"Schlampige Leichenschauen", "überforderte Hausärzte", "unerkannte Morde": Davor warnt häufig die Rechtsmedizin. Ärztliche Leichenschauen stehen für Niedergelassene, gerade im Bereitschaftsdienst, zwar auf der Tagesordnung – die Ärzteschaft steckt hier aber nicht selten in einem Dilemma zwischen diagnostischer Unsicherheit, der Notwendigkeit korrekt ausgestellter Leichenschauscheine und den Forderungen der Polizei.

Eine Leichenschau hat nach den Bestattungsgesetzen der Länder "unverzüglich" stattzufinden. Dies bedeutet aber kein sofortiges Handeln, sondern juristisch betrachtet: Die Begutachtung hat "ohne schuldhaftes Zögern" zu erfolgen [1] – ein alsbaldiges Handeln muss aus ärztlicher Sicht subjektiv zumutbar sein. Eine eventuell gerade durchgeführte Behandlung kann also durchaus abgeschlossen werden. Zumindest bleibt die Leichenschau damit einigermaßen disponibel (Ausnahmen: Polizei vor Ort, Unfalltod etc.). Vorsicht ist bei Verzögerungen geboten, vor allem in unklaren Situationen: Ärzt:innen dürften nach Ansicht von Gerichten "die Feststellung des Todes (…) nicht einem Laien überlassen" [8]. Nach einer Todesnachricht, speziell im KV-Bereitschaftsdienst, tut man also gut daran, die Anfahrt nicht allzu weit zu schieben. Letztlich sollte man schon beim Telefonat zumindest Zweifel ausräumen können, ob Reanimationsmaßnahmen eingeleitet werden müssen.

Ein Hauch von "Tatort" – Umgebung ckecken!

Gerade bei der Leichenschau ist ein objektives Vorgehen essenziell. Vor allem bei unerwarteten Todesfällen ist eine Umfeldrecherche unerlässlich: Leere Medikamentenblister oder Spirituosenflaschen sind, genau wie umgeworfene Möbelstücke, als Hinweis auf Unfall oder Fremdeinwirkung zur Beurteilung der Gesamtsituation dienlich. Selbst die Inspektion der Toilette kann ein Baustein für die spätere Einschätzung von Todesart und -ursache sein (z. B. Spuren einer Hämatemesis).
Anwesende Bezugspersonen müssen im Rahmen einer Fremdanamnese befragt werden. Hilfreich sind Arztbriefe oder Pflegedokumentation, schon der Medikationsplan oder auch nur Medikamentenschachteln lassen auf Vorerkrankungen schließen.
Ist die Situation weiter unklar, sollte man die Vorbehandler:in kontaktieren (die Rettungsleitstellen haben Notfallnummern). Auch wenn sich prima vista schon Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod ergeben, muss der Leichnam zumindest so weit mobilisiert und entkleidet werden, dass sichere Todeszeichen feststellbar sind. Finden sich keine Anzeichen für einen nichtnatürlichen Tod, kann die eigentliche Leichenschau erfolgen.

Eine komplette Entkleidung des Toten ist immer erforderlich, aus eigener Erfahrung ist dafür eine Kleiderschere in der Arzttasche hilfreich. Auch dieser "letzte Dienst am Menschen" sollte nach einem individuellen Algorithmus erfolgen. Bewährt hat sich ein Vorgehen von Kopf bis Fuß: Nach der Begutachtung von Mundhöhle, Nasenvestibuli, Ohrregion, Augen und Lidinnenseiten wird zunächst die ventrale Körperseite mit den Extremitäten von oben nach unten untersucht. Danach kann in Bauchlage die Inspektion der Rückseite erfolgen. Auch die Austastung von After und Genital darf nicht vergessen werden. Von einer "Checkliste" kann man nur profitieren. Eine gute Grundlage bietet ein Dokument der Rechtsmedizin München [9].

Todesursache, Todesart – nicht dasselbe!

