Ihr Patient reagiert nach einer Impfung oder Eisengabe in Ihrer Praxis allergisch mit einer schweren Reaktion des Herz-Kreislaufsystems sowie des respiratorischen Systems. In solch einer Akutsituation sollte möglichst schnell Adrenalin intramuskulär appliziert werden, gefolgt von einer Sauerstoff- und Volumengabe. Antihistaminika und Glukokortikoide werden im nächsten Schritt verabreicht. Um im Notfall die optimale Patientenversorgung zu gewährleisten und die Patientensicherheit nicht zu gefährden, sollten Sie und Ihr Team sich auf die notwendigen Schritte und das Vorgehen in Ihrer Praxis vorbereiten.

Fallbeispiel 1: Das hätte schiefgehen können
Eine junge Dame hatte sich dazu entschlossen, mit ihrem Freund bei einer Kulturveranstaltung mit einem Drei-GängeMenü einen wunderschönen Abend zu genießen. Da bei ihr vor Kurzem eine schwere Erdnussallergie diagnostiziert worden war, hatten beide das Essen allergenfrei gewählt. Nach dem Genuss eines weiteren, zusätzlich gewählten Desserts entwickelte die junge Frau respiratorische Probleme. Ihren Adrenalin-Pen hatte sie zum Glück dabei, doch leider wussten weder sie noch ihr Freund, wie dieser anzuwenden war. Bei der Veranstaltung war ein Sanitäter einer Hilfsorganisation vor Ort, der jedoch noch keinerlei Einweisung in die Benutzung dieses Adrenalin-Autoinjektors erfahren hatte, sodass schließlich ein entsprechender Notruf abgesetzt wurde. Zügig erschienen sowohl ein Rettungswagen als auch das alarmierte Notarzteinsatzfahrzeug [1]. Es war keine vital bedrohliche allergische Reaktion, was aber wäre gewesen wenn?

Steigende Zahlen in der Anaphylaxie

Die Anzahl der Patienten mit Allergien hat in den letzten Jahren zugenommen. So zeigen Daten eine Zunahme der nahrungsmittelabhängigen Anaphylaxie im Kindesalter und der medikamenteninduzierten Anaphylaxie im Erwachsenenalter [2]. Die frühzeitige Behandlung dieser Akutsituation, insbesondere bei schweren Reaktionen des Herz-Kreislaufsystems sowie des respiratorischen Systems, ist entscheidend für den Verlauf der Anaphylaxie. Die Mortalitätsrate wird auf ein bis drei Todesfälle im Jahr pro eine Million Einwohner durch Anaphylaxie geschätzt [3].

Fallbeispiel 2: Der Blick in ihre Praxis
Kurz nach Verabreichung einer Impfung oder gar einer Eisengabe fängt der Patient Horst S. plötzlich an zu reagieren. Eine generalisierte Urtikaria entwickelt sich, Herr S. hat starke Bauchkrämpfe und fängt an zu erbrechen. Das Team eilt zu ihm, manövriert ihn schnell auf eine Liege. Schon treten weitere Symptome auf.

Herr S. klagt über ein Kratzen im Hals und kriegt zunehmend schlechter Luft, eine Hypoxie wird sichtbar. Er entwickelt nicht nur ein Glottis- und Larynxödem, sondern auch einen ausgeprägten Bronchospasmus. Sein Blutdruck sinkt rapide auf 75/45 mmHg und sein Puls steigt auf 130 bpm.

Unvorstellbar? So was kommt in der Praxis nicht vor? Leider doch, solch heftige Reaktionen sind zwar selten, aber durchaus möglich. Die klinischen Symptome können vielfältig sein, sie erstrecken sich über Hauterscheinungen und subjektive Symptome bis hin zur Beteiligung von mehreren Organsystemen, z. B. dem Respirations- und Gastrointestinaltrakt und dem Herz-Kreislauf-System. Durch einen Kreislaufkollaps, einen kardiogenen Schock, ein Larynxödem oder einen schweren Bronchospasmus ist ein tödlicher Ausgang nicht ausgeschlossen [7].

Der Unterschied zu anderen Erkrankungen ist, dass sie hoch akut auftreten kann, ohne chronischen Verlauf oder Prodromi, und alle Altersklassen von Patienten betrifft. Umso fataler ist es, wenn keine adäquate, rechtzeitige Therapie durch medizinisches Personal eingeleitet wird [4]. Laut aktueller Datenlage aus dem Anaphylaxie-Register bekommt nur einer von vier Patienten Adrenalin durch die ihn versorgenden Ärzte. Patienten, denen Adrenalin verabreicht wird, bekommen es häufig intravenös, obwohl die intramuskuläre Gabe besonders in Bezug auf Patientensicherheit deutlich günstiger ist [5].

Wie behandle ich richtig?

