Für die Einleitung einer leitliniengerechten Therapie spielen sie somit eine entscheidende Rolle [4, 5, 6]. Eine effektive Depressionsbehandlung ist auch in der hausärztlichen Praxis möglich, sofern bestimmte Grundsätze beachtet werden.

Die Entscheidung über das Gesamttherapiekonzept erfolgt in Abhängigkeit vom Schweregrad der Depression. Dieser orientiert sich an der Anzahl der Haupt- und Nebensymptome (nach ICD-10, vgl. Abb. 1). Voraussetzung für die Diagnose einer depressiven Episode sind eine Mindestdauer der Symptomatik über zwei Wochen und der Ausschluss organischer und substanzassoziierter Ursachen [7]. Als Säulen der Therapie depressiver Erkrankungen sind Kardinalmaßnahmen, Pharmako- und Psychotherapie verfügbar. Im hausärztlichen Bereich sind die ersten zwei Säulen bedeutender.

Kardinalmaßnahmen

Unabhängig von Schweregrad und Ätiologie der depressiven Symptomatik sollte jede antidepressive Behandlung die Kardinalmaßnahmen umfassen [8].
Diese sind in der Hausarztpraxis unkompliziert und niederschwellig anwendbar. Sie können die Zeit bis zum Wirkungseintritt des Antidepressivums überbrücken und steigern die gesamte Erfolgsrate. Die Kardinalmaßnahmen beinhalten:

Eine stabile therapeutische Beziehung: Durch eine vertrauensvolle und empathische Haltung soll sich die Patient:in mit ihren Sorgen angenommen fühlen. Wichtig ist eine realistische Vorstellung vom Therapieerfolg, z. B. dass die Besserung in "Wellen" erfolgt und das Erreichen von kleineren Zielen schon Zeichen des Heilungsprozesses sein kann.

Psychoedukation: Die strukturierte Vermittlung wissenschaftlicher krankheitsbezogener Fakten an Patient:innen und Angehörige ist für eine gemeinsame Entscheidungsfindung unerlässlich; sie hat in der Psychiatrie zudem eine heilsame Wirkung [9].

Problemlösung und Beratung: Depressionen hängen oft mit psychosozialen Konflikten zusammen. Die Behandler:in sollte zusammen mit der Patient:in versuchen, die Probleme strukturiert und lösungsorientiert zu beschreiben und so weit wie möglich adäquate und realisierbare Optionen zu präsentieren (u. a. die Vermittlung von Informationen zu spezialisierten Beratungsstellen).

Tagesstrukturierung: Die Etablierung einer festen Tagesstruktur mit einem Gleichgewicht aus positiven Aktivitäten und bewältigbaren Pflichten hat sich als antidepressiv wirksam erwiesen.

Tag-Nacht-Rhythmus, Schlafhygiene: Schlafstörungen und Antriebslosigkeit sind wichtige Symptome einer Depression, die in Kombination zu einer Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus führen, was die Depression weiter verstärkt. Daher sollte man die Patient:innen dazu anleiten, am Morgen aufzustehen und bis in die Nacht keine liegende Position mehr einzunehmen – unabhängig davon, wie erholsam oder ungenügend der nächtliche Schlaf war. Gegen die Schlafstörungen sind Schlafhygiene-Regeln und Entspannungsverfahren vorteilhaft. Von Schlafmitteln (Z-Substanzen und Benzodiazepinen) wird abgeraten (Abhängigkeitspotenzial), niederpotente Neuroleptika (z.B. Promethazin, Pipamperon) oder sedierende Antidepressiva sind zu bevorzugen.

Wachtherapie (Schlafentzug): Diese ist sehr einfach und auch im ambulanten Bereich anzuwenden. Die Patient:innen verzichten eine komplette Nacht auf ihren Schlaf und gehen erst am Abend des nächsten Tages zur üblichen Zeit schlafen. Nickerchen tagsüber können die erwünschte antidepressive Wirkung verhindern. 60 % der Betroffenen erfahren bereits am nächsten Morgen eine Stimmungsaufhellung [10]. Sie ist das einzige antidepressive Behandlungsverfahren mit Sofortwirkung und sollte Bestandteil jeder antidepressiven Behandlung sein. Kontraindikation sind epileptische Anfälle.