Die Begriffe Todesart und Todesursache werden immer wieder fälschlich synonym verwendet. Während sich die Todesursache allein auf die medizinische Ursächlichkeit bezieht, würdigt die Todesart die Umstände des Todes. So kann bei nicht eindeutig klärbarer Todesursache, juristisch betrachtet, selbstverständlich eine natürliche Todesart vorliegen [2]. Der natürliche Tod tritt aus einer inneren, nicht beeinflussbaren Ursache ein. Beim nichtnatürlichen Tod gibt es immer einen äußeren Einflussfaktor (Fremdeinwirkung, Unfall etc.).

Feststellung der Todesursache – Mut zur Formulierung der diagnostischen Unsicherheit!

Die von Leichenschauenden festgestellte Diagnose dient als wesentlicher Beitrag zur Todesursachenstatistik: Mit der lapidaren Angabe "akuter Myokardinfarkt" als (vermutete) Todesursache erhöht dies unwissentlich die Zahl der Infarkttoten! Da sich mehr als die Hälfte der Todesfälle im ambulanten Bereich ereignen [3] und die Obduktionsquote hierzulande unter 5 % [4] liegt, kommen ernsthafte Zweifel an der statistischen Aussagekraft dieser Erhebung auf. Etwas neidisch kann man hier auf Österreich blicken: In der Alpenrepublik liegt die Obduktionsquote bei 19 % [10].
Bei den Diagnoseangaben im Leichenschauschein sollten nur die Fakten stehen: Die Todesursache folgt aus Ermittlung und Zusammenschau von anamnestisch objektivierbaren medizinischen Daten (Arztbrief, Medikationsplan, Pflegedokumentation etc.), der Angabe von Dritten und dem Untersuchungsbefund der Leichenschau. Die Umstände des Todes sollen als sogenannte "nosologische Kausalkette" dokumentiert werden ("A als Folge von B bei der Grundkrankheit C"). Auf Endzustände ("Herz-Kreislauf-Stillstand" etc.) ist zu verzichten [5]. Gerade bei Multimorbiden lässt sich aber eine einzige todesursächliche Erkrankung oft nicht benennen. Die Einteilung nach "Sterbenstypen" [6] hilft bei der besseren Einordnung:

  • Linearer Sterbenstyp. Grundleiden und Todesursache in einem Organsystem: Es gibt eine organtypische Todesursache (Abb. 1).
  • Divergierender Sterbenstyp. Ein organspezifisches Grundleiden führt über Folgeschäden in verschiedenen anderen Organsystemen zum Tod (z.B. Karzinom; Abb. 2).
  • Konvergierender Sterbenstyp. Mehrere Grunderkrankungen in verschiedenen Organsystemen führen über eine gemeinsame pathogenetische Endstrecke zum Tod (Abb. 3).
  • Komplexer Sterbenstyp. Mehrere Grunderkrankungen in verschiedenen Organsystemen führen durch mehrere organspezifische Folgeschäden gemeinsam zum Tod (Abb. 4).

Besonders bei divergierendem und komplexem Sterbenstyp ist eine "unvermeidbar zum Tode führende Krankheit" grundsätzlich nicht eindeutig zu benennen. Hier sollte man einen "Natürlichen Tod unklarer Ursache [R96.0]" wählen und in den nachgeschalteten Abschnitten des Leichenschauscheins ("als Folge von" und "Grundleiden") beitragende Erkrankungen genauer dokumentieren (Abb. 5).

Todesart: Wissen hilft gegen Ärger mit der Polizei

Die Leichenschau mit ihrer Zielsetzung, nichtnatürliche Todesfälle zu erkennen, bringt bisweilen eine gewisse Spannung in das Verhältnis zu den Hinterbliebenen, empfinden diese die gründliche Untersuchung der oft sogar bekannten Patient:in als Misstrauensbekundung der Ärzt:in. Doch mitnichten geht es hier allein um die Fahndung nach Zeichen eines Verbrechens: Die fehlende Aufklärung eines nichtnatürlichen Todes als Folge eines Unfalls (der auch Jahrzehnte zurückliegen kann) oder einer Berufserkrankung kann immense finanzielle Verluste nach sich ziehen.

Ein natürlicher Tod liegt immer vor, wenn
  • kein Zeichen für ein von außen beeinflussbares Geschehen spricht und es
  • anamnestisch ausreichende Hinweise für mindestens ein Grundleiden oder ein Erkrank- ungsmuster gibt, das zum Tode führen kann.

