"Ich weiß, man soll es nicht tun, aber ich habe das mal gegoogelt", ist ein häufiger Satz in der Sprechstunde. Dass Patient:innen dies tun, ist inzwischen normal und auch nichts Verwerfliches. Um sich nicht in den Irrungen und Wirrungen der Informationen zu verlieren, braucht es jedoch eine gute Medien- und Gesundheitskompetenz.

Denn es wird viel Falsches im Internet geraten, und das kann unsere Patient:innen verunsichern bis verängstigen. Inzwischen gibt es sogar einen Fachbegriff für gesundheitsbezogene Ängste, die durch eine dauernde Internetrecherche ausgelöst werden: Cyberchondrie.

Morbus Google: Das steckt dahinter

Das Wort Cyberchondrie ist eine Verbindung aus Hypochondrie und Cyber und wird umgangssprachlich auch als Morbus Google bezeichnet. Die Betroffenen verbringen viel Zeit damit, im Internet ihre Symptome zu googeln, und wähnen sich auch bei leichten Beschwerden in einem unheilbar kranken Zustandbzw. fürchten einen solchen. Die Cyberchondrie gehört zu den Angsterkrankungen. Manchmal dreht sich das gesamte Leben der Betroffenen darum, im Internet nach Symptomen, Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen zu suchen, was die Symptome durch die andauernde Beschäftigung mit ihnen wiederum verstärken kann. Auch der Nocebo-Effekt spielt eine Rolle, wenn in Erwartung der Symptome oder Nebenwirkungen eines Medikaments eben jene auch auftreten. Einige Patient:innen vermeiden in Erwartung einer ernsten Diagnose dann Arztbesuche, andere hoppen von Praxis zu Praxis und fühlen sich nicht ernst genommen: "Niemand glaubt mir!" oder "Keiner tut etwas!" − obwohl diverse Laboruntersuchungen, Bildgebungen, Behandlungen und der Gang in die Facharztpraxis erfolgten. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass hinter den vermeintlich organischen Beschwerden eine psychische oder psychosomatische Erkrankung steckt.

Diese Patientengruppe macht allerdings eine Minderheit aus. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung überwiegen die Fälle, in denen sich Patient:innen vor einem Arztbesuch informieren wollen, um gut vorbereitet in das Gespräch zu gehen. Nach dem Arztbesuch sind es sogar 63 % der Betroffenen, die mithilfe des Internets das Besprochene im Sinne einer Zweitmeinung überprüfen möchten. Aus den Zahlen kann man schließen, dass viele Menschen sowohl vor als auch nach dem Arztgang das Internet zurate ziehen. 52 % der Patient:innen, die Dr. Google befragt haben, sind laut der Studie zufrieden mit den Informationen, die sie auf diversen Gesundheitsportalen und Websites gefunden haben. Besonders beliebt sind Quellen wie Wikipedia, spezielle Gesundheitslexika, Portale wie NetDoktor und Onmeda sowie Angebote von Krankenkassen − weniger Selbsthilfegruppen und Online-Beratungen.

Interessant ist, dass die Fülle von Informationen, die das Internet bietet, von vielen Befragten in der Studie für ein Problem gehalten wurde − jedoch nicht für sich selbst. Sprich: Man traute der Allgemeinheit weniger zu, sich die benötigten Informationen auf seriösen Seiten zu beschaffen, als sich persönlich. Dabei wird in der Realität in den seltensten Fällen die Quelle der Information hinterfragt. Auch sind unabhängige, nicht durch Werbemittel finanzierte Gesundheitsseiten (z. B. gesundheitsinformation.de, www.deutschesgesundheitsportal.de) eher unbekannt oder man vertraut ihnen nicht mehr als zum Beispiel der evidenzbasierten Medizin fernstehenden Portalen.

Als problematisch kann es sich da erweisen, dass Patient:innen häufig nicht die reine Sachinformation suchen, sondern emotional ansprechende Seiten, Ratschläge außerhalb der Therapie und Meinungen Gleichgesinnter z. B. in Foren. Eine Information aus dem Internet wird als wahr eingestuft, wenn sie mehrfach auf diversen Seiten gelesen wurde, was das Risiko von Falschinformationen erhöht. Denn gerade, wenn man als Patient:in in eine spezifische medizinische "Blase" geraten ist (z.B. Homöopathie, Impfgegner), sorgen die Algorithmen für einen Verbleib in der Informationsblase und nur ähnliche Informationen werden angezeigt. Hinzu kommt, dass prinzipiell jeder Googelnde sich im Netz die Informationen herauspickt, die ihm bekannt vorkommen und die eigenen Erwartungen erfüllen (confirmation bias).