Das Medikament der ersten Wahl für Erwachsene und Kinder ist Adrenalin – am besten sofort i. m. (beim nicht reanimationspflichtigen Patienten)! Es wird empfohlen, 0,3–0,5 mg (ab 30–50 kg) ohne Verdünnung in den lateralen Oberschenkel zu injizieren [8]. Dafür kann auch ein vorhandener Adrenalin-Autoinjektor verwendet werden, wie er sowohl für Kinder als auch für Erwachsene erhältlich ist. Dieser Pen entlädt über eine automatisch hervortretende Nadel das Adrenalin in den Muskel. Es sind derzeit in Deutschland drei unterschiedliche Präparate verfügbar, sie unterscheiden sich in Nadellänge, Dosis (150 µg–300 µg–500 µg) und Handhabung. Es muss entweder nur eine Schutzkappe über der Nadel oder noch zusätzlich eine Sicherungskappe vom gegenüberliegenden Ende des Pens entfernt werden. Jeder Hersteller verteilt Übungspens, mit denen man die korrekte Anwendung üben kann [9].

Die Kohorten des Anaphylaxieregisters zeigen, dass nur bei ca. 10 % eine zweite Gabe von Adrenalin notwendig wird [10]. Es antagonisiert funktionell über Aktivierung von alpha- und beta-Adrenorezeptoren alle wichtigen Pathomechanismen der Anaphylaxie durch Vasokon-
striktion, Erniedrigung der Gefäßpermeabilität, Bronchodilatation, Ödemreduktion und positive Inotropie am Herzen. Sollte die gewünschte Wirkung nicht eintreten, kann die Anwendung alle fünf bis zehn Minuten wiederholt werden. Bei dieser Applikationsform ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwirkungen erheblich geringer als bei der intravenösen Verabreichungsform von Adrenalin. Nur bei fehlender Stabilisierung und drohender Dekompensation (Atmung und/oder Kreislauf) sollte Adrenalin intravenös verabreicht werden, dabei wird eine Verdünnung von 1 mg Adrenalin in 10 ml Na-
triumchlorid (NaCl 0,9 %) angestrebt. Dies entspricht einer Lösung von 0,1 mg/ml; unter kontinuierlicher Kreislaufüberwachung wird eine Dosis von 0,05–0,1 ml/kg KG empfohlen [11].

Nach aktuellen Angaben des Anaphylaxieregisters steigt die Zahl der Patienten, die sich Adrenalin im Notfall selbst injizieren (von 23 % im Jahr 2014 auf 29 % im Jahr 2016) [12]. Um diese Zahl noch weiter zu steigern, müssen medizinisches Personal, Betroffene und deren Angehörige geschult werden. Zu wenige wissen, wie man im Notfall richtig reagiert.

Zusätzliche Maßnahmen

Es müssen weiterhin allgemeine Maßnahmen wie die Sauerstoff- und Volumengabe eingeleitet werden. Der Notruf sollte schnellstmöglich abgesetzt und der Patient in eine adäquate Lagerung (symptomorientiert) verbracht werden. Ein intravenöser Zugang für die Applikation von Volumen und anderen Medikamenten sollte etabliert werden. Additiv können nach der Gabe von Adrenalin auch Antihistaminika und Glukokortikoide verabreicht werden. Studien, die die Wirkung dieser Medikamente in der Akutsituation bei respiratorischen und/oder kardiovaskulären Symptomen beweisen, gibt es bislang nicht. Antihistaminika mildern jedoch die Hautsymp-
tomatik und Glukokortikoide können das Risiko einer biphasischen Reaktion, besonders bei Patienten mit vorhandenem Asthma bronchiale, verhindern.

Die Patienten, die Adrenalin während einer schweren allergischen Reaktion erhalten haben, sollten mindestens 8 bis 12 Stunden stationär betreut werden, denn in ca. 10–20 % der Fälle ist eine biphasische Reaktion zu erwarten [13]. Anschließend sollten Betroffene ausreichend informiert und einer weiterführenden Allergie-Diagnostik zur Auslöser-Ermittlung zugeführt werden. Sie benötigen zur Selbstmedikation einen Adrenalin-Autoinjektor, ein Antihistaminikum sowie ein Glukokortikoid [14].Ebenso wichtig ist es, das Management von Anaphylaxien und pneumologischen Notfällen in-situ zu trainieren.

Unsere Empfehlung für ein In-Situ-Training

Studien haben gezeigt, dass ein Training im eigenen Arbeitsbereich gemeinsam mit dem dort tätigen Personal unter Nutzung des vorhandenen Notfallequipments das Teamverhalten positiv beeinflusst und die Patientensicherheit erhöht [15]. Basierend auf unserer 30-jährigen Trainingserfahrung haben wir ein spezielles In-Situ-Simulationskonzept entwickelt. Ziel dabei ist, das Praxisteam auf das Management schwerer anaphylaktischer Reaktionen vorzubereiten. Gemeinsam erarbeiten wir anhand definierter Kasuistiken das symptombezogene, schrittweise Vorgehen in der Anaphylaxie. Häufig erleben wir in den ersten Trainings eine gewisse Unsicherheit bei der Gabe von Adrenalin; viele trauen sich nicht, es frühzeitig zu injizieren, greifen erst auf Antihistaminika und Glukokortikoide zurück. Laut Empfehlungen der einschlägigen Fachgesellschaften ist Adrenalin i. m. aber Medikament der ersten Wahl. Auch die Handhabung der Adrenalin-Autoinjektoren ist wichtiger Bestandteil des In-Situ-Trainings. Nicht selten sehen wir eine falsche Handhabung bei den Simulationen. Aus diesem Grund haben wir in einem Video die korrekte Anwendung der gängigen Autoinjektoren zusammengestellt [16]. Es ist notwendig, die richtige Anwendung immer wieder zu trainieren, um akzidentelle Injektion von Adrenalin in den eigenen Finger zu vermeiden, was Erfahrungsberichten von Ärzten und Assistenzpersonal zufolge nicht selten passiert. Dies führt jedoch im Notfall zu einer verzögerten Therapie und erhöht das Stresslevel um einen weiteren Patienten in der Praxis.

