Auch harmlose Herzrhythmusstörungen ohne kardialen Befund können für manche Patient:innen sehr belastend sein. Diese Patient:innen erfüllen dann oft die Kriterien einer psychosomatischen Erkrankung, die alles andere als harmlos ist. Es ist deshalb wichtig, diese psychosomatischen Erkrankungen ernst zu nehmen und Patient:innen in eine zielführende Behandlung zu überweisen.

Herzrhythmusstörungen sind Unregelmäßigkeiten in der Abfolge des Herzschlags, die oft nicht wahrgenommen oder aber als Herzstolpern oder Herzrasen bemerkt werden. Typische, über die kardialen Missempfindungen hinausgehende Symptome sind Schwindel, innere Unruhe, Brustenge, Übelkeit, Bewusstseinsverlust bis hin zu Krampfanfällen und der plötzliche Herztod. Als harmlos gelten Herzrhythmusstörungen, wenn das EKG und andere Untersuchungen keinen Hinweis auf relevante Störungen der Erregungsbildung und Reizleitung ergeben haben, keine organische Herzerkrankung oder das Herz beeinflussende Störung (z.B. Hypokaliämie) vorliegen oder aber organische Formen von Herzrhythmusstörungen unter medizinischer Kontrolle sind (bspw. Vorhofflimmern).

Trotz angemessener Diagnostik und beruhigender Aufklärung gibt es häufig Patient:innen, die sich weiterhin wegen der kardialen Missempfindungen um ihre Gesundheit Sorgen machen und sich sogar von ihrer Ärzt:in nicht ernst genommen und im Stich gelassen fühlen. Dieses Szenario ist typisch für das Krankheitsbild der Somatischen Belastungsstörung Kasten 1), das auch bekannt ist unter den Namen somatoforme oder funktionelle Störung [1].

Wichtig ist, dass für die Entscheidung, ob eine somatische Belastungsstörung vorliegt, das Vorhandensein ernster körperlicher Erkrankungen keine Rolle spielt. Beispielsweise kann jemand komplikationslos einen Herzinfarkt überlebt haben, dann aber massiv durch Gesundheitssorgen wegen kardialer Missempfindungen belastet sein und so die Diagnose einer somatischen Belastungsstörung erfüllen. Mindestens jede fünfte Patient:in einer hausärztlichen Praxis leidet an einer psychosomatischen Störung [2, 3].

Somatische Belastungsstörungen sind nicht harmlos

Alle psychischen Störungen erhöhen das Risiko der Patient:innen, an einer ischämischen oder anderen kardiovaskulären Erkrankung zu erkranken und frühzeitig zu versterben. Außerdem ist die Erkrankung mit einem hohen Leidensdruck verbunden und beeinträchtigt die Patient:in in ihrer sozialen Teilhabe. Defizite im Erkennen der Erkrankung, die unzureichende Anwendung der psychosomatischen Grundversorgung oder zu seltene Überweisung zu Spezialisten, führen zu einer iatrogenen Schädigung und Fehlallokationen von medizinischen Ressourcen [3].

Kriterien der Somatischen Belastungsstörung (nach DSM-5, APA 2013 [1])
A. Eines oder mehrere somatische Symptome, die belastend sind oder zu erheblichen Einschränkungen in der alltäglichen Lebensführung führen.

B. Exzessive Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen bezüglich der somatischen Symptome oder damit einhergehender Gesundheitssorgen, die sich in mindestens einem der folgenden Merkmale ausdrücken: unangemessene Gedanken bezüglich der Ernsthaftigkeit; Gesundheitsängste; exzessiver Aufwand mit Bezug zu den Gesundheitssorgen (bspw. hinsichtlich der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen).

C. Obwohl keines der einzelnen somatischen Symptome durchgängig vorhanden sein muss, hält die Symptombelastung meist länger als sechs Monate an. Für die Entscheidung, ob eine Somatische Belastungsstörung vorliegt, spielt das Vorhandensein ernster körperlicher Erkrankungen keine Rolle. Psychische Störungen führen zu einer maladaptiven Aktivierung des Angst-Abwehrsystems, das neurobiologisch durch eine verstärkte Aktivierung der Amygdala gekennzeichnet ist.

