Die Frage der Fahrtauglichkeit bei Einnahme von Psychopharmaka stellt sich auch nicht selten in der hausärztlichen Praxis. Symptome seelischer Erkrankungen, aber auch die Wirkung der Medikamente selbst können die Fahrtauglichkeit der Patient:innen beeinflussen. Pharmakologische Grundkenntnisse und ein Austausch mit mitbehandelnden Fachärzt:innen sind deshalb unabdingbar.

In Deutschland sind laut Kraftfahrt-Bundesamt über 44,8 Millionen Fahrerlaubnisse ausgestellt [1]. Das Kraftfahrzeug bleibt weiterhin eines der beliebtesten Fortbewegungsmittel. Für kranke und gesunde Menschen ist das Führen eines Fahrzeuges häufig Notwendigkeit, meistens aber Erleichterung bei der selbstständigen Lebensgestaltung. Viele Erkrankungen und auch die Einnahme von Medikamenten haben Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit. Der Begriff Fahrtauglichkeit beschreibt dabei die zeitliche und situationsabhängige Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr. Sie ist durch physische und psychische Prozesse beeinflusst. Knapp 28% der Menschen in Deutschland leiden an einer psychischen Erkrankung [2]. Die Behandlung mit psychopharmakologischer Medikation ist dabei häufig, im Ranking der verordnungsstärksten Medikamentengruppen stehen Psychopharmaka an vierter Stelle [3]. Hausärzt:innen sind meist die ersten Ansprechpartnerfür Menschen mit seelischen Erkrankungen und verordnen einen großen Teil der Psychopharmaka. Während die fehlende Aufklärung über eine dauerhafte oder vorübergehende Fahruntauglichkeit Leib und Leben der Patient:innen gefährden kann, führt ein zu restriktives Handhaben der Fahrtauglichkeit bei remittierten Patient:innen zu negativen Folgen und Verzögerungen bezogen auf Bewegungsfreiheit, Freizeitgestaltung und Rückkehr zum Arbeitsplatz.

Infokasten 1: Beispiele aus der Praxis
Im sozialrechtlichen Verfahren um Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wird der Klägerin, die an einer mittelgradigen depressiven Episode leidet und deshalb seit drei Jahren in stabiler Dosierung 60 mg Duloxetin am Morgen und 50 mg Quetiapin retardiert zur Nacht einnimmt, durch den Hausarzt ein Attest ausgestellt, dass aufgrund der antidepressiven Medikation absolut keine Fahrtauglichkeit mehr bestehe. Bei einem anderen Patienten wird durch den behandelnden Hausarzt Lorazepam als Bedarfsmedikament bei Panikattacken verschrieben, die der Patient unter anderem auch bei Panikattacken während des Autofahrens einnimmt und danach die Fahrten fortsetzt. Eine Aufklärung über mögliche Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit erfolgte nicht.Wie würden Sie beide Fälle in Anbetracht des im Artikel vermittelten Wissens beurteilen?

Seelische Erkrankungen haben Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit

Bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit unter Einnahme von Psychopharmaka müssen zwingend nicht nur die Medikamentenwirkung, sondern auch die zur Einnahme führende Erkrankung und das Ausmaß der verursachten Symptome betrachtet werden. Psychische Erkrankungen haben Auswirkungen auf Konzentrationsvermögen, Übersichtsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen. Mit zunehmender Symptomschwere können die Auswirkungen so ausgeprägt sein, dass die sichere Teilnahme am Straßenverkehr – und damit nicht nur das Führen eines eigenen Fahrzeugs, sondern zum Beispiel auch die Teilnahme als Radfahrerund selbst (unbegleiteter) Fußgänger sowie das Führen von Maschinen – nicht mehr möglich ist. Tabelle 1 zeigt eine Reihe an psychischen Erkrankungen und Symptomen, bei denen in der Regel die Fahrtauglichkeit nicht mehr besteht. Stellen sich Patient:innen mit den genannten Symptomen oder Erkrankungen in der hausärztlichen Praxis vor, sollten sie unbedingt darüber aufgeklärt werden.

