Nicht nur ein zunehmendes Lebensalter, sondern auch eine Diabeteserkrankung erhöht ebenso wie die Einnahme bestimmter Antidiabetika und anderer Medikamente das Risiko für osteoporotische Knochenfrakturen. Wie man das Frakturrisiko bestimmt und welche Patient:innen wann, wie lange und womit behandelt werden sollten, war Gegenstand eines Vortrags von Prof. Dr. Peter Wiesli, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Frauenfeld, am FOMF Update Refresher zum Thema Diabetes in Zürich.

Die Osteoporose kann quantitativ (erniedrigte Knochenmasse/-dichte) oder qualitativ (mikroarchitektonische Veränderungen, Fragilität/Frakturgefährdung) definiert werden. Sind bereits Frakturen, welche mit ihren Folgen die klinische Bedeutung der Osteoporose ausmachen, aufgetreten, spricht man von manifester Osteoporose.

Knochenmetabolismus durch Diabetes besonders gestört

Bei Patient:innen mit Diabetes mellitus ist das Frakturrisiko deutlich erhöht. Beim Typ-1-Diabetes
(DMT1) ist es etwa sechs- bis siebenmal höher, und vor allem sind Wirbelsäule und Extremitäten betroffen. Schenkelhalsfrakturen treten bei diesen Patient:innen im Schnitt etwa 10 bis 15 Jahre früher auf. Beim Typ-2-Diabetes (DMT2) sei das Risiko etwa doppelt so hoch, und hauptsächlich handle es sich um Frakturen der unteren Extremitäten, wobei das Ergebnis der Knochendichtemessung (Osteodensitometrie) allerdings oft normal oder hoch normal ausfalle, obwohl eine Osteoporose vorliege, gab der Referent zu bedenken.

Für den Zusammenhang zwischen DMT2 und Osteoporose spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen kommt es zu systemischen (höhere Glukosewerte, tiefere Insulinwerte, geringere körperliche Aktivität, tiefe Vitamin-D-Spiegel, höheres Sturzrisiko) und zum anderen zu zellulären Effekten. Durch die Zunahme von Adipozyten und chronischer Entzündung produzieren Osteozyten vermehrt Sclerostin, FGF-23 (FGF: fibroblast growth factor), Periostin und RANKL (receptor activator of NF-κ B ligand), was zu einer Aktivierung der Osteoklasten einerseits und zu einer Störung der Osteoblastendifferenzierung andererseits führt. Darüber hinaus erwähnte Wiesli hier auch Matrixeffekte, etwa die Ablagerung von AGE (advanced glycation endproducts) in die Knochenmatrix oder die Zunahme der Porosität der Kortikalis.

Risikofaktoren für osteoporotische Frakturen

Das Auftreten von Frakturen wird durch folgende allgemeine Risikofaktoren begünstigt:
  • häufige Sturzereignisse
  • Untergewicht
  • vorausgegangene, niedrig traumatische Knochenbrüche
  • Hüftfraktur bei einem Elternteil
  • Rauchen
  • Alkoholkonsum (> 3 Einheiten/Tag)
  • langfristige Therapie mit Glukokortikoiden
  • rheumatoide Arthritis.

Darüber hinaus existieren auch diabetesspezifische Risikofaktoren, und zwar:
  • Diabetesdauer > 5 Jahre
  • Therapie mit Insulin
  • Hypoglykämien
  • Diabetestherapie mit Thiazolidindionen (z. B. Pioglitazon)
  • HbA1c > 8 %
  • Diabetespatient:innen mit Spätkomplikationen wie Retinopathie, periphere Neuropathie, Nephropathien oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren ist eine Osteoporosediagnostik in Einzelfällen auch schon ab dem 50. Lebensjahr zu erwägen. Im Allgemeinen, also ohne bereits erlittene Frakturen, sei eine Osteoporosediagnostik bei Frauen unter 50 und bei Männern unter 60 Jahren nur selten indiziert, da sich auch bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren meist keine therapeutischen Konsequenzen daraus ergäben, so der Referent. Bei Frauen über 70 und bei Männern über 80 Jahre dagegen kann generell an eine Osteoporosediagnostik gedacht werden, sofern daraus auch therapeutische Konsequenzen gezogen werden. Bei Patient:innen mit Diabetes empfehlen die Fachgesellschaften die Durchführung einer Osteoporosediagnostik für alle postmenopausalen Frauen (DMT1) beziehungsweise für solche über 60 Jahre (DMT2) sowie für alle Männer über 70 Jahre.

