Das Land im Südwesten der Bundesrepublik gilt als Wiege und Leuchtturm der Hausarztzentrierten Versorgung, kurz HzV. Vor rund 14 Jahren wurde hier der erste Selektivvertrag zwischen dem Landeshausärzteverband und der AOK Baden-Württemberg geschlossen. In diesem Jahr blickten die Delegierten aber nicht nur auf eine erfolgreiche Zeit zurück, sie diskutierten auch, wie es zukünftig weitergehen soll mit der ambulanten Versorgung. Und auch personell stellte man sich neu auf.

Gleich zu Beginn der berufspolitischen Diskussion machte der scheidende Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg Dr. Berthold Dietsche zunächst noch einmal deutlich, welche Bedeutung die Hausärzt:innen gerade auch in Zeiten der Krise haben. So hätten die Hausärzt:innen bundesweit neben ihrer normalen Praxistätigkeit bis dato rund 84 Millionen Impfungen gegen SARS-CoV-2 vorgenommen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet.

Hausärzt:innen sollen steuern

Im weiteren Verlauf sollte es um die Versorgungssituation der Zukunft und die weitere Rolle der Hausärzt:innen darin gehen. Als Diskutanten waren eingeladen Dr. Norbert Metke (Vorsitzender des Vorstands der KVBW), Johannes Bauernfeind (Vorstandsvorsitzender AOK Baden-Württemberg), Ulrich Weigeldt (Bundesvorsitzender Deutscher Hausärzteverband) und Corinna Ernle (Hausärztin und stellvertretende Sprecherin Forum Weiterbildung). Diskutiert wurde neben der Entbudgetierung der Hausärzte ein engeres Versorgungsmanagement zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Die Podiumsgäste sprachen sich zudem für die HzV als Versorgungsmodell der Zukunft für die Hausarztpraxis aus. Ein gemeinsames Ziel stehe fest: die Schaffung von neuen Versorgungsstrukturen ohne Qualitätsverlust. Vielmehr würden weitere Fachkräfte benötigt, die delegierte Aufgaben übernehmen und die Hausärzt:innen im Praxisalltag weiter entlasten. In der zukünftigen Versorgungssituation sehen die Podiumsteilnehmer die Hausärzt:innen als erste Ansprechpartner für Patienten und Grundgerüst für die Basisversorgung.

Den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bezeichnete KV-Chef Norbert Metke als ein wenig vage, aber es gebe ein paar gute Ansätze, aus denen man etwas machen könne. So gehe die geplante Entbudgetierung des hausärztlichen Bereichs in die richtige Richtung, wenngleich dies möglicherweise auch Honorareinbußen für die Hausärzt:innen in Baden-Württemberg mit sich bringen könnte. Zwar steige die Versorgungslast für die Praxen ständig in Anbetracht der Tatsache, dass schon heute in Baden-Württemberg 700 Hausärzt:innen fehlen und von den insgesamt 7.000 Allgemeinärzt:innen im Ländle 1.400 bereits über 65 Jahre alt sind. Mit mehr Steuerung der Patienten und mehr Delegation aber sei die Versorgung auch langfristig zu bewältigen, zeigte sich Metke mit Blick auf die Selektivverträge überzeugt. Und diese hätten sich in Baden-Württemberg längst zum Erfolgsmodell entwickelt. Man brauche eine gesteuerte Versorgung, und diese Rolle müssten die Hausärzt:innen übernehmen. Hier habe sich die Hausarztzentrierte Versorgung bewährt, lobte Metke. Nur wenn die Hausärzt:innen die Steuerung übernehmen, werde das System in Zukunft noch bezahlbar sein. Die Selektivverträge würden daher auch als Blaupause für das gesamte Gesundheitssystem herhalten können. Auf Bundesebene werde allerdings nach wie vor wider besseres Wissen alles blockiert, was die Patientensteuerung voranbringen könnte, beklagte der KV-Chef.

