Scheinbar harmlose Geräte auf Kinderspielplätzen können zur Todesfalle mutieren, wenn sie zweckentfremdet bzw. viel zu intensiv genutzt werden. Im geschilderten Fall kam der junge Mann mit eindrucksvollen, aber ungefährlichen Hauterscheinungen davon.

Die Computertechnologie macht es einfach, mit preiswerten Aufnahmegeräten qualitativ akzeptable Videofilme mit geringem Aufwand zu produzieren. Die Selbstpublikation dieser Kurzfilme ("Clips") ist seit der initialen Gründung von "YouTube" im Jahr2005 inzwischen auf zahlreichen Internetplattformen mit nutzergenerierten Inhalten möglich. Die Bewertungen dieser Clips mit mehr oder weniger Applaus ("Likes") durch die Gemeinschaft ("Community") der "YouTuber" hat in den letzten Jahren zu einem rasanten Wettbewerb ("Challenge") um immer spektakulärere Actionvideos geführt. Ein besonderes Genre sind waghalsige Stunts, deren Gefahrenpotenzial von den Akteuren gerne übersehen wird.

Der Fall

Das geschilderte Ereignis liegt Jahre zurück und spielte sich an einem feuchtwarmen Juniwochenende im Dunstkreis eines Open-Air-Festivals ab. Drei befreundete und angetrunkene Jugendliche beschlossen am frühen Abend, in einem mit Armkraft rotierbaren Drehkarussell des angrenzenden Kinderspielplatzes ein aufsehenerregendes Video für YouTube zu drehen. Der 21-jährige N.N. nahm deshalb auf der umlaufenden Bank des Drehkarussells Platz und einer seiner Freunde begann, das Gerät mit viel Körpereinsatz und Kraft über die zentrale Drehscheibe in Rotation zu versetzen. Der Dritte im Bunde filmte das später auf YouTube einsehbare Geschehen.

Der Vorgang war kurz, weil sich N.N. wohl alkoholbedingt nur einige Umdrehungen lang im Drehkarussell halten konnte – rückblickend wohl sein Glück. Wie man auf dem Video sehen konnte, wurde er rücklings über die Lehne der Karussellbank aus dem Gerät herausgeschleudert. Seiner späteren Aussage zufolge sei er danach zwar benommen, aber nicht bewusstlos gewesen und habe so den Heimweg angetreten. Als er gegen Mittag des folgenden Tages aufwachte, sei er "brutal" erschrocken, weil sein rechtes Auge vollkommen rot und beide Augenhöhlen von "roten Pünktchen" umgeben waren (Abb. 1). In der Notfallsprechstunde schilderte er den Hergang exakt so, wie er auch in dem Video zu sehen war. Erkennbar war, dass es zu keinem direkten Trauma gegen den Schädel oder die Augen gekommen war. Bei der äußerlichen Untersuchung der Augen fand sich eine ausgedehnte, flächenhafte Unterblutung der Augenbindehaut (Hyposphagma) rechts bei uneingeschränkter Beweglichkeit beider Bulbi. Der Visus beider Augen war subjektiv unverändert, Doppelbilder oder ein eingeschränktes Gesichtsfeld lagen fingerperimetrisch nicht vor. Die Umgebung beider Orbitae war übersät mit gut erkennbaren, stecknadelkopfgroßen, nicht wegdrückbaren petechialen Blutungen. Weil sich vonseiten des Herz-Kreislauf-Systems und bei der orientierenden neurologischen/HNO-ärztlichen Untersuchung keine Besonderheiten fanden, wurde zur abwartenden Beobachtung und ergänzenden Vorstellung bei einer Augenärzt:in geraten.

Was macht diese Krankengeschichte so speziell?

Die Besonderheiten liegen im Hergang und der damit verbundenen Symptomatik. In den letzten Jahren kam es in der Presse [1, 2] immer wieder zur Thematisierung filmisch dokumentierter Stunts[3] von Jugendlichen auf Drehkarussellen, die zu Verletzungen, sogar mit Todesfolge, führten. Dies kann der Fall sein, wenn das Drehkarussell nicht von Hand, sondern durch Motorkraft (Motorrad, Auto) beschleunigt wird. Von den Jugendlichen werden die hier wirkenden Kräfte, denen sonst nur trainierte Piloten ausgesetzt sind, mit Sicherheit unterschätzt. Entsprechend äußerte sich einer der Beteiligten [4] bei einer derartigen tödlich endenden Mutprobe vor Gericht: "Uns war zu keiner Zeit bewusst, dass das so ausgehen kann."