Einer multimorbiden Pflegeheimbewohnerin, die ohne Akutverschlechterung unerwartet verstirbt, könnte bei fehlenden Hinweisen auf eine äußere Ursache allein aufgrund schwerwiegender Vorerkrankungen im Einzelfall dennoch ein natürlicher Tod attestiert werden. Tritt ein vergleichbarer plötzlicher Todesfall ohne vorangehende Symptomatik bei einem weitgehend gesunden Menschen ein, wird die Einschätzung ungleich schwieriger. Zumindest eine ungeklärte Todesart ist in solchen Fällen anzugeben, wenn zwar

  • keine Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod zu finden sind,
  • die medizinische Todesursache aber unbekannt ist und
  • sich trotz sorgfältiger Untersuchung und Einbeziehung der Vorgeschichte keine konkreten Befunde einer lebensbedrohlichen Krankheit ermitteln lassen.

Vergleichsweise leicht fällt die Einordnung als nichtnatürlicher Tod. Klare Zeichen von Suizid oder Gewaltverbrechen, Abschiedsbriefe oder Zeichen eines Unfalls veranlassen klar zur Dokumentation dieser Todesart. Eine Herausforderung kann die Klassifizierung eines Todesfalls nach ärztlicher Behandlung sein: Für die Einordnung als nicht-natürlicher Tod muss es wenigstens entfernte Anhaltspunkte für einen ärztlichen Kunstfehler oder Belege für sonstiges Verschulden des behandelnden Personals geben (z. B. fehlende Einwilligung zur Op. etc.) [7]. Und: Eine tödliche Lungenembolie nach Hüftprothesenimplantation bei korrekter Thromboseprophylaxe kann dennoch ein natürlicher Tod sein!

ESSENTIALS – Wichtig für den Praxisalltag
  • Neben der sorgfältigen Ganzkörperuntersuchung der entkleideten Leiche immer Vorgeschichte und Umfeldfaktoren für ein umfassendes Urteil prüfen.
  • Eigenen Algorithmus für die körperliche Begutachtung der Leiche erarbeiten – ggf. mit Checkliste (z. B. [9]).
  • Nur Todesursachen angeben, für die es nach Zusammenschau von Untersuchung und Befunden tatsächlich hinreichende Hinweise gibt – ggf. auch unklare Todesursache so formulieren.
  • Todesart isoliert von der Todesursachenfrage und allein abhängig von den Umständen des Todes festlegen.


Literatur:
1. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB
2. Staatsanwaltschaft Stuttgart, Staatsanwaltschaft Tübingen, Polizeipräsidium Reutlingen: Merkblatt für Ärzte zum Verhalten bei ungeklärter Todesart und nicht Natürlichen Todesfällen
3. Bertelsmann-Stiftung: Sterbeort Krankenhaus – Regionale Unterschiede und Einflussfaktoren
4. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(33): 575–88
5. Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): Todesursachen in der Todesbescheinigung – Eine kurze Anleitung. https://www.dimdi.de/static/.downloads/deutsch/totenscheinanleitung.pdf
6. Thieke Ch, Nizze H (1988) Sterbenstypen: Thanatologische Brücke zwischen Grundleiden und Todesursache. Pathologe 9: 240–244.
7. Meyer-Goßner/Schmidt: Kommentar zur StPO, § 159 StPO, C.H. Beck 2018
8. Heile B et al (Hrsgg.) (2001): Sammlung von Entscheidungen der Berufsgerichte für die Heilberufe
9. IRM München. https://www.rechtsmedizin.med.uni-muenchen.de/service/downloads/protok_leiche_pdf
10. Leitner B: Todesursachenstatistik und Obuktionen. Österreichische Ärztezeitung vom 10. Mai 2009



Autor

Dr. Carsten Köber

97980 Bad Mergentheim

Interessenkonflikte: Mitglied der VV der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, Landesdelegierter des Hausärzteverbandes BW, stv. Koordinator einer Notfallpraxis, entgeltliche Dozententätigkeit beim Hausärzteverband und IhF.



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 58-61