Wie psychische Störungen das Herz schädigen

Psychische Störungen führen zu einer maladaptiven Aktivierung des Angst-Abwehrsystems, das neurobiologisch durch eine verstärkte Aktivierung der Amygdala gekennzeichnet ist. Neben ungünstigen Auswirkungen auf das vegetative Nervensystem (bspw. Verschlechterung der Herzratenvariabilität) [4] führt die Überaktivierung der Amygdala zu einem inflammatorischen und atherogenen Milieu. Es konnte gezeigt werden, dass die Überaktivierung der Amygdala die Entwicklung kardialer Ereignisse vorhersagt [3]. Weitere wichtige Mechanismen sind der ungesunde Lebensstil von Patient:innen mit psychischen Störungen, was die der psychischen Störung immanenten Probleme mit der Selbstfürsorge widerspiegelt.

Die maladaptive Überaktivierung des Angst-Abwehrsystems ist eine Folge früher emotionaler Verletzungen in der Kindheit bzw. der dadurch bedingten Lernerfahrungen. Die frühen traumatischen Lebenserfahrungen werden dann später in bestimmten Krisensituationen reaktualisiert mit der Folge der Entwicklung psychosomatischer Symptome (Stresssymptome) und Beziehungsschwierigkeiten [2, 4, 3].

Was die Ärzt:in tun kann

  • Achtsam sein für die psychosozialen Nöte ihrer Patient:innen
  • Sich kontinuierlich psychosomatisch fortbilden
  • Psychische Störungen strukturiert abfragen und ansprechen
  • Eine Behandlung der psychischen Störung anbahnen und die Patient:in dabei begleiten

Für die angemessene Behandlung ist es entscheidend, das bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit und Krankheit in den Praxisalltag zu inte-
grieren. Das beginnt beispielsweise bereits damit, dass die ganze Atmosphäre in der Praxis deutlich macht, dass emotionale Probleme ein normaler Bestandteil der ärztlichen Behandlung sind. Dies kann durch entsprechende Poster und Flyer im Wartezimmer geschehen, die Patient:innen auf die Häufigkeit und Bedeutung von Stresssymptomen und emotionalen bzw. zwischenmenschlichen Schwierigkeiten für die Gesundheit hinweisen [2].

Psychotherapeutische Akutsprechstunden
Die Terminservicestelle (Telefon 116 117) vermittelt eine erste Akutsprechstunde innerhalb von vier Wochen. Psychosomatische Kliniken bieten meist niedrigschwellige Sprechstunden an.

Ein kurzes Screening ist sinnvoll

Des Weiteren ist es angesichts der Häufigkeit und des geringen Aufwands sinnvoll, ein kurzes Screening zu implementieren (vgl. Abb. 1), um psychische Störung zuverlässiger zu identifizieren. Auf diesen Befund kann sich dann die Ärzt:in beziehen und ihre Anamnese erweitern (z. B. nach weiteren Stresssymptomen oder belastenden Lebenssituationen fragen).

Befunde positiv übermitteln

Wichtig ist dann im nächsten Schritt die positive Befundmitteilung (im Gegensatz zu einem "Sie sind gesund, es ist alles in Ordnung"). Die Ärzt:in könnte etwa Folgendes sagen: "Wir haben Ihr Herz gründlich untersucht und festgestellt, dass keine schweren Herzrhythmusstörungen vorliegen, die kardiologisch behandelt werden müssen. Das ist die gute und beruhigende Nachricht. Allerdings haben wir auch gesehen, dass Sie unter erheblichen Stresssymptomen leiden. Neben dem Herzstolpern waren dies Schlafstörungen, eine allgemeine Nervosität und Niedergeschlagenheit. Dieser Stress kann über das vegetative Nervensystem zu vermehrten Herzaussetzern führen. Längerfristig kann dieser Stress auch Ihren Körper krank machen, kurzfristig – also über die nächsten Monate – besteht diese Gefahr aber nicht. Es ist aber wichtig, die Stresssymptome ernstzunehmen. Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, Sie zu einem Spezialisten für Stresserkrankungen zu überweisen, damit Sie eine Lösung für Ihre belastenden Symptome finden. Wie hört sich das für Sie an?"

