Erkrankungen der Gaumenmandeln gehören zu den häufigsten im Rachenbereich, die in der Regel auch von Hausärzt:innen behandelt werden. Welche ambulant vorkommenden Probleme dabei auftreten können und wie ein strukturiertes Vorgehen im hausärztlichen Bereich aussehen sollte, wird im Folgenden anhand von Kasuistiken diskutiert. Dabei geht es auch um die Frage, wann eine Tonsillotomie oder eine Tonsillektomie indiziert ist.

Kasuistik 1: Rezidivierende akute Tonsillitis
Die Vorstellung einer 19-jährigen Patientin beim HNO-Facharzt erfolgte bei 2019 und 2020 jeweils sechs stattgehabten, akuten, antibiotikapflichtigen Tonsillitiden. 2021 bestanden bei Vorstellung Anfang März zwei akute, antibiotikapflichtige Tonsillitiden. Die Tonsillen zeigten sich beidseits hyperplastisch und zerklüftet (Abb. 1). Gemäß AWMF-S2k-Leitlinie Nr. 017/024 [1] wurde die Indikation zur Operation gestellt. Sie wurde über das Zweitmeinungsverfahren [2] aufgeklärt. Dies lehnte sie ab, sodass ein Termin zur Operation vereinbart wurde. Weiterhin wurde sie über die TOTO-Studie [3] informiert, die in einer randomisierten, deutschlandweiten Multicenter-Studie prüft, ob die Tonsillotomie der Tonsillektomie in der Behandlung der rezidivierenden akuten Tonsillitis nicht unterlegen ist. Die Operation steht aktuell noch aus.

Kasuistik 2: Massive Tonsillenhyperplasie
Beim HNO-Facharzt erfolgte die Vorstellung eines 3-jährigen Jungen mit Rhonchopathie und Atemaussetzern, überwiegender Mundatmung mit Infektneigung. Zudem war aufgefallen, dass er beidseits schlechter höre und die Sprachentwicklung nicht altersentsprechend sei. In der Untersuchung zeigten sich Paukenergüsse beidseits, Sekret in beiden Nasenhaupthöhlen, eine Tonsillenhyperplasie beidseits (Abb. 2) sowie Sekret an der Rachenhinterwand. Im Reintonaudiogramm ergaben sich eine Schallleitungsschwerhörigkeit beidseits von 20 dB sowie beidseits flache Tympanogramme. Es wurde die Diagnose adenotonsilläre Hyperplasie mit chronischer Otitis media beidseits gestellt und ein Termin zur Tonsillotomie beidseits, Adenotomie, Parazentese, ggf. Paukendrainage beidseits vereinbart.

Kasuistik 3: Peritonsillarabszess
Ein 40-jähriger Patient stellte sich notfallmäßig mit seit 2 Tagen bestehenden, rechtsseitigen Schluckbeschwerden mit stärksten Schmerzen vor. Die Kieferöffnung war kaum möglich, sodass er seit einem Tag nichts mehr gegessen und kaum getrunken hätte. In der HNO-Untersuchung zeigte sich eine Vorwölbung und Rötung des vorderen Gaumenbogens rechts (Abb. 3) bei Kieferöffnung von 2 cm. Es wurde die Indikation zur notfallmäßigen Abszesstonsillektomie rechts gestellt, wobei sich der vermutete Abszess intraoperativ bestätigte.

Die häufigsten Krankheitsbilder der Gaumenmandel, die eine Hausärzt:in behandelt, sind die akute Tonsillitis, die rezidivierende akute Tonsillitis, der in der Regel einseitige Peritonsillarabszess sowie eine adenotonsilläre Hyperplasie bei Kindern. Während die akute Tonsillitis viral bedingt ist, sind die rezidivierende akute Tonsillitis und der Peritonsillarabszess bakterielle Erkrankungen, die antibiotisch behandelt werden. Seltener sind die nicht entzündlichen Erkrankungen wie Tonsillenkarzinom (Abb. 4) oder Lymphom, welches insbesondere bei Patienten ab 40 Jahren, Ulzerationen und einseitiger Vergrößerung der Gaumenmandel als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden sollte.

Strukturiertes Vorgehen im hausärztlichen Bereich

Es ist zu empfehlen, eine HNO-Kolleg:in frühzeitig in die Behandlung einzubeziehen, wenn folgende Konstellationen vorliegen: Patienten ab drei akuten, antibiotikapflichtigen Tonsillitiden im Jahr, Patienten mit Verdacht auf Peritonsillarabszess als Notfallindikation noch am selbigen Tag, Kinder mit adenotonsillärer Hyperplasie, insbesondere in Kombination mit Hörstörungen, Patienten mit nicht heilenden und suspekten Befunden der Gaumenmandel.