Alltagsphysik am menschlichen Körper

Der im rotierenden Drehkarussell sitzende Mensch wird auf einer Kreisbahn beschleunigt. Die Zentripetalkraft, die er mit den Armen aufbringen muss, fixiert ihn auf seinem Platz. Erlahmt die Haltearbeit in den Armen, fällt die Zentripetalkraft weg und der beschleunigte Körper wird aus der Kreisbahn herausgeschleudert. Während der Rotation im Karussell wirkt der Zentripetalkraft die Zentrifugalkraft entgegen. Sie verschiebt Blutvolumen vom Körper in die Kopfgefäße und erhöht dort Druck und Füllungszustand. Dadurch sind vielfältige Probleme möglich. Ein spektakulärer Effekt sind Hyposphagmata der Augen, in schwereren Fällen können aber auch Netzhautgefäße mit der Folge visueller Störungen betroffen sein. Im Flugsport tritt diese Situation beispielsweise ein, wenn Piloten während eines Flugmanövers plötzlich steil abtauchen (Einleitung eines Auswärtsloopings) und ihren Körper negativen Beschleunigungskräften aussetzen.

Durch den erhöhten Blutdruck im Kopf- und Gesichtsbereich sind dann auch Gefäßläsionen möglich, die als periorbitale Petechien imponieren können – wie in unserem Fall. Weil die Reißfestigkeit der Hirngefäße geringer ist als die der übrigen Gefäße, droht bei derartigen Belastungen auch ein zerebrales Rupturrisiko mit ernsthaften Konsequenzen [1].

Was war erkennbar, wie kam es zustande, was ist zu tun?

Interessanterweise kam N.N. nur deshalb in die Notfallsprechstunde, weil ihn der Anblick seines rot unterlaufenen Auges erschreckte. Dabei ist eine Traumatisierung des Auges außerhalb der Arbeit gar nicht so selten. So konnte schon früher[5] gezeigt werden, dass über 40 % okulärer Traumen bei Freizeitbeschäftigungen auftraten. 85 % der Verletzten waren Männer und die Hälfte aller Verunfallten 10 bis 29Jahre alt. Das erkennbare Hyposphagma des rechten Auges (Abb. 1) wurde wohl durch die Ruptur eines kleinen Gefäßes ausgelöst, was dann zu einer subkonjunktivalen Unterblutung führte. Hyposphagmata sehen zwar dramatisch aus, stellen aber per se noch keine Gefährdung des Auges dar. Allerdings sollten bei der Anamneseerhebung mögliche Ausgangs- und/oder Auslösebedingungen (Bluthochdruck, Lungenerkrankung mit Hustenattacken, primäre oder sekundäre Gerinnungsstörungen, Vasopathien, Einnahme von Gerinnungshemmern, ruckartiges Bewegen schwerer Lasten, Durchführung eines Valsalva-Manövers) bedacht werden. Eine augenärztliche Abklärung wird erforderlich, wenn von einem Druckgefühl am Auge, einer akut und neu aufgetretenen Sehminderung, Kopfschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen, Augenschmerzen oder okulären Missempfindungen mit einem permanenten Zwang zum Augenreiben berichtet wird. Tritt das Hyposphagma zeitnah (<24h) nach einem Schädeltrauma auf, muss eine Schädelbasisfraktur ausgeschlossen werden. Ein gewöhnliches Hyposphagma bedarf üblicherweise keiner Behandlung und bildet sich spontan wieder zurück. Bei Benetzungs- oder Lidschlussstörungen können Tränenersatzmittel verordnet werden [6].

Die in der Umgebung der Orbitae aufgetretenen Petechien (Abb. 1) werden den hämorrhagischen Effloreszenzen zugeordnet. Dabei handelt es sich um eine multikausale Symptomgruppe mit einem verbindenden Merkmal: die Extravasation von Erythrozyten, die klinisch durch das fehlende Abblassen auf Glasspateldruck überprüft werden kann [7]. Im beschriebenen Fall wurden die Petechien und das Hyposphagma durch Änderungen der Druckverhältnisse und/oder eine Blutanreicherung in den Kopf- und Gesichtsgefäßen durch die Drehbeschleunigung induziert. Es gibt aber noch andere Auslöser: Gewalteinwirkungen gegen den Hals mit einer Kompression der Gefäße, Einflussstauungen kardialer Genese oder bei Kopftieflage, Druckeinwirkungen auf den Brustkorb, Fettembolien mit sekundärer Mikroinfarzierung, Blutdruckspitzen bei krampfartigen Hustenanfällen, Wehen oder forciertes Erbrechen [8].