Interdisziplinär fortbilden

Damit die Überweisung zu einer Psychotherapeut:in oder Psychosomatiker:in klappt, ist es wichtig, in der Praxis entsprechende Überweisungs- und Behandlungspfade implementiert zu haben. Außerdem sind interdisziplinäre Fortbildungen hilfreich, denn es wirkt überzeugender und weckt Vertrauen, wenn Patient:innen spüren, dass die Ärzt:in weiß, wovon sie spricht. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass, auch wenn es im Bereich der Psychotherapie Engpässe gibt, der größte Teil der Versorgungsdefizite in Deutschland nicht auf die mangelnde Verfügbarkeit von Psychotherapie zurückgeht, sondern auf Probleme bei der Identifizierung von psychischen Störungen und der angemessenen Weiterleitung und Begleitung. Begleitung bedeutet in diesem Kontext, dass die Ärzt:in auch den weiteren Verlauf monitort, selbst wenn sich die Patient:in schon in einer Psychotherapie befindet.

Was die Psychotherapie tun kann

Für das hausärztliche Management und die
psychotherapeutische Behandlung somatischer Belastungsstörungen existieren elaborierte Leitlinienempfehlungen der höchsten Evidenzstufe [5] und effektive psychotherapeutische Verfahren. Die Verhaltenstherapie [6] und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie [7] haben sich als hochwirksam in der Behandlung der somatischen Belastungsstörung erwiesen. In Deutschland stehen gestufte Versorgungsangebote zur Verfügung, die von der Psychosomatischen Grundversorgung über ambulante Richtlinienpsychotherapie bis hin zur tagesklinischen oder vollstationären psychosomatisch-psychotherapeutischen Krankenhausbehandlung reichen.|

Wichtig für die Sprechstunde
Scheinbar harmlose Symptome, die die Patient:in dennoch belasten, sind pathognomonisch für die Somatische Belastungsstörung.Die Somatische Belastungsstörung ist mit einem erhöhten Risiko für die spätere Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden und beeinträchtigt die Lebensqualität.Es ist wichtig, psychische Störungen zuverlässiger zu erkennen und einer adäquaten Behandlung zuzuführen.


Literatur:
1. APA, American Psychiatric Assocaition. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders: DSM-5. American Psychiatric Publishing, Inc.; 2013.
2. Abbass A, Schubiner H. Psychophysiologische Störungen: Ein Leitfaden für Diagnose, Psychotherapie und psychosomatische Grundversorgung. Kohlhammer Verlag; 2020.
3. Michal M, Beutel M. Mental disorders and cardiovascular disease: what should we be looking out for? Heart. 2021 Jan 28.
4. Ghaemi Kerahrodi J, Michal M. The fear-defense system, emotions, and oxidative stress. Redox biology. 2020 Oct;37:101588.
5. S3 Leitlinie "Funktionelle Körperbeschwerden" AWMF-Reg.-Nr. 051-001: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-001.html [Zugriff 3.10.2021]
6. Tyrer P. Recent Advances in the Understanding and Treatment of Health Anxiety. Curr Psychiatry Rep. 2018 Jun 22;20(7):49.
7. Abbass A, Town J, Holmes H, Luyten P, Cooper A, Russell L, et al. Short-Term Psychodynamic Psychotherapy for Functional Somatic Disorders: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Psychother Psychosom. 2020;89(6):363-70.



Autor

PD Dr. med. Matthias Michal

Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Universitätsmedizin Mainz
55131 Mainz
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (2) Seite 13-15