Zumindest was meine Lesegewohnheiten angeht, bin ich altmodisch. So darf ich mich zu jenen 40% der lesenden Bevölkerung bekennen, die ihre Zeitung noch in gedruckter Form konsumiert. Digital Natives orientieren sich, kaum verwunderlich, lieber per Smartphone über die Welt außerhalb ihres Cyberspace. Dabei wissen sie eigentlich nicht, was ihnen manchmal entgeht. Der eine oder andere literarische Leckerbissen nämlich, der als Eyecatcher aus dem farblosen Textbrei heraussticht. So ging es mir doch kürzlich bei der samstäglichen Lektüre meiner Tageszeitung. Unter der Rubrik "Job ~ Geldmarkt ~ Bekanntschaften" sprang mir sofort eine Anzeige allein durch ihre Aufmachung in die Augen. Violett unterlegt annoncierte sie im plakativen Fettdruck: Hallo liebe Ungeimpfte! Darunter: "Bist du auch Single und einsam?" Gesucht wurde das "passende Gegenstück" von einem "Ich, 29, 170, schlank, NR, impfstofffrei, gesundheitsbewusst …". Nun ja, die Suche nach dem passenden Lebensmenschen war schon immer eine delikate Angelegenheit und die alten Lateiner hätten das wahrscheinlich ganz lapidar mit ihrem "De gustibus non est disputandum" kommentiert. Oder noch deutlicher: "Augen auf bei der Partnerwahl". Den gängigen Kriterien wie z. B. "schön, reich und gebildet" fügte die Pandemie jetzt eine ganz neue Dimension hinzu: den Impfstatus.

Doch schon ploppt hier die erste Frage auf: Gilt das jetzt nur für die Impfung gegen COVID-19? Wie steht es um Tetanus, Polio und Co.? Muss Mann/Frau komplett ungeimpft sein oder darf er/sie doch ein paar Impfungen intus haben? Für die Flitterwochen an südlichen Gestaden etwa? Diese essenziellen Fragen wollen erst einmal beantwortet sein, ehe sich die Zweisamkeit Suchenden eher archaischen Aspekten wie Aussehen, Sympathie oder Seelenverwandtschaft zuwenden können. Was soll denn der ungeimpfte Single tun, wenn er beim ersten Date seiner absoluten Traumfrau in die Augen blickt und sich jene dann als Impfbefürworterin mit dem Hinweis outet, sie habe eigentlich nur sehen wollen, wer sich hinter einer solchen Anzeige verberge: ein irritierter Gesundheitsapostel, ein alternativer Wissenschaftsskeptiker oder ein genereller Verneiner der Staatsgewalt? Wenn da mal nicht die Stimmung auf der Strecke bleibt. Ein uralter Witz aus der Zeit vor COVID-19 hält die Lösung bereit: "Er bedrängt sie schon beim ersten Treffen mit heftigen Küssen. Sie wehrt sich ganz vehement mit den Worten: "Bitte nicht, ich leide unter Skrupeln!" Da ächzt er in starker Erregung: "Ganz egal, ich bin geimpft!" Na bitte, da haben wir es doch: Impfung schützt, Impfung nützt!


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (4) Seite 69