Psychopharmakologische Behandlung hat Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit

Auch viele der verwendeten Psychopharmaka haben als gewünschte Wirkung oder Nebenwirkung Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit. Besondere Vorsicht ist bei sedierender Medikation wie etwa Hypnotika, sedierenden Antidepressiva, sedierenden Antipsychotika und Anxiolytika geboten. Vor allem bei der Eindosierungs- und Einstellungsphase sind Auswirkungen auf Konzentration, Aufmerksamkeit und Wachheit zu erwarten. Auch die Fachempfehlungen, z.B. bezogen auf die Dauer der möglichen Einnahme,sind zu beachten (so sollten Benzodiazepine und Z-Substanzen nicht länger als vier Wochen verordnet werden). Bei einem Teil der Medikamente (sedierende Antidepressiva und Antipsychotika) nimmt die sedierende Wirkung im Verlauf etwas ab und Gewöhnungseffekte nehmen zu. Außerdem führt die suffiziente psychopharmakologische Behandlung im Verlauf häufig zur Regredienz der o.g. die Fahrtauglichkeit einschränkenden Symptome und mildert o.g. Erkrankungen. Deshalb sollte nach Abschluss der Eindosierungsphase nach frühestens zwei, besser bis zu sechs Wochen noch einmal geprüft werden, ob weiterhin Fahruntauglichkeit vorliegt. Häufig hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus den genannten Gründen wieder Fahrtauglichkeit eingestellt. So ist bei stabiler antidepressiver Medikation mit einem modernen Antidepressivum in der Regel zügig Fahrtauglichkeit wieder erreicht.

Tabelle 2 listet Psychopharmaka auf mit deutlichen Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit, aber auch Vertreter ohne andauernde Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit.

Auch bei Veränderungen von Dosierungen und beim Ausschleichen oder Absetzen von Psychopharmaka sollte im Hinblick auf die Fahrtauglichkeit vorsichtig vorgegangen werden und ggf. mit der Patient:in über eine vorübergehende Fahruntauglichkeit gesprochen werden, da Absetzphänomene oder Nebenwirkungen (wie bei allen Medikamenten) auftreten können.

Häufig bei psychischen Erkrankungen eingenommene Medikation anderer Fachbereiche und Wechselwirkungen

Neben der somatischen Komorbidität führen psychische Erkrankungen unter Umständen auch zu einer zusätzlichen Einnahme von internistischer Medikation, dermatologischen Topika oder Ähnlichem als Folge psychosomatischer Zusammenhänge. Dabei können auch diese Medikamente Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit haben.

In der Anamnese sollten dabei unbedingt auch frei verkäufliche Medikamente abgefragt werden, die nicht von Haus- oder Fachärzt:innen verordnet werden. Auch wenn die Auswirkungen etwa von Antihistaminika, z. B. zur Behandlung von Schlafstörungen (aber auch außerhalb des psychiatrischen Anwendungsbereiches bei Allergien oder Reisekrankheit), auf die Fahrtauglichkeit ausgeprägt sein werden, berichten Patient:innen nicht immer spontan von deren Einnahme.

Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten sollten dabei beachtet und ggf. mit den vorhandenen Datenbanken oder der Praxissoftware abgeglichen werden. Auch sollten die Patient:innen strikte Alkohol- und Abstinenz von illegalen Drogen einhalten. Sollte dies nicht durch die Patient:in glaubhaft zugesichert werden können, sollte auch von einer aufgehobenen Fahrtauglichkeit ausgegangen werden. Auch manifeste Suchterkrankungen begründen – selbst bei Abstinenz, sofern diese nicht ein Jahr nach abgeschlossener Therapie besteht – Fahruntauglichkeit [4].

