Der Weg in die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist vorgezeichnet und scheinbar unaufhaltsam. Zuletzt hat sie der letzte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit hohem Tempo vorangetrieben. Doch der Weg ist auch holprig, wie sich in den letzten Monaten nicht ganz unerwartet herausgestellt hat. Sei es die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) oder das elektronische Rezept (eRezept) – überall gibt es Probleme. Eine Umfrage zeigt nun, welchen Blick die Betroffenen, also die Ärzt:innen, auf die Digitalisierung haben.

Grundsätzlich scheint ein Großteil der niedergelassenen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen der Digitalisierung weiterhin offen gegenüberzustehen – dennoch zeigen sie sich zunehmend enttäuscht angesichts unreifer und wenig praxistauglicher Anwendungen. So geht es aus dem letzten PraxisBarometer Digitalisierung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hervor.

Ernüchterung macht sich breit

Ernüchterung mache sich in der Ärzteschaft breit, so fasste Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, die Ergebnisse des PraxisBarometers zusammen. Das sei besonders deshalb tragisch, weil sich viele Ärzt:innen von der Digitalisierung durchaus Vorteile für die Versorgung erhofft hätten. Voraussetzung für die Akzeptanz sei aber, dass neue Anwendungen den Praxisalltag erleichtern und die Patientenversorgung verbessern. Doch dieser Nutzen sei im letzten Jahr aber immer seltener erkennbar gewesen. Die Folge: In den Praxen mache sich zunehmend Frust breit.

Fehleranfälligkeit ist hoch

Zwar seien 94 % der unter 50-Jährigen an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen. Doch diese Bereitschaft für Innovationen werde
immer öfter durch die fehlerhafte Technik konterkariert. So berichten im Vergleich zum Vorjahr immer
mehr Niedergelassene von der Fehleranfälligkeit der TI. 50 % der befragten Praxen haben mindestens wöchentlich mit Fehlern bei der TI-Nutzung zu kämpfen; der Anteil derer mit täglichen Störungen hat sich mit 18 % sogar verdoppelt.

Entsprechend schätzen fast zwei Drittel der Befragten dies als starkes Hemmnis für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ein. Auch ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis digitaler Anwendungen hat für 65 % starke negative Auswirkungen. Etwas mehr als die Hälfte der Praxen bemängelt zudem die fehlende Nutzerfreundlichkeit – im Vergleich zu 2020 ganze 14 % mehr. "Ausfälle und technische Mängel sorgen nicht nur für Frust und Mehraufwand, sie setzen auch die generelle Akzeptanz der Digitalisierung aufs Spiel", kommentierte Kriedel diese Ergebnisse.

Das PraxisBarometer
2.836 Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen nahmen an der Online-Befragung teil. Das PraxisBarometer ist damit die bislang umfassendste repräsentative, wissenschaftlich begleitete Befragung von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen zum Stand der Digitalisierung.

Manches funktioniert auch

Das PraxisBarometer gibt aber auch wieder, dass es durchaus positive und gelungene Aspekte der Digitalisierung gibt. So zeige das Beispiel der Videosprechstunde, dass Digitalisierung mit klarem Nutzen auch schnell Anwendung im Versorgungsalltag finden kann. KBV-Vize Hofmeister sieht hier vor allem die Corona-Pandemie als wichtigen Türöffner: "Die Videosprechstunde hat während der Pandemie geholfen, Kontakte zu reduzieren und trotzdem die Versorgung aufrechtzuerhalten. Entsprechend stark wurde sie auch angeboten und nachgefragt." Klar sei aber auch, so Hofmeister, dass die Videosprechstunde nicht der berühmte Gamechanger ist, der alles ändert. Dazu sei ihr Einsatzgebiet zu begrenzt. "Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt ist und bleibt der Goldstandard", machte Hofmeister klar.

Nicht mit der Brechstange agieren

Angesichts der im PraxisBarometer deutlich werdenden Stimmungslage in den Praxen forderte Kriedel: "Die Befragung macht einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass die versprochenen Vorteile der Digitalisierung auch endlich in den Praxen ankommen. Grundlage dafür wird sein, die neuen Anwendungen ausgiebig und mit genügend Vorlauf zu testen." Hierbei sollte der Gesetzgeber die Empfehlungen des eigenen Nationalen Normenkontrollrats beherzigen. Und sein Kollege Hofmeister ergänzte: "Wenn die dafür vorgesehenen Fristen nicht das Ergebnis bringen, das wir in der Versorgung brauchen, dann bringt es auch nichts, wenn die Politik sagt: ‚Wir machen es trotzdem.‘ Hier erwarten wir auch von der neuen Bundesregierung einen Kurswechsel – dass also der im Koalitionsvertrag versprochene, ‚versorgungsrelevante Ausbau‘ der Digitalisierung nun auch umgesetzt wird", so Hofmeister.

Mit Nutzen überzeugen

Das PraxisBarometer zeigt, dass die Digitalisierung in den Praxen bisher eher als notwendiges Übel wahrgenommen wird, das bestenfalls zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht ist. Die KBV fordert nun einen Paradigmenwechsel: Die Vertragsärzt:innen müssten mit Nutzen überzeugt werden statt mit der Brechstange. Die kürzlich beschlossene Verlängerung der Testphase für das eRezept mache Hoffnung, dass man sich nun mehr Zeit für die Digitalisierungsfortschritte nimmt und sie erst breit ausrollt, wenn sie auch wirklich ausgereift sind.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (5) Seite 28-29