Unsicherheiten basieren jedoch häufig nicht primär auf fehlendem Wissen, sondern auf den fehlenden Teamerfahrungen. Wie reagieren wir in dieser seltenen Stresssituation? In-Situ-Trainings schaffen die nötige Verlässlichkeit im Team und stärken die Routine beim Management schwerer anaphylaktischer Reaktionen, die für die effiziente Behandlung dieses Notfalls unabdingbar ist.

Fazit
Die Versorgung von Patienten mit einer Anaphylaxie hat sich in Deutschland positiv entwickelt. "First-line"-Medikament ist Adrenalin intramuskulär, die Gabe von Sauerstoff, Volumen und die symptomorientierte Lagerung des Patienten. Es bestehen aber noch enorme Lücken bei der Verschreibung von Notfallmedikamenten, insbesondere der Adrenalin-Autoinjektoren, sowie bei deren Instruktion und Schulung. Diese sind der wichtigste Bestandteil in der Behandlung der Anaphylaxie. Anschließend muss der Patient einer weiterführenden Allergie-Diagnostik zugeführt werden [17].


Literatur
1) Helbing A, Hurni T, Müller UR, Pichler WJ (2004) Incidence of anaphylaxis with circulatory symptoms: a study over a 3-year period comprising 940,000 in habitants of the Swiss Canton Bern. Clinical and Experimental Allergy 34: 285–290.
1) Dr. med. Jens Rocktäschel
2) Lee S, Hess EP, Lohse C, Gilani W, Chamberlain AM, Campbell RL (2017) Trends, characteristics, and incidence of anaphylaxis in 2001¬-2010: A population¬ based study. The Journal of allergy and clinical immunology 139 (1): 182-188.
3) Helbing A, Hurni T, Müller UR, Pichler WJ (2004) Incidence of anaphylaxis with circulatory symptoms: a study over a 3-year period comprising 940,000 in habitants of the Swiss Canton Bern. Clinical and Experimental Allergy 34: 285–290.
4) Worm M, Eckermann O, et al. (2014) Auslöser und Therapie der Anaphylaxie – Auswertung von mehr als 4000 Fällen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Deutsches Ärzteblatt 111(21): 367-375.
5) Vgl. Worm M wie Anm. 4.
6) Ring J (2019) Adrenalin und Anaphylaxie – Gedanken zur Überarbeitung der aktuellen Leitlinie. Allergologie Allergologie 4/2019: 162-163.
7) Vgl. Ring J wie Anm. 6.
8) Ring J, Beyer K, Biedermann T, Bircher A, Duda D, Fischer et al. (2014) Guideline for acute therapy und management of anaphylaxis. Allergo Journal International 23: 96-112.
9) Ring J (2019) Adrenalin und Anaphylaxie – Gedanken zur Überarbeitung der aktuellen Leitlinie. Allergologie Allergologie 4/2019: 162-163.
10) Worm M (2019) Anaphylaxie – Aktuelle Registerdaten: Risikofaktoren für schwere allergische Reaktionen und Umsetzung der Leitlinie in der klinischen Praxis, Allergologie 4/2019: 160-161.
11) Vgl. Ring J, Beyer K, Biedermann T, Bircher A, Duda D, Fischer et al. wie Anm. 8.
12) Vgl. Worm M wie Anm. 10.
13) M.Worm Anaphylaxie: Wie richtig handeln? Dtsch Arztebl 2018; 115(10): [10]; DOI: 10.3238/PersPneumo.2018.03.09.02
14) Ring J (2019) Adrenalin und Anaphylaxie – Gedanken zur Überarbeitung der aktuellen Leitlinie. Allergologie Allergologie 4/2019: 162-163.
15) Wheeler DS1, Geis G, Mack EH, LeMaster T, Patterson MD. High-reliability emergency response teams in the hospital: improving quality and safety using in situ simulation training. BMJ Qual Saf. 2013 Jun;22(6):507-14. doi: 10.1136/bmjqs-2012-000931. Epub 2013 Mar 1.
16) Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=uh5xwPKnYis&t=68s.
17) Vgl. Ring J. wie Anm. 9.


Autoren:

Beate Lühe

Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, Agentur Notruf, 10249 Berlin

Dr. med. Jens Rocktäschel
Facharzt für Anästhesie und Notfallmedizin, Vivantes Klinikum Kaulsdorf, 12621 Berlin

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (16) Seite 22-24