Da sich Patienten mit Erkrankungen der Gaumenmandel sehr häufig zuerst in einer hausärztlichen Praxis vorstellen, spielt die Hausärzt:in hier als Schnittstelle zur HNO-Ärzt:in eine wesentliche Rolle. Bei Hinweis auf eine Chronifizierung einer Tonsillitis im Sinne einer rezidivierenden akuten Tonsillitis ist eine frühzeitige Vorstellung bei einer HNO-Ärzt:in empfehlenswert, denn sie ist insbesondere hinsichtlich der Entscheidung zum Verlassen einer konservativen und Einleiten einer operativen Therapie unabdingbar. Dabei ist es in den letzten Jahren zu einem Umdenken hinsichtlich der Tonsillenchirurgie gekommen [1].

Konservative Therapien sollten ausgeschöpft werden, bevor eine Operation indiziert wird. Gerade werden in einer multizentrischen, randomisierten, kontrollierten Untersuchung bei Erwachsenen mit rezidivierender akuter Tonsillitis klinische Erfolge und Kosteneffektivität zwischen Tonsillektomie und konservativer Therapie verglichen. Der primäre Endpunkt ist die Anzahl an Tagen mit Halsschmerzen innerhalb der Nachbeobachtungszeit von 24 Monaten. Die Ergebnisse dieser Studie stehen aktuell noch aus [6].

Indikationen für Tonsillotomie und Tonsillektomie

Seit Veröffentlichung der Bertelsmann Stiftung "Faktencheck Gesundheit: Entfernung der Gaumenmandeln bei Kindern und Jugendlichen" [4] im Jahr 2013 wird besonders stark über die Notwendigkeit einer Tonsillenchirurgie diskutiert. Damals wurde eine zu hohe, nicht medizinisch begründbare, regionale Variation der Anzahl der Tonsillenoperationen in Deutschland festgestellt. Bereits davor war in Deutschland eine viele Jahrzehnte zuvor verlassene Operationstechnik wiederentdeckt worden. Die Tonsillotomie, durchgeführt in verschiedenen OP-Techniken, wird seither mit ständig steigender Zahl zur Behandlung der Tonsillenhyperplasie mit oberer Atemwegsobstruktion bei Kindern mit guten Behandlungserfolgen eingesetzt. Der Wunsch nach besseren Qualitätssicherungsverfahren zur Indikationsstellung wurde lauter und eröffnete schließlich die Debatte, wann eine Tonsillektomie und wann eine Tonsillotomie indiziert ist. In Studien konnte gezeigt werden, dass die Tonsillektomie, durchgeführt bei rezidivierender akuter Tonsillitis, zu einer mäßigen Beschwerdebesserung bei Kindern und geringen Beschwerdebesserung bei Erwachsenen führt [1]. Insbesondere Patient:innen mit schweren Entzündungen des lymphatischen Gewebes der Gaumenmandel profitieren von einer Tonsillektomie. Diese schwere Entzündung allein anhand der Anamnese und des klinischen Untersuchungsbefundes festzustellen ist sehr schwierig.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat schließlich im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersucht, ob die Tonsillotomie Vorteile gegenüber der Tonsillektomie bietet [5]. Im Wesentlichen wurden kurzfristige Vorteile für die Tonsillotomie erkannt. Der langfristige Nutzen ist unklar (Tabelle 1).

2019 wurde vom G-BA als Folge des IQWiG-Berichts die Tonsillotomie für die Behandlung der Hyperplasie der Gaumenmandeln in den Katalog für das ambulante Operieren aufgenommen. Die Tonsillotomie ist nun als Regelleistung zur Behandlung der symptomatischen Tonsillenhyperplasie zugelassen. Nichtsdestotrotz wurde bei den meisten Studien zur Behandlung des obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms (OSAS) durch Tonsillenchirurgie die Tonsillektomie als Standardverfahren verwendet [7]. Obwohl aktuelle Daten nahelegen, dass die Tonsillotomie hier zumindest gleichwertig ist, fehlen große vergleichende klinische Studien [8].