Zur Prophylaxe der Osteoporose und von Knochenbrüchen sind die Förderung von Muskelkraft und Koordination, das Vermeiden von Stürzen (Sport, Sturzprävention, Gleichgewichtstraining), gesunde Ernährung (Eiweiß: 60 – 70 g/Tag, Kalzium: 1.000 mg/Tag, Vitamin D: 800 IE/Tag) und ein gesunder Lebensstil sowie eine Überprüfung der Medikamente (sturz- und osteoporosefördernde Medikamente meiden – Antiepileptika, Antidepressiva, schwindelauslösende Medikamente, Schlafmittel, Steroide, Glitazone, Überdosierung von Levothyroxin) geeignet. "Alle diese Maßnahmen sind wirksam", sagte Wiesli, "sie wirken allerdings nur so lange, wie man sie auch durchführt."

Die Untersuchung der folgenden Laborparameter dient dem Ausschluss einer sekundären Osteoporoseursache:
  • Kalzium, Albumin, Phosphat: primärer/sekundärer Hyperparathyreoidismus, Malignom
  • geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), Kreatinin: renale Osteopathie
  • alkalische Phosphatase, Gammaglutamyl- transferase: Osteomalazie
  • Blutbild, Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), C-reaktives Protein (CRP): hämatologische/entzündliche Erkrankungen, Myelom
  • Thyroidea-stimulierendes Hormon (TSH): Hyperthyreose (< 0,3 mU/l)
  • Elektrophorese: Myelom
  • 25-OH-Vitamin D3: Vitamin-D-Mangel
  • Testosteron, luteinisierendes Hormon (LH): Hypogonadismus beim Mann
  • Estradiol, follikelstimulierendes Hormon (FSH): Hypogonadismus bei der Frau
  • Knochenumbaumarker: Knochenumbaurate
  • Tryptase: Mastozytose.

Die Marker für den Knochenumsatz, das heißt einerseits für Knochenresorption (Beta-Crosslaps [β-CTx]) im EDTA-Plasma (EDTA: Ethylendiamintetraacetat), Crosslinks (Pyridinolin, PYD/Desoxypyridinolin, DPD) im Urin, tartratresistente saure Phosphatase (TRAP 5b) im Serum und andererseits für Knochenaufbau (Prokollagen Typ 1 N-terminales Propeptid, kurz: P1NP in Serum oder EDTA-Plasma, Ostase (knochenspezifische alkalische Phosphatase im Serum, Osteocalcin im EDTA-Plasma)) sind hilfreich für die Therapieentscheidung, können aber auch unter der Therapie dazu dienen, die Compliance zu beurteilen.

Osteodensitometrie und FRAX

Die Osteodensitometrie wird zur Berechnung des Risikos für Hauptfrakturen (Wirbel, Hüfte, Humerus, Radius) durchgeführt. Das Ergebnis dieser Untersuchung kann dann zur Schätzung des Frakturrisikos mit dem Fracture Risk Assessment Tool (FRAX) herangezogen werden. Das hiermit errechnete Zehn-Jahres-Frakturrisiko basiert neben dem Lebensalter auf folgenden klinischen Parametern:
  • bereits erlittene Fraktur
  • Oberschenkelbruch bei einem Elternteil
  • Nikotin-/Alkoholkonsum
  • Body-Mass-Index (BMI) < 20
  • Glukokortikoidtherapie
  • rheumatoide Arthritis
  • andere Ursachen einer sekundären Osteoporose
  • Knochendichte am Schenkelhals.

Im Internet finden sich entsprechende Risikorechner, von denen aufgrund ethnischer Unterschiede in der Knochendichte je nach Herkunft der Patient:in der individuell passende ausgewählt und mit den jeweiligen Daten gefüttert werden muss.

Medikamentöse Therapie ist zeitlich begrenzt

In Kenntnis des mittels FRAX erhobenen Risikowerts lässt sich die Frage, ob die Osteoporose eine medikamentöse Therapie erfordert, sicherer beantworten. Denn bei der Behandlung der Patient:innen seien, wie Wiesli erklärte, zwei häufige Fehler zu beobachten: Einerseits erhalten die Erkrankten ohne erlittene Fraktur mit osteoporotischem Befund in der Knochendichtemessung eine medikamentöse Therapie, obwohl sie eigentlich gar keine benötigen, und andererseits werden Patient:innen mit erlittener osteoporotischer Fraktur (z. B. Wirbelkörper, Schenkelhals), bei denen jedoch aufgrund eines unauffälligen Ergebnisses in der Knochendichtemessung keine Osteoporosediagnose gestellt wird, dann entsprechend nicht behandelt.