Selbsthilfe: Die Ärzt:in sollte wissenschaftlich basierte Informationsangebote zur Verfügung stellen, wie etwa von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Bedeutsam ist zudem der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen und Online-Foren.

Sport und Bewegung: Die antidepressive Wirksamkeit von regelmäßiger Bewegung mit moderater Intensität ist wissenschaftlich bewiesen [11] und hat viele Vorteile: Sie trägt u. a. zur Etablierung einer festen Tagesstruktur bei, ermöglicht einen besseren Schlaf und Tag-Nacht-Rhythmus, steigert das Selbstwertgefühl, hilft bei der körperlichen Entspannung und kann katastrophisierende Grübelschleifen temporär unterbrechen.

Lichttherapie: Deren Wirksamkeit ist nur für die saisonalabhängige Depression belegt [2]. Die Wirkung kann bis zu vier Wochen nach Beginn auftreten. 30 Minuten täglich reichen aus (Lichtstärke: 10.000 lx). Bei respondierenden Patient:innen wird empfohlen, die Therapie über die gesamte Dauer der Wintermonate fortzuführen.

Medikamentöse Behandlung

Die aktuelle S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression [2] bietet einen Algorithmus zur pharmakologischen Behandlung der Depression. Dessen konsequente Einhaltung führt häufiger und schneller zur Response als eine freie ärztliche Entscheidung, wie randomisierte Vergleichsstudien zeigten [12]. Wichtiges Grundprinzip sind hier die Intervalle des Stufenplans zur Evaluation der Wirksamkeit (zumeist nach vier Wochen) und die davon abhängige Entscheidung über das Verbleiben in der aktuellen Behandlungsstufe oder den Wechsel in die nächste. Eine antidepressive Pharmakotherapie wird bei mittelschwerer (alternativ zur Psychotherapie) und schwerer Depression (in Kombination mit Psychotherapie) empfohlen. Bei leichter Depression setzt man Antidepressiva nur ausnahmsweise ein, stattdessen werden eine aktiv abwartende Haltung über 14 Tage sowie die Kardinalmaßnahmen bevorzugt.

In Deutschland sind aktuell rund 30 Antidepressiva mit ähnlichem Wirkungsprofil zugelassen. Sie bewirken eine höhere Konzentration von Serotonin, Noradrenalin und/oder Dopamin im synaptischen Spalt bei ähnlicher Wirksamkeit und Latenz bis zum Wirkeintritt (drei bis vier Wochen) [13, 14].
Starke Unterschiede gibt es im Nebenwirkungsprofil (vgl. Tabelle 1). Nebenwirkungen, Komorbiditäten, Interaktionen mit anderen Medikamenten bestimmen daher die Präparatewahl.

Vor Beginn einer medikamentösen Behandlung ist eine genaue Dokumentation der Symptomatik (z. B. psychopathologischer Befund, Selbst- oder Fremdbeurteilungsmethoden wie das Beck-Depressions-Inventar oder die Hamilton-Depressionsskala) [15] zu Therapiebeginn wichtig. Es empfiehlt sich, bereits zu Anfang ein konkretes Datum für den Entscheidungstag mit der Patient:in zu vereinbaren (mögliche Behandlungsänderung). Für die meisten Antidepressiva ist eine (nicht zu langsame) schrittweise Aufdosierung bis zur Zieldosis erforderlich. Mit SSRI kann man häufig unmittelbar mit der Zieldosis starten. Ist diese erreicht, beginnt der Wirklatenzzeitraum (drei bis vier Wochen, bei Älteren bis zu sechs Wochen), bevor der Behandlungseffekt beurteilt wird. Symptomatik und Nebenwirkungen sollten in den ersten Wochen engmaschig überwacht und es sollte darauf geachtet werden, ob suizidale Gedanken auftreten und zunehmen. Es ist sinnvoll, die Patient:innen über die zeitliche Abfolge von Nebenwirkungen (oft initial auftretend, dann rückläufig) und Effekteintritt (mit Wirklatenz) aufzuklären.