Wichtig ist also, mit Dr. Google umgehen zu lernen, und dies können wir unseren Patient:innen auch mitgeben. Viele Betroffene verschweigen ihrem Arzt ihre Onlinerecherche aus Sorge, ihn zu verärgern. Dabei haben laut Bertelsmann-Studie ca. 80 % der Hausärzt:innen kein Problem mit der Tatsache, dass vorab bereits nach Gesundheitsinformationen gesucht wird. Viele Patient:innen wünschen sich mehr Aufklärung bzw. Zeit, ihre Erkrankung zu verstehen. Leider ist uns diese Möglichkeit nicht immer gegeben. Man kann "Morbus Google" also auch als Chance verstehen. Patient:innen können das Internet effektiv für die eigene Gesundheit nutzen, den Arztbesuch ersetzt das natürlich nicht.

Insgesamt ist Dr. Google besser als sein Ruf − sofern man das richtige Werkzeug in die Hand gelegt bekommt. Betroffene können sich hier sachlich fundierte Informationen selbst heraussuchen und informierte Patient:innen sind wichtig für unsere Arbeit in der Hausarztpraxis! Arbeiten auf Augenhöhe ist heutzutage der Standard. Die veraltete Ansicht der "Götter in Weiß", auf die Patient:innen ohne Widerspruch hören müssen, hat ihren Platz in der Medizin verloren. Menschen mit bestehender Angsterkrankung sollten sich besser von der eigenen Recherche fernhalten, um die psychische Situation nicht zu verschlechtern.

Praxistipps für die Onlinesuche
  1. Präzise Suchanfragen stellen: Je unspezifischer die Suchanfrage ist, umso breiter gestreut sind die Ergebnisse. Wir kennen alle den Witz mit der defekten Zylinderkopfdichtung, die als Erkrankung bei jeder Google-Suche auftauchen soll. Werden z. B. generell Kopfschmerzen gegoogelt, taucht auch der Hirntumor als Diagnose auf. Kribbeln die Finger, wird die Multiple Sklerose angezeigt. Man kann Patient:innen hier den klassischen Rat geben: Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten. Die ernsten und schweren Diagnosen sind viel unwahrscheinlicher, als dass eine gängige, harmlose Erkrankung auftritt. Auch kann es bei der Suche sinnvoll sein, mehrere Begriffe in das Suchfeld einzugeben, um die angstmachenden Diagnosen gar nicht erst an erster Stelle der Suchergebnisse auftauchen zu lassen, sondern deutlich wahrscheinlichere, harmlose Ursachen (z. B. Kopfschmerzen und Nackenverspannung).
  2. Jede gute Information wird durch ihre Quellen bestätigt: Ein Artikel ohne Quellenangaben ist fraglich. Außerdem sollten Patient:innen einen Blick darauf werfen, wer hinter der Website steckt und ob überhaupt ein informatives Impressum angelegt wurde. Das afgis-Logo (Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem) auf der Seite bietet zusätzliche Sicherheit.
  3. Qualitätskriterien prüfen: Wie alt ist der Text? Werden die Autor:innen genannt? Gibt es angezeigte Interessenkonflikte? Werden im Text Alternativen aufgezeigt und wird über Risiken aufgeklärt, oder gibt es gar unseriöse Allheilversprechen? Ist eine Seite neutral oder wirbt sie für den Verkauf eigener Produkte, z. B. Nahrungsergänzung?



Literatur:
1. Patienten schätzen "Dr. Googles" Vielseitigkeit, Bertelsmann Stiftung, 2018: http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/januar/patienten-schaetzen-dr-googles-vielseitigkeit
3. Dr. Google – die Gefahren einer Recherche nach Krankheitssymptomen online, Deutsche Arzt AG, 2021
5. Confirmation Bias: Warum uns Fakten so schwer überzeugen


Autorin

© Fingerfoto.de/Franziska Finger
Dr. med. Ulrike Koock

A.i.W. Allgemeinmedizin
Praxis Quickenstedt und Ritterhoff in 63674 Altenstadt (Hessen)
Mitglied im Hausärztebeirat der doctors|today

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Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (3) Seite 58, 61