Was ist ein Forellenphänomen?

Periorbital und symmetrisch auftretende Petechien werden als Forellenphänomen bezeichnet. Der Begriff wurde im 18./19. Jh. durch G. van Swieten, A. Trousseau und G. Andral geprägt [8] und rührt wohl daher, dass Bild und Verteilungsmuster der petechialen Einblutungen an die Hautzeichnung einer Forelle erinnern. Die klinische Bedeutung liegt darin, dass ein Forellenphänomen, auch mit begleitenden Hyposphagmata, während der tonischen Anfallsphase einer Grand-mal-Epilepsie durch die kapilläre Blutstauung entstehen und daher ein wichtiges Indiz sein kann, wenn nächtliche epileptische Anfälle zur Diskussion stehen [9, 10].

Wie ging es weiter?

Der Drehkarussellstunt blieb für den Patienten gesundheitlich folgenlos. Das zum Arztbesuch führende Hyposphagma des rechten Auges und die begleitenden periorbitalen Petechien verblassten innerhalb weniger Tage. Eine Kontrolluntersuchung beim Augenarzt wurde nicht wahrgenommen.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Während der Rotation im Karussell wirkt der Zentripetalkraft die Zentrifugalkraft entgegen.
  • Die Zentrifugalkraft verschiebt Blutvolumen vom Körper in die Kopfgefäße und erhöht dort den Druck.
  • Dadurch sind Gefäßläsionen und Rupturen möglich.


Literatur:
1. N. N. "Boy, 11, receiving counselling after ,roundabout of death‘ stunt", https:// http://www.lincolnshirelive.co.uk/news/local-news/boy-11-receiving-counselling-after-2642767 (zuletzt eingesehen: 12.09.2021)
2. N. N. "Unfall auf Spielplatz: Junger Mann stirbt bei Mutprobe", http://https://www.sueddeutsche.de/bayern/unfall-auf-spielplatz-junger-mann-stirbt-bei-mutprobe-1.1457437 (zuletzt eingesehen: 12.09.2021)
3. C. Brice "roller moped karussell extrem"-Video auf Dailymotion, 19.05.2017 (zuletzt eingesehen: 19.09.2021)
4. N. N. "21-Jähriger muss Sozialstunden ableisten", http://https://www.sueddeutsche.de/bayern/nach-toedlicher-mutprobe-21-jaehriger-muss-sozialstunden-ableisten-1.1796980 (zuletzt eingesehen: 12.09.2021)
5. Viestenz A, Küchle M. Eine retrospektive Analyse von 417 Kontusionen und Bulbusrupturen und häufig vermeidbarer Unfallursachen: Das Erlanger Okuläre Contusions-Register (EOCR) 1985 bis 1995. Klin Monbl Augenheilkd 2001; 218 (10): 662–669
6. Hos D, Cursiefen C. Trockenes Auge und saisonale allergische Konjunktivitis. Bei Augenproblemen genau hinsehen. doctors.today 2021; 4: 36–39
7. Elling R, Hufnagel M, Henneke P. Infektassoziierte Hautblutungen. Monatsschr Kinderheilkd. 2012; 160 (6): 545–555
8. Windgassen M, Wetter C, Ramsthaler F. Forellenphänomen. Rechtsmedizin 2015; 25: 481–484
9. Niggemeier V, Huber U, Ballmer P. Eine Regenbogenforelle auf der Notfallstation. Schweiz Med Forum 2010; 10: 70–70
10. Bauer J, Güldenberg V, Elger CE. Das "Forellenphänomen": Ein seltenes Symptom epileptischer Anfälle. Der Nervenarzt 1993, 64: 394–395 (zit. nach: Kurlemann G. Fall des Monats 04/2005 in http://www.epilepsie-netz.de/11d285/Interessante_Faelle.htm


Autor

Dr. Fritz Meyer

Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin – Ernährungsmedizin (KÄB), Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
86732 Oettingen/Bayern
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (2) Seite 44-46