Am Entscheidungstag (nach Ende der Wirklatenz) ergeben sich drei Möglichkeiten bezüglich der depressiven Symptomatik:
  1. Remission: Das Antidepressivum sollte als Erhaltungstherapie für weitere sechs Monate eingenommen werden (Verhinderung eines Frührezidivs). Die Patient:in sollte zur Medikamenteneinnahme motiviert werden – trotz Abwesenheit depressiver Symptomatik.
  2. Teilremission: Eine längere Behandlung für weitere zwei bis vier Wochen ist sinnvoll (bei weiter unzureichendem Ansprechen, vgl. Punkt 3).
  3. Keine Remission: Es gibt verschiedene Optionen:

Von einem Wirkstoffwechsel wird abgeraten. Kontrollierte Studien zeigen, dass diese Strategie (angesichts der Ähnlichkeit aller Antidepressiva) keinen Effekt verspricht und nicht wirksamer ist, als lediglich die Einnahme des unwirksamen Antidepressivums zu verlängern [2, 16].

Besser geeignet sind folgende Möglichkeiten:
  • Serumspiegelbestimmung im Blut: Für fast alle Antidepressiva wird ein Serumspiegelbereich empfohlen, bei dem ein antidepressiver Effekt zu erwarten ist [15, 17]. Wenn ein Antidepressivum in der Standarddosis nicht wirkt, sollte ein Talspiegel bestimmt und gegebenenfalls die Dosis angepasst werden (Therapeutisches Drug Monitoring, TDM).
  • Kombination mit anderem Antidepressivum: Eine positive Verstärkung des antidepressiven Effekts wurde nur für die Kombination von Wiederaufnahmehemmern (SSRI, SNRI, TZA; vgl. Tabelle 1) mit präsynaptischen α2-Autorezeptorblockern (Mirtazapin, Mianserin oder Trazodon) bewiesen. Andere Kombinationen können sogar schädlich sein (Serotoninsyndrom). Für die Kombination dreier Antidepressiva liegt keine Evidenz vor.
  • Aufdosierung: Für einige Antidepressiva (TZA, Tranylcypromin) ist eine positive Dosis-Wirkungs-Korrelation beschrieben [18]. Hier lässt sich die Dosis unter Monitoring der Nebenwirkungen erhöhen, falls die Standarddosis nicht effektiv war. Bei SSRI sollte keine Dosiserhöhung erfolgen (kein klinischer Effekt).
  • Augmentation mit Lithium: Mit einer Augmentation lässt sich ein antidepressiver Effekt durch eine weitere Substanz verstärken, die in Monotherapie nicht antidepressiv wirkt. Davor sollte der Serumspiegel des Antidepressivums im therapeutischen Bereich liegen. Eine Lithiumaugmentation ist eine effektive antidepressive Behandlungsstrategie [19], die anders wirkt als Antidepressiva. Lithium sollte man mit einer Serumkonzentration von 0,6 bis 0,9 mmol/l etablieren (regelmäßiges Labor). Absolute Kontraindikation ist eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz. Lithium wirkt auch als einziges Psychopharmakon antisuizidal [20]. Eine Lithiumbehandlung sollten nur erfahrene Ärzt:innen vornehmen.

Nach jedem Anpassungsschritt der antidepressiven Pharmakotherapie muss wieder ein mehrwöchiger Wirklatenzzeitraum eingehalten werden, bevor man den klinischen Effekt beurteilt. Nach Remission der depressiven Symptomatik sollte man die Medikation für sechs Monate als Erhaltungstherapie fortführen. Bei rezidivierenden Verläufen ist eine zeitlich unbefristete Rezidivprophylaxe möglich.Die Überweisung an eine psychiatrische Kolleg:in ist indiziert bei schweren oder wahnhaften Depressionen, komplizierten/therapieresistenten Verläufen, Suizidalität (ggf. sofortige stationäre Einweisung), Unsicherheit in der Diagnose oder psychiatrischer Komorbidität [21].

ESSENTIALS – Wichtig für die Sprechstunde
  • Eine depressive Episode liegt vor, wenn die Symptomatik über zwei Wochen andauert und es keine organischen und substanzassoziierten Ursachen gibt.
  • Nach jedem Anpassungsschritt der antidepressiven Pharmakotherapie muss wieder ein mehrwöchiger Wirklatenzzeitraum eingehalten werden. Erst dann lässt sich der klinische Effekt beurteilen.
  • Die Überweisung an eine psychiatrische Kolleg:in ist u. a. bei schweren oder wahnhaften Depressionen und Suizidalität (ggf. auch sofortige stationäre Einweisung) indiziert.


