Das Hautkrebs-Screening inklusive der Dermatoskopie kann auch in der Hausarztpraxis stattfinden. In einem dreiteiligen Fortbildungsbeitrag soll anschaulich dargestellt werden, wie die dermatoskopische Untersuchung strukturiert werden kann. Die Teile 1 und 2 in Heft 3 und 4 von doctors today behandelten die Schritte 1 und 2: die Unterscheidung zwischen melanozytären und nicht-melanozytären Hautveränderungen sowie das Erkennen von Mustern. Im 3. Schritt geht es nun um die dermatoskopische ABCD-Regel.

Teil 1 des Beitrags zur Dermatoskopie in der Hautarztpraxis finden Sie hier, Teil 2 der Serie finden Sie hier.

Kann man im bisherigen Vorgehen eine Diagnose noch nicht stellen, ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass eine melanozytäre Hautveränderung vorliegt. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn im ersten Schritt eine Hautveränderung als "nicht-melanozytär" eingestuft wurde.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn milchig rote/blaurote Schollen oder flächige Areale, polymorphe Gefäßmuster oder regressive Veränderungen vorliegen. Nicht pigmentierte Melanome, sogenannte amelanotische Melanome, sind zwar extrem selten, aber bei einer solchen Konstellation durchaus möglich. Generell gilt, dass alle rötlichen beziehungsweise pinkfarbenen Hautläsionen unsere besondere Aufmerksamkeit verlangen. Im Zweifelsfall sollte großzügig die Überweisung zum Spezialisten erfolgen.

Im 3. Schritt kommt die dermatoskopische ABCD-Regel nach Stolz zur Anwendung. Diese Regel ist ebenfalls seit dem ersten Weltkongress der Dermatoskopie (2001) anerkannt und klärt basierend auf dem Ergebnis einer Multivarianzanalyse die Dignität der zu beurteilenden Hautveränderung. Diese Methode hat sich gerade für Einsteiger in die Dermatoskopie bestens bewährt, da kaum dermatologisches Fachwissen vorausgesetzt wird:

Es werden zunächst Einzelkriterien quantitativ durch Vergabe von Punkten erfasst und gruppenweise für Asymmetrie, Begrenzung, Farben und Differenzialstrukturen gemäß nachfolgender Erläuterung bewertet und aufsummiert. Ergebnis ist dann der Dermatoskopiepunktwert (DPW), im englischen Sprachraum auch Score genannt.

Asymmetrie:

In einem orthograden Koordinatensystem (zwei senkrecht aufeinanderstehende Achsen) bewegt man gedanklich den Ursprung so lange, bis die Hautveränderung in möglichst beiden Achsen symmetrisch (spiegelbar) erscheint. Ist die Spiegelung in allen Achsen möglich, beträgt der Punkt-wert 0. Ist Symmetrie in nur einer Achse gegeben, beträgt der Punktwert 1, bei vollständiger Asymmetrie vergibt man zwei Punkte (Abb. 1). Maximal sind somit zwei Punkte möglich. 96 % aller Melanome haben einen Asymmetriewert von 2.

Mit in die Beurteilung gehen Farben, Strukturelemente und die Form der Hautveränderung ein.

Begrenzung:

Ausgehend vom Mittelpunkt unterteilt man die Hautveränderung in acht gleich große Kreissegmente. Für jedes Segment, das einen scharfen Abbruch zur Peripherie aufweist, wird ein Punkt vergeben, sofern mehr als die Hälfte des Segments betroffen ist. Maximal acht Punkte können vergeben werden (Abb. 2 und 3).

Colour:

Sechs Farben werden berücksichtigt: Rot, Schwarz, Blau, Hellbraun, Dunkelbraun und Weiß (Abb. 4). Letztere wird nur in die Wertung aufgenommen, wenn die umgebende gesunde Haut dunkler erscheint. Entsprechend sind maximal sechs Punkte zu vergeben.