Da der Nutzen zur Behandlung einer rezidivierenden akuten Tonsillitis unklar sei, wurde eine Erprobungsstudie zur Aufklärung ausgeschrieben. Als Ergebnis dieses Ausschreibungsverfahrens wurde schließlich im Dezember 2019 eine Bietergemeinschaft aus Universitätsklinikum Jena, Deutscher Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. und dem Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e. V. vom G-BA beauftragt, die geplante Studie zur Tonsillotomie wissenschaftlich zu begleiten und die Ergebnisse auszuwerten. Diese Erprobungsstudie mit dem Titel "Tonsillektomie versus Tonsillotomie bei Kindern und Erwachsenen mit rezidivierender akuter Tonsillitis: Eine kontrollierte, randomisierte Nichtunterlegenheits-Studie" (Akronym: TOTO) startete Ende 2020 [3]. Anhand dieser kontrollierten, randomisierten, multizentrischen, zweiarmigen, unverblindeten Studie wird geprüft, inwieweit die Tonsillotomie der Tonsillektomie für die Behandlung der rezidivierenden akuten Tonsillitis nicht unterlegen ist. Es sind in Deutschland 21 Zentren beteiligt, um 454 Patienten zu rekrutieren. Die Anzahl symptomatischer Entzündungen im Hals-Rachenraum wird innerhalb von 24 Monaten nach OP mit einer App einmal wöchentlich erfragt. Patient:innen ab 3 Jahren können eingeschlossen werden. Die Ein- und Ausschlusskriterien sind in Tabelle 2 beschrieben (https://toto-studie.hno.org).

Zusätzlich wurde die Tonsillenoperation vom G-BA als mengenrelevanter Eingriff eingeordnet und 2018 ein Zweitmeinungsverfahren erlassen. Patient:innen haben seither das formalisierte Recht, bei einer Indikationsstellung und Operationsempfehlung zunächst noch eine zweite ärztliche Meinung einzuholen [2].

Auch wenn die Tonsillotomie und Tonsillektomie über viele Jahre bewährte chirurgische Verfahren in der HNO-Heilkunde darstellen, sind viele Fragen zur Indikation offen. Die vielen laufenden Studien werden hoffentlich zur Klärung beitragen. Aktuell kann nur aus der Schwere des individuellen Krankheitsverlaufs, den anatomischen Gegebenheiten und Patientenbesonderheiten die Indikation zu einer Tonsillektomie bzw. Tonsillotomie im ausführlichen Gespräch zwischen Patient:innen sowie HNO- und Hausärzt:innen abgeleitet werden.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Konservative Therapien sollten ausgeschöpft werden, bevor eine Operation indiziert ist.
  • Bei Hinweis auf eine Chronifizierung einer Tonsillitis ist eine frühzeitige Vorstellung in einer HNO-Praxis empfehlenswert.
  • Die Tonsillotomie ist seit 2019 als Regelleistung zur Behandlung der symptomatischen Tonsillenhyperplasie zugelassen.


Literatur:
1. AWMF-Leitlinie: Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln – Tonsillitis. 2016. Nr. 017/024.
2. www.g-ba.de/beschluesse/3079/
3. Guntinas-Lichius O, Geißler K, Asendorf T, Tostmann R, Löhler J. Tonsillectomy versus tonsillotomy for recurrent acute tonsillitis in children and adults (TOTO): study protocol for a randomized non-inferiority trial. Trials. 2021; 22(1): 479.
4. Nolting HD, Zich K, Deckenbach B. Faktencheck Gesundheit. Entfernung der Gaumenmandeln bei Kindern und Jugendlichen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. 2013.
5. www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/nichtmedikamentoese-verfahren/n15-11-tonsillotomiebei-rezidivierender-akuter-tonsillitis-und-bei-hyperplasieder-tonsillen.7133.html
6. Rubie I, Haighton C, O‘Hara J, Rousseau N, Steen N, Stocken DD, Sullivan F, Vale L, Wilkes S, Wilson J. The NAtional randomised controlled Trial of Tonsillectomy IN Adults (NATTINA): A clinical and cost-effectiveness study: study protocol for a randomised control trial. Trials. 2015; 16: 263.
7. Venekamp RP, Hearne BJ, Chandrasekharan D, Blackshaw H, Lim J, Schilder AGM. Tonsillectomy or adenotonsillectomy versus non-surgical management for obstructive sleep-disordered breathing in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015; 10: CD011165.
8. Gorman D, Ogston S, Hussain SS. Improvement in symptoms of obstructive sleep apnoea in children following tonsillectomy versus tonsillotomy: a systematic review and meta-analysis. Clinical Otolaryngology 2017; 42: 275–282.


Autor:innen

Dr. med. Katharina Geißler

Prof. Dr. med. Orlando Guntinas-Lichius
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
Interessenkonflikte: Die Autor:innen haben keine deklariert

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Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (4) Seite 32-37