Literatur:
1. Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Nervenarzt 2014; 85: 77–87.
2. DGPPN, BÄK, KBV, AWMF für die Leitliniengruppe Unipolare Depression. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression – Langfassung, 2. Auflage. Version 5. 2015 (https://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/depression/depression-2aufl-vers5-lang.pdf).
3. Bretschneider J, Janitza S, Jacobi F et al. Time trends in depression prevalence and health-related correlates: results from population-based surveys in Germany 1997-1999 vs. 2009-2012. BMC Psychiatry 2018; 18: 394.
4. Gaebel W, Kowitz S, Fritze J et al. Inanspruchnahme des Versorgungssystems bei psychischen Erkrankungen. Sekundärdaten von drei gesetzlichen Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund. Dtsch Arztebl 2013; 110: 799–808.
5. Mack S, Jacobi F, Gerschler A, et al. Self-reported utilization of mental health services in the adult German population—evidence for unmet needs? Results of the DEGS1-MentalHealthModule (DEGS1-MH). Int J Methods Psychiatr Res 2014; 23: 289–303.
6. Wittchen H-U, Winter S, Höfler M et al. Hausärztliche Interventionen und Verschreibungsverhalten bei Depressionen. Ergebnisse der "Depression-2000"-Studie. Fortschr Med 2000; 118: 31–39.
7. Bschor T, Grüner S. Psychiatrie fast. 5. Auflage. Börm Bruckmeier Verlag 2019, Grünwald.
8. Selalmazidou A, Bschor T. Depressionsbehandlung: Niedrigschwellige Kardinalmaßnahmen als Ergänzung oder Alternative zur Pharmako- oder Psychotherapie. neuro aktuell 2020.
9. Tursi MF, Baes CV, Camacho FR et al. Effectiveness of psychoeducation for depression: a systematic review. Aust N Z J Psychiatry 2013; 47: 1019-1031.
10. Gold L. Schlafentzugstherapie/Wachtherapie. In: Bschor T (Hrsg.): Behandlungsmanual therapieresistente Depression. Pharmakotherapie – somatische Therapieverfahren – Psychotherapie. Kohlhammer 2008, Stuttgart, S. 282-294.
11. Deslandes A, Moraes H, Ferreira C et al. Exercise and mental health: many reasons to move. Neuropsychobiology 2009; 59: 191-198.
12. Adli M, Wiethoff K, Baghai TC et al.: How effective Is algorithm-guided treatment for depressed inpatients? Results from the randomized controlled multicenter German Algorithm Project 3 Trial. Int J Neuropsychopharmacol 2017, 20: 721-730.
13. Bschor T, Kilarski LL: Are antidepressants effective? A debate on their efficacy for the treatment of major depression in adults. Expert Rev Neurother 2016; 16: 367-374.
14. Bschor T. Antidepressiva. Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte. Südwest Verlag 2018, München.
15. Bschor T, Broytman V. Psychiatrie pocket. Börm Bruckmeier Verlag 2020, Grünwald.
16. Bschor T, Kern H, Henssler J et al. Switching the antidepressant after nonresponse in adults with major depression: a systematic literature search and meta-analysis. J Clin Psychiatry 2018; 79: 11-18 (16r10749).
17. Hiemke C, Bergemann N, Clement HW et al. Consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in neuropsychopharmacology: Update 2017. Pharmacopsychiatry 2018; 51: 9-62.
18. Rink L, Braun C, Bschor T et al. Dose increase versus unchanged continuation of antidepressants after initial antidepressant treatment failure in patients with major depressive disorder: A systematic review and meta-analysis of randomized, double-blind trials. J Clin Psychiatry 2018; 79: 17r11693.
19. Bschor T: Lithium in the treatment of major depressive disorder. Drugs 2014; 74: 855-862.
20. Cipriani A, Hawton K, Stockton S et al. Lithium in the prevention of suicide in mood disorders: updated systematic review and meta-analysis. BMJ 2013; 346: f3646.
21. Torge M, Petersen JJ, Gensichen J et al. Depressionsbehandlung in der Hausarztpraxis. Psychiatrische Praxis 2010; 37: 366 - 368.
22. Nagel LT, Bschor T. Mit Konsequenz zum Ziel: Medikamentöse Behandlung von Depressionen. Kompendium ZNS 2020: 36-42.


Autor:innen

Dr. med. Erika Valle, Prof. Dr. med. Tom Bschor

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
01307 Dresden

Interessenkonflikte: Die Autor:innen haben keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 20-23