Im großen Zirkus der TANTEN ist eine alte Verwandte in neuem Gewand aufgetaucht: die MuTANTE, die neuerdings durch ihre Artenvielfalt die Welt in Atem hält.

Verwandtschaft kann kompliziert und anstrengend sein. In beschwingter Form hat dies Eduard Künneke in seinem gefeierten "Vetter aus Dingsda" in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts in einem beliebten Ohrwurm klargemacht: "Onkel und Tante, ja, das sind Verwandte, die man am liebsten nur von hinten sieht." Apropos TANTE. Die TANTE ist bekanntermaßen in der Blutlinie eine Schwester der Mutter oder des Vaters, Verwandtschaft zweiten Grades also und damit auch als ErbTANTE interessant. Nicht verwandte, aber dennoch vertraute weibliche Erwachsene mutieren bei Kindern gerne zur NennTANTE: zur KindergartenTANTE oder zu jener legendären Emma, die als TANTE im gleichnamigen Gemischtwarenladen die Gummibärchen verkauft. Nicht untypisch ist es, wenn TratschTANTEN über KaffeeTANTEN plauschen, wobei das "TANTE-Sein" auch eine berufliche Option ist: die BriefkastenTANTE etwa in den bunten Blättern oder die SchlagerTANTE im Morgenradio.

Aber jetzt ist im großen Zirkus der TANTEN eine alte Verwandte in neuem Gewand aufgetaucht: die MuTANTE. Dabei ploppt meine Schulzeit wieder auf. Da hatten wir ja oft mit wenig beliebten TANTEN zu tun — und das waren keineswegs nur die Pädagoginnen. Die KonsTANTEN etwa, die uns in Physik und Mathematik mit ihren zahlreichen Schwestern quälten, wie der FederkonsTANTE oder der KreiskonsTANTE mit dem kessen Spitznamen "Pi". Gerne erinnere ich mich auch an meinen Biologielehrer, der uns mit der schwarzbäuchigen Taufliege (Drosophila melanogaster) bekannt machte und in die Mysterien der Genetik samt Mutationen einweihte. Dieses Wissen gewinnt jetzt durch das Coronavirus brandheiße Aktualität. Durch das globale Einnisten eines Angreifers mit Tarnkappe und durch seine unsichtbaren Aktivitäten mit Wirtsinfiltration, Replikation und Mutation wurden nämlich gleich mehrere VirusdebüTANTEN als besonders hinterlistige und aggressive RepräsenTANTEN ihrer Art gezeugt. Die englische MuTANTE mit dem Tarnnamen B One-one-seven hat es sogar über den Ärmelkanal aufs Festland geschafft und ihre außereuropäischen Angehörigen aus Südafrika und Brasilien zu uns eingeladen. Gerade durch diese Artenvielfalt ist den VirusrepräsenTANTEN eine aufregende, aber auch belastende Spaltung von Politik, Gesundheitswesen, Wissenschaft und Bevölkerung gelungen. Die Vertreter aller Gruppen verhandeln und diskutieren mit ignorant-dogmatischen DiletTANTEN und besserwisserisch-hyperklugen DispuTANTEN in nicht enden wollenden Sitzungen, häufig ohne Ergebnisse mit greifbarem Nährwert. Seuchenplanung ist eben kein Wunschkonzert und eine strategisch geschickte Anpassung an die jeweilige Lage das Gebot der Stunde. Immerhin dies könnten wir von den hinterhältigen MuTANTEN lernen.


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 81