Von der Hausarztzentrierten Versorgung …

Joachim Bauernfeind, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, sprach sich für eine sektorenübergreifende Versorgung aus, die Ärzte, MFA und Heilberufe einbinde. Denn die steigende Versorgungslast ließe sich nur mit mehr Zusammenarbeit stemmen. Die AOK Baden-Württemberg stehe daher voll und ganz hinter der HzV und werde sie weiterentwickeln. So würde die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Ländle bereits sehr gut funktionieren, immerhin seien schon mehr als eine Million eAU ausgefertigt worden. Gleichzeitig beobachte man aber mit Sorge, dass die Freiheiten immer weiter eingeschränkt würden, gerade was z. B. die Digitalisierung betreffe. Hier würden von der gematik immer mehr Vorschriften gemacht.

… zur Hausarztpraxiszentrierten Versorgung

Zu den positiven Aspekten der HzV gehört für Corinna Ernle, Hausärztin und stellvertretende Sprecherin des Forums Weiterbildung im Hausärzteverband, vor allem auch die Weiterqualifizierung des gesamten Teams in der Hausarztpraxis. Besonders hob sie hier die im Ländle bestens eingeführte Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) hervor. Die HzV müsse entsprechend in eine Hausarztpraxiszentrierte Versorgung weiterentwickelt werden, forderte Ernle. Die Substitution hausärztlicher Leistungen wäre hingegen für sie eine schreckliche Entwicklung.

Die Delegierten beschlossen dementsprechend, dass sich der Verband dafür einsetzen soll, dass die Delegationsmöglichkeiten in der Hausarztzentrierten Versorgung zukunftsfähig weiterentwickelt werden. Die Teampraxis solle dadurch gestärkt werden. Die Delegierten fordern darüber hinaus die Bundesregierung dazu auf, die Rahmenbedingungen der hausärztlichen Tätigkeit zu verbessern und die ambulante hausärztliche Versorgung für die Zukunft zu stärken.

Um in Zukunft einem Mangel an nicht ärztlichem Assistenzpersonal entgegenzutreten, soll analog zum Quereinstieg in die Allgemeinmedizin Menschen aus anderen Berufsfeldern ein vereinfachter Ausbildungsgang angeboten werden. Die Delegierten stimmten dafür, die Zuordnung der Leistungen in der HzV auf die gesamte Arztpraxis in Form eines Betreuteams und nicht nur auf die LANR als Leistungserbringer zu ermöglichen.

Weibliche Doppelspitze will eine Hausarztpraxiszentrierte Versorgung

Im Rahmen des Hausärztetags standen dann noch Wahlen zum Vorstand an. Nach rund 20 Jahren stellten sich Dr. Berthold Dietsche und Dr. Frank-Dieter Braun nicht mehr zur Wahl. Beide wurden für ihre herausragenden Leistungen zur Einführung und Verwirklichung der Hausarztzentrierten Versorgung ausgiebig gelobt und gefeiert.


© Hausärzteverband Baden-Württemberg/Jan Winkler
Frau Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth (r.), Frau Dr. Susanne Bublitz (l.)

Mit Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth als Vorsitzende und Dr. Susanne Bublitz als zweite Vorsitzende stehen nun zwei Frauen an der Spitze des Verbands. Beide wollen am Prinzip der HzV als freiwilligem Primärarztsystem festhalten, machten sie bei einer Pressekonferenz deutlich.

Ein obligatorisches Primärarztsystem komme für sie nicht in Betracht. Vielmehr wolle man die Hausarztzentrierte in eine Hausarztpraxiszentrierte Versorgung überführen, die offen ist für eine interprofessionelle Zusammenarbeit. Der Delegation ärztlicher Aufgaben stehen sie aufgeschlossen gegenüber, wenn die Ärzt:innen dabei die Deutungshoheit behalten. Eine Substitution ärztlicher Kompetenzen an andere Gesundheitsberufe lehne man hingegen ab.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (5) Seite 32-33