Differenzialstrukturen:

Zeigen sich mehr als drei Streifen oder Punkte oder mehr als zwei Schollen, so wird jeweils ein Punkt vergeben. Außerdem werden Netze und strukturlose Areale bewertet (Abb. 5). Es ist somit die Vergabe von maximal fünf Punkten für die Differenzialstrukturen möglich.

Dann wird der DPW (Dermatoskopiepunktwert, Score) gemäß folgender Formel berechnet:

DPW = 1,3 x Asymmetrie + 0,1 x Begrenzung + 0,5 x Colour + 0,5 x Differenzialstruktur

Der Dermatoskopiepunktwert ermöglicht im letzten Schritt mit hoher Sicherheit die Differenzierung von benignen und malignen Hautveränderungen: Ist er kleiner als 4,75, liegt höchstwahrscheinlich eine benigne Form vor, ab einem DPW von 5,45 handelt es sich sehr wahrscheinlich um ein malignes Melanom (Abb. 6 und 7). Im Bereich dazwischen (4,75 bis 5,45) kommen sowohl Melanome als auch benigne Nävi vor.

Im Gesicht sowie an den Palmar- und Plantarflächen gelten besondere Regeln. Dort ist die dermatoskopische ABCD-Regel nicht anwendbar. Nur für seborrhoische Keratosen (auch Lichen- planus-artige Keratosen) und Basalzellkarzinome im Gesicht gelten die gleichen Regeln.

Zum Schluss sollten wir uns bewusst sein, dass, wie bei jeder bewährten Methode, Übung unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung ist. Hierbei hilft im besonderen Maße das Feedback der mitbetreuenden Spezialist:innen. Kurse zum Einstieg in die Dermatoskopie werden hoffentlich bald wieder in Mannheim, München, Regensburg, Bad Orb und Frankfurt angeboten. Online-Kurse starten zurzeit. Darüber hinaus bestehen im Internet ausgezeichnete Übungsmöglichkeiten [1,2,3,4]; häufig sind sie kostenfrei.

Noch ein letzter Tipp: Benutzen Sie beim Hautkrebs-Screening oft Ihr Dermatoskop. Lassen Sie die Beobachtungen Ihrer Patient:innen in die Beurteilung einfließen. Mit der Dermatoskopie können Sie die meisten der bestehenden Ängste schnell und kompetent zerstreuen. Allerdings kann es auch vorkommen, dass Sie auf unerwartete Befunde stoßen und der Patient:in früh professionelle Hilfe anbieten können.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2015 unter den Teilnehmenden des "4th World Congress of Dermoscopy" ergab, dass Dermatolog:innen im Praxisalltag "doing dermoscopy" das meiste Vergnügen bereitete. Wahrscheinlich ist dieses Vergnügen auf die faszinierenden und wegweisenden Eindrücke beim Blick durch das Dermatoskop zurückzuführen. Lassen auch Sie sich von dieser Begeisterung anstecken und benutzen Sie Ihr Dermatoskop ebenso häufig wie Ihr Stethoskop!

ESSENTIALS – Wichtig für die Sprechstunde
  • Kann man nach dem 1. und 2. Schritt noch keine Diagnose stellen, handelt es sich wahrscheinlich um eine melanozytäre Hautveränderung.
  • Bei der dermatoskopischen ABCD-Regel werden Asymmetrie, Begrenzung, Farbe (Colour) und Differenzialstrukturen beurteilt.
  • Ab einem Dermatoskopiepunktwert (DPW) von 5,45 ist ein malignes Melanom wahrscheinlich.
  • Unter einem Dermatoskopiepunktwert (DPW) von 4,75 ist eine benigne Form wahrscheinlich.
  • Mit der Dermatoskopie lassen sich Ängste der Patient:innen oft schnell und kompetent zerstreuen.


Literatur:


Autor

Dr. med. Reiner Albrecht

Arzt für Allgemeinmedizin,
92272 Freudenberg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 42-44