Eine Infektion mit SARS-CoV-2 verläuft bei Kindern meist milder als bei Erwachsenen. Das ist aber nicht immer so: PIMS/MIS-C ist ein seltenes, aber ernstzunehmendes Krankheitsbild, welches sich in der Frühphase klinisch sehr unpräzise präsentiert. Große Teile der Pathophysiologie sowie der Langzeitfolgen sind bisher ungeklärt. Eine Therapie und Nachsorgeempfehlung für die betroffenen Kinder ist jedoch erarbeitet worden.

Z u den häufigsten Symptomen einer COVID-19-Erkrankung bei Kindern zählen Fieber und Husten sowie Halsschmerzen, Myalgie, Kopfschmerzen, Rhinitis, Durchfall und/oder Erbrechen [1]. Wenige Monate nach Beginn der globalen Corona-Pandemie wurden jedoch erste Fälle eines neuen schweren Krankheitsbilds bei Kindern berichtet [2, 3]. Im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 trat ein "Hyperinflammations-Syndrom" auf, das frappante Überschneidungen zum Kawasaki-