Bei bereits erlittener Fraktur ist eine spezifische medikamentöse Therapie (Sekundärprophylaxe) entweder unabhängig von der Knochendichte (bei Wirbel- oder Schenkelhalsfraktur) oder nach Evaluation des absoluten Frakturrisikos mittels FRAX (periphere Frakturen nach Bagatelltrauma) indiziert. Ist es noch zu keiner Fraktur gekommen, sollte zunächst eine Evaluation des absoluten Frakturrisikos mittels FRAX erfolgen.

Eine medikamentöse Primärprophylaxe wird nur dann eingeleitet, wenn der ermittelte Zehn-Jahres-Risiko-Wert eine altersabhängige Interventionsschwelle überschreitet (50 Jahre: ≥ 10 %, 60 J.: ≥ 15 %, 70 J.: ≥ 30 %, 80 J.: ≥ 40 %). Diese Interventionsschwellen bei Personen ohne durchgemachte Frakturen entsprechen jeweils dem Risiko von Gleichaltrigen mit bereits erlittener Fraktur. Eine medikamentöse Intervention soll auch dann erfolgen, wenn der in der Knochendichtemessung ermittelte T-Score –2,5 SD (standard deviation) beträgt.

Zur Behandlung der Osteoporose sind neben Kalzium- und Vitamin-D-Supplementen antiresorptive Substanzen wie perorale – Ibandronat (Bonviva®) und Generika, Alendronat (Fosamax®) und Generika, Risedronat (Actonel®) und Generika – oder parenterale Bisphosphonate – Zoledronat (Aclasta®, Zometa®, Generika) – und der monoklonale Antikörper Denosumab (Prolia®; subkutan alle sechs Monate), anabole Wirkstoffe wie Romosozumab (Evenity®; subkutan 1-mal/Monat) und Teriparatid (Forsteo® und Generika) sowie die selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM) Raloxifen (Evista®) und Bazedoxifen (Conbriza®) verfügbar.

Alle diese Medikamente haben laut Wiesli gezeigt, dass sie Wirbelbrüche und meist auch nicht vertebrale Frakturen verhindern können. Ihre Anwendung ist jedoch generell und wiederum abhängig vom Frakturrisiko zeitlich beschränkt (vgl. Abb. 1).
Ein hohes Frakturrisiko liegt bei einer Fraktur von Wirbelkörpern oder Schenkelhals vor (≤ 5 Jahre) oder während der Therapie, bei hohem, per FRAX ermitteltem absoluten Frakturrisiko, bei Einnahme von Steroiden oder Aromataseinhibitoren, unter Androgendeprivation (z. B. bei Prostatakarzinom), bei Vorliegen von Diabetes oder Gebrechlichkeit oder bei einer sehr niedrigen Knochendichte.

Antidiabetika und Knochen

Das Frakturrisiko ist unter Sulfonylharnstoffen und Insulinen eventuell erhöht, sicher aber unter Thiazolidindionen (Glitazone), während Metformin, Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP: glucagon-like peptide) diesbezüglich als neutral gelten. Der SGLT2-Inhibitor Canagliflozin (SGLT2: sodium glucose transporter 2) habe zwischenzeitlich ebenfalls unter Verdacht gestanden, so der Referent, eine neue Metaanalyse erbrachte allerdings keine Hinweise für einen negativen Effekt auf die Knochendichte und das Frakturrisiko.

Essentials
  • Eine Diabeteserkrankung (vor allem Typ-1-Diabetes) erhöht das Frakturrisiko.
  • Bei der Diabetestherapie sollten hinsichtlich der Knochengesundheit Glitazone (Pioglitazon) vermieden werden.
  • Bei Frakturen von Wirbelkörpern oder Schenkelhals infolge inadäquater Krafteinwirkung (Sturz aus dem Stehen) liegt immer eine Osteoporose vor und es muss unabhängig von der Knochendichte eine medikamentöse Therapie erfolgen.
  • Bei peripheren oder fehlenden Frakturen wird die Therapieindikation aufgrund des per FRAX berechneten Frakturrisikos gestellt.
  • Die Dauer der Therapie ist im Auge zu behalten.

Quelle: "Diabetes und Knochen", Vortrag von Prof. Dr. P. Wiesli am Update Refresher Diabetes des Forums für Medizinische Fortbildung (FOMF) am 31. Oktober 2020 in Zürich.
Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici Dossier V_2021



Autor
Ralf Behrens



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (11) Seite 20-22