Infokasten 2: Aufklärungspflicht und Weitermeldung in Anlehnung an [6]
Vermutet die behandelnde Ärzt:in eine Fahruntauglichkeit, so ist das Gespräch mit der Patient:in zu suchen und diese über die Gefahren des Führens von Fahrzeugen aufzuklären. Besonders sollte dabei darauf geachtet werden, dass Fahruntauglichkeit absolut besteht, dass es also keine Ausnahmen geben kann. Dies sollte dieÄrzt:in auch unbedingt dokumentieren.Eine allgemeine rechtliche Pflicht zur Mitteilung dieser Fahruntauglichkeit an Dritte besteht nicht. Nach Abwägung der widerstreitenden Pflichten kann dieÄrzt:in jedoch eine Meldung an Polizei oder Fahrerlaubnisbehörde machen. Dies kann der Fall sein, wenn die Patient:in sich im Aufklärungsgespräch uneinsichtig zeigt und dieÄrzt:in eine konkret begründete Befürchtung hat, die Patient:in könnte ein Fahrzeug führen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Fall der erfolgten Meldung an die Behörden zwar die vollendete Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht erkannt, diese jedoch aus Notstandsgesichtspunkten (§ 34 StGB) für gerechtfertigt erachtet. DieÄrzt:in hat sich dabei allerdings in der Mitteilung an die Behörden auf die Meldung der die Fahruntauglichkeit begründenden Diagnose und die Darlegung der ärztlichen Zweifel an der Fahrtüchtigkeit zu beschränken, die weitere Darstellung der Krankengeschichte ist nicht zulässig.

Vorgehen bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit bei Einnahme von Psychopharmaka

Es sollte sowohl eine umfassende Medikamentenanamnese als auch eine Abfrage der derzeitigen Symptome erfolgen. Vor allem zu Beginn einer Behandlung mit einem neuen Pharmakon sollte vorsichtig vorgegangen und die Patient:in über Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit aufgeklärt werden. Im Verlauf der Behandlung sollte dies immer wieder überprüft werden. Bei Dosierungsveränderungen, Umstellungen und Absetzen sollte ebenfalls vorsichtig vorgegangen werden. Wird dies beachtet, so kann bei stabiler Einstellung und Dosierung bei den meisten Medikamenten und psychischen Erkrankungen Fahrtauglichkeit erreicht werden.

Dennoch bleiben Medikamente, die schon länger zugelassen sind, und psychische Symptome, die eine Fahrtauglichkeit dauerhaft einschränken [5]. Im Zweifel sollte der Austausch zwischen behandelnder Haus- und psychiatrischer Fachärzt:in fallbezogen erfolgen, unter Umständen auch unter Hinzuziehung gängiger Datenbanken. Starre Empfehlungen existieren dabei nur bedingt, da die individuelle Erkrankungsschwere, Komorbidität, Lebenssituation und Medikamentenwirkungen bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit in Erwägung gezogen werden müssen. Dieser ganzheitliche Blick ist seit jeher auch eine Stärke der hausärztlichen Tätigkeit.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Psychische Erkrankungen und die Einnahme von psychopharmakologischer Medikation haben Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit, schließen eine Fahrtauglichkeit jedoch nicht aus.
  • Es gibt keine allgemeinen, für alle Betroffenen und Situationen geltenden Regeln, das heißt, eine individuelle und sorgfältige Prüfung ist jeweils erforderlich.
  • Im Zweifel: Rücksprache mit Fachärzt:in für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Hinzuziehung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung inklusive objektivierbarer Tests. Solange dies nicht erfolgt, ist zurückhaltende und vorsichtige Beurteilung geboten.


Literatur:
[1] Internetseiten des Kraftfahrtbundesamtes: https://www.kba.de/DE/Statistik/Kraftfahrer/Fahrerlaubnisse/fahrerlaubnisse_node.html
[2]Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al (2014): Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Der Nervenarzt 85:77–87.
[3]Lohse MJ, Müller-Oerlinghausen B (2018): Psychopharmaka. Arzneiverordnungs-Report 2018
[4]Gräcmann N, Albrecht M, Bundesanstalt für Straßenwesen (2019): Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreinigung. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Mensch und Sicherheit Heft M 115
[5]Brunnauer A, Laux G (2008): Psychopharmaka und Verkehrssicherheit. Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 2008; 9 (2) 31-34
[6] Halbe B (2018): Aufklärungspflicht: Umgang mit fahruntauglichen Patienten in der Praxis. Dtsch. Arztebl. 2018; 115(38): A-1666
[7] Laux G, Brunnauer A (2007): Fahrtauglichkeit unter Psychopharmaka. Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2007; 1(5): e1-e13


Autor:innen

© Christian Hüller
Dr. med. David Dietz

Prof. Dr. med. habil. Katarina Stengler
HELIOS Park-Klinikum Leipzig
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
04289 Leipzig
Interessenkonflikte: Die Autor:innen haben keine deklariert



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 38-41