Jetzt sage noch einer, diese Entwicklung sei angesichts der Überalterung der Bevölkerung und des medizinischen Fortschritts nicht vorhersehbar gewesen: So haben Krankheiten im Jahr 2020 in Deutschland 28 % mehr an Kosten verursacht (431,8 Mrd. €) als noch im Jahr 2015. Entsprechend haben auch die durchschnittlichen Pro-Kopf-Kosten zugelegt, und zwar um 25 % auf 5.190 €. Da schlagen vor allem die Krankheitskosten der 2,5 Millionen Menschen über 85 Jahre zu Buche, ein Patientenstamm, mit dem zunehmend auch die hausärztlich tätigen Ärzt:innen zu tun haben. Diese Kosten lagen 2020 im Schnitt bei 25.350 € pro Kopf und damit mehr als 10-mal so hoch wie bei den unter 15-Jährigen (2.440 €). Damit folgen die Krankheitskosten einem Altersgradienten: Über die Hälfte entfiel im Jahr 2020 auf die Bevölkerung ab 65 Jahren, die Tendenz ist steigend. Die Folge: 2023 kommt auf die Gesetzliche Krankenversicherung wohl ein Defizit von satten 17 Mrd. € zu.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen an der Spitze

Die Krebserkrankungen sind dabei jedoch nicht der stärkste Kostentreiber, wie immer wieder vermutet wird. Tatsächlich rangieren diese mit 43,8 Mrd. € noch hinter den Ausgaben für die Krankheiten des Verdauungssystems und liegen erst an vierter Stelle in der Ausgabenstatistik (10,1 % der Gesamtkosten). Deutlich am meisten Mittel verschlangen 2020 die Erkrankungen des Kreislaufsystems (56,7 Mrd. €). Fast genauso hoch waren mit 56,4 Mrd. € die Kosten, die aus psychischen und Verhaltensstörungen resultieren (beide: 13,1 % der Gesamtkosten). Da hat sich gewaltig was verändert: 2002 lag der Gesamtkostenanteil für Kreislauferkrankungen noch bei 15,4 % und damit um 4,4 Prozentpunkte höher als die Kosten für psychische und Verhaltensstörungen.

Vorhersehbar ist heute schon, dass sich die Kostenspirale weiter kräftig nach oben drehen wird. Denn die richtig teuren Baby-Boomer-Jahrgänge kommen ja erst noch. In der Hausarztpraxis, in der besonders viele ältere und kostenintensive Patient:innen versorgt werden müssen, wird das besonders stark spürbar sein.

Ressourcen schonen

Deshalb müssen Staat und Regierung jetzt endlich eine vorausschauende Gesundheitspolitik einläuten. Höhere Kassenbeiträge können sie angesichts der weithin davongaloppierenden Preise und der satten Inflation kaum einziehen. Bei den Leistungen abzuspecken ist politisch heikel und nur begrenzt möglich. Bleiben zwei Möglichkeiten übrig: Noch mehr Geld in Form steuerfinanzierter Finanzmittel ins System schütten. Mindestens genauso wichtig wäre es aber, die Gesundheitspolitik endlich in ressourcenschonendere Bahnen zu lenken: Etablierung eines Primärversorgungssystems, eine "echte" sektorübergreifende Versorgung, Positivliste und Bürokratieabbau. Das würde den Geldbeutel aller schonen und uns Beitragszahler:innen mehr Sicherheit bieten – in diesen unsicheren Zeiten ein Gut von allerhöchstem Wert,


... meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 33