Unser Gesundheitswesen gehört trotz aller Problemstellungen immer noch zu den besten der Welt, aber Ärzt:innen, Kliniken und Medikamente reichen nicht aus, um eine der größten Krankheitsursachen in den Griff zu bekommen: Armut.

Während sich die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als Ganzes positiv verändert, können sich immer mehr Menschen eine grundlegende gesundheitliche Versorgung nicht mehr leisten. Eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik darf daher die vulnerablen Gruppen wie sozial benachteiligte Personengruppen sowie Kinder & Jugendliche nicht aus dem Blick verlieren. Das war eines der zentralen Ergebnisse des diesjährigen Kongresses "Armut und Gesundheit". Zu den Forderungen der Expert:innen gehörten u. a. eine Stärkung der GKV, mehr Vorrang für die Verhältnisprävention durch die Förderung gesunder Lebenswelten, aber auch die Neustrukturierung der Gesundheitsdienste.

Menschen mit niedriger Bildung und beruflicher Stellung oder wenig Einkommen sterben früher, leiden eher unter chronischen Erkrankungen und zeigen − in ihrem ohnehin kürzeren Leben − häufiger gesundheitliche Beeinträchtigungen. Das gilt auch für krankheitsbedingte Einschränkungen in Alltagsgestaltung und Lebensqualität durch individuelle Faktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht oder Hypertonie. Das Risiko für eine psychische Erkrankung ist z. B. bei einem Langzeitarbeitslosen etwa doppelt so hoch, die Sterblichkeit ist um den Faktor 1,6 erhöht. Im Umkehrschluss treiben chronische Erkrankungen Menschen immer häufiger in die Verschuldung und erzeugen so ihrerseits Armut. Videosprechstunde oder DiGA helfen hier nicht weiter: Es mangelt gerade hier an den technischen Möglichkeiten und gleichzeitig an einer grundlegenden navigativen Gesundheitskompetenz (Fähigkeit zur Orientierung im Gesundheitssystem). Gleichzeitig treffen die Auswirkungen von COVID-19 diese Menschen stärker: Sie infizieren sich häufiger und erkranken schwerwiegender. Auch, weil sie eher in systemrelevanten Berufen mit höherem Ansteckungsrisiko arbeiten (z. B. Pflege oder Supermarkt), beengten Lebensverhältnissen ausgesetzt sind (schlechte Isolationsmöglichkeiten) und weniger Chancen haben, ihre Arbeit im Homeoffice zu absolvieren. Einkommensschwächere sind härter von direkten oder indirekten Krisenfolgen betroffen: Sie verlieren eher den Job, haben weniger Kompensationsmöglichkeiten (finanziell und sozial). Kinder und Jugendliche treffen die Einschränkung sozialer Angebote, mehr Stress im familiären Umfeld und weniger Sozialkontakte besonders hart. Gleichzeitig spiegeln sich Einschränkungen und die damit verbundenden psychosozialen Belastungen auch langfristig im Gesundheitsverhalten wider (z. B. psychische Probleme, Bewegungsmangel).


Mehr Gesundheit bedeutet, Risiken zu vermeiden und Ressourcen zu stärken: Das beinhaltet auch einen gerechten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Durch langfristige Reduzierung der Gesundheitskosten profitiert davon auch das staatlich finanzierte Gesundheitssystem als Ganzes. Bezogen auf die Jüngsten könnte der nationale Aktionsplan "Neue Chancen für Kinder in Deutschland" ein wichtiger, wenn auch nur erster Schritt sein.


Literatur:
1. Verringerung digital vermittelter gesundheitlicher Ungleichheit in gesundheits- und teilhabepolitischer Perspektive, März 2022: http://www.armut-und-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Kongress/Kongress_2022/Online-Doku_2022/59282_Steffens.pdf
3. COVID-19 und soziale Ungleichheit. Public Health Forum, März 2021
4. Perspektiven für die Kinder- und Jugendpolitik im investierenden Sozialstaat. Mehr Chancen in benachteiligenden Lebenslagen durch gemeinsames Handeln. Stiftung SPI, Dezember 2021: http://www.prognos.com/sites/default/files/2022-02/prognos_220222_Policy_Paper_soziale_Praevention_final.pdf
5. Studie zu Folgen der Pandemie auf psychische Gesundheit von Brandenburger Kindern: Pandemie verschärft soziale Ungleichheit, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz in Brandenburg, März 2022: http://msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/presse/pressemitteilungen/detail/~23-03-2022-ergebnisse-der-copsy-studie-brandenburg
6. Auswirkungen von Armut auf den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen Ergebnisse aus KiGGS Welle 2, September 2019: http://link.springer.com/article/10.1007/s00103-019-03009-6

Sabine Mack



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (8) Seite 55