"Wäär negs derhaierd und negs dererbd, där blaibd a Lumb, bis dass er schderbd."So wird zumindest in Unterfranken eine volkstümliche Lebenserfahrung kommuniziert. Fazit: Ohne Erbschaft oder eine "gute Partie" ist es schwierig, viel Kohle im Tender zu haben. Durch harte Arbeit wird man eben nur müde, ganz selten richtig reich. Das scheint sich herumgesprochen zu haben. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die altmodische und fast schon totgesagte Ehe plötzlich wieder en vogue ist. In den letzten fünf Jahren bekräftigten gemittelt mehr als vierhunderttausend Paare in Deutschland das ominöse "Ja" zum Lebensbund. Mann und Frau halten ihr Vermögen zusammen, getreu dem bäuerlichen Leitspruch: "Liebe vergeht, Hektar besteht."

Bei so viel Beharrlichkeit lässt sich getrost auf den Erbfall warten. Peinlich nur, wenn er zum Ausfall wird, weil der Erblasser noch unmittelbar vorm Abblassen seinen vormals letzten Willen geändert hat. Plötzlich stehen Hinterbliebene in spe mit unerwartet leeren Händen da und schon beginnt die schönste Familienfehde. Vom Modergeruch der Neidgenossenschaft umweht haben Erbstreitigkeiten derzeit Konjunktur. "Geht die Dschunke unter, ist der Hai zur Stelle", heißt es dazu in Südostasien.

Ich hatte während meiner Praxistätigkeit insgesamt dreimal die Ehre, in derlei Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Dummerweise war ich stets der Hausarzt jener Unglücklichen, die sich im Unfrieden mit ihrer Sippschaft aus dem Weltenlauf verabschiedeten. Der letzte Fall meiner Berufskarriere wurde kürzlich gerichtsmäßig, weil eine Tochter aus der ersten Ehe des Verstorbenen ihre schlummernden Familienbande neu entdeckt hatte. Statt dem alten Herrn unter die Arme, wollte sie aber lieber in dessen Taschen greifen. Jetzt wurde ich auf das amtsgerichtliche Schlachtfeld gerufen. Posthum sollte ich meine Einschätzung zur Testierfähigkeit des Verblichenen äußern, umzingelt von vier ernst blickenden Herrschaften, drei Jurist:innen und einem Fachgutachter. Doch mein abrechnungsakrobatisch gestähltes Gedächtnis vereint mit einer peniblen Karteiführung half weiter. So konnte ich detailliert belegen, wann und wo ich welche Beobachtung zur kognitiven Befindlichkeit des Verstorbenen gemacht hatte.

Am schwersten zählte aber, dass ich das dreißigjährige, harmonisch zugewandte Miteinander des Ehepaares mit warmen Worten schildern konnte. Am mitfühlenden Nicken der Richterin war erkennbar, dass ich wohl die richtige Saite angeschlagen hatte. Trotzdem frage ich mich: Was hätte wohl der Verstorbene zu diesem unwürdigen Hickhack um seinen letzten Wunsch gesagt, in dem ganz klar die Ehefrau Erbin sein sollte? Doch gibt es Alternativen zum "Letzten Willen"? Den "Letzten Unwillen" vielleicht? Ihn habe ich kürzlich als große Aufschrift auf dem Heck eines feudalen Fernreisemobils gelesen: "Reise vor dem Sterben, sonst reisen deine Erben." Verbraten statt Vererben. Zugegeben: Die Idee hat einen gewissen Charme.


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (7) Seite 63