Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist eine Herzensangelegenheit von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die er mit großem Elan vorantreibt. Immer wieder aber treten technische Probleme auf, die die termingerechte Umsetzung doch erheblich ausbremsen. Und das geht oft zulasten der niedergelassenen Ärzt:innen, denn die kommen gar nicht schnell genug hinterher.

Zum 1. Juli 2021 sollen die Vertragsarztpraxen eigentlich in der Lage sein zur Befüllung der elektronischen Patientenakte (ePA), also "ePA-ready", wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) das neudeutsch umschreibt.

Ohne elektronischen Heilberufsausweis geht nichts

Dafür und für andere digitale Anwendungen braucht jede Ärzt:in allerdings einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA). Den zu bekommen gestalte sich derzeit allerdings recht schwierig, moniert KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel. Da die Hersteller offenbar von dem großen Ansturm überfordert seien, gebe es lange Lieferfristen von bis zu acht Wochen oder noch länger. Dass alle Vertragsärzt:innen bis zum 1. Juli einen eHBA besitzen, erscheint damit immer unwahrscheinlicher, befürchtet Kriedel.

eAU wackelt

Nicht nur diese Frist zum 1. Juli 2021 steht auf der Kippe, auch der 1. Oktober 2021 als Starttermin für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) wackelt aufgrund technischer Probleme mit den Konnektoren-Updates. Derzeit gebe es noch drei "echte" Anbieter auf dem Markt, die teilweise auch von der Gematik zugelassen seien, so Kriedel. Dass aber alle Updates wie vorgesehen bis zum 1. Juli vorliegen, sei kaum noch zu erwarten. Und dann müssten diese Konnektoren erst noch mit dem Praxisverwaltungssystem (PVS) verbunden werden. Da müsse von den PVS-Herstellern noch viel Softwarearbeit geleistet werden.

Fristen sind kaum noch einzuhalten

Hinzu komme, dass der von der KBV geforderte Feldtest zur eAU wohl erst Mitte August werde starten können. Bis die Ergebnisse vorliegen, werde es mindestens sechs Wochen dauern – und dann sei die Frist zum 1. Oktober eigentlich schon verstrichen. Erkannte Mängel noch zu korrigieren, sei so praktisch unmöglich. Aus Sicht der KBV bedeutet das: Entweder muss man mit dem Feldtest früher beginnen oder der Starttermin für die eAU muss verschoben werden.

eRezept verzögert sich

Verschieben ist auch das Stichwort für das elektronische Rezept (eRezept). Das sollte eigentlich zum 1. Juli 2021 mit einer sechsmonatigen Testphase eingeführt werden, bevor die digitale Verordnung dann ab dem 1. Januar 2022 verpflichtend werden sollte. Aber hier hat die Gematik selbst die Reißleine gezogen. Jetzt soll der Einführungstest zunächst nur in Berlin und Brandenburg durchgeführt werden, teilte die Gematik mit. Die gewonnenen Erkenntnisse aus der Testphase im 3. Quartal sollen dann kontinuierlich in die anschließende bundesweite Einführungsphase im 4. Quartal einfließen, heißt es.

Statt Unterschrift braucht´s eine PIN

Tatsächlich kritisiert die KBV schon länger, dass für das eRezept ein kompliziertes Authentifizierungsprozedere benötigt wird. Wo bisher eine Unterschrift genügte, sollen Vertragsärzt:innen nun jedes Rezept mit einer Qualifizierten Elektronischen Signatur (QES) versehen und dazu eine lange PIN eingeben. Dafür wiederum brauchen sie den elektronischen Heilberufsausweis – siehe oben.

Die Gematik hatte den Kassenärzt:innen deshalb bereits im letzten Jahr eine sogenannte Komfortsignatur versprochen, bei der eine PIN nur einmalig eingegeben werden muss. Doch die lässt weiter auf sich warten, und das ist möglicherweise ein Grund für die Verschiebung des Starttermins für das eRezept.

Sanktionsdrohung aufheben

Für die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist das Tempo der Digitalisierung jedenfalls zu hoch, zumal die Vertragsarztpraxen derzeit auch noch vollauf mit dem Impfen gegen das Coronavirus beschäftigt sind. Da sei es unmöglich, dass sich Praxisinhaber:innen darum kümmern müssen, welche technischen Komponenten für die Telematikinfrastruktur wann wo eingeführt werden müssen, so Kriedel. Die KBV erwarte daher vom Gesetzgeber, dass er die Probleme zur Kenntnis nimmt und die angedrohten Sanktionen für Fristüberschreitungen aufhebt oder aber zumindest die Fristen verlängert.

Spahn gibt vorsichtige Entwarnung

Beim Deutschen Ärztetag versprach Minister Spahn denn auch schon einmal, dass dort, wo Ärzt:innen objektiv nicht für eventuelle Terminüberschreitungen verantwortlich zu machen sind, auch keine Sanktionierungen vorgenommen werden.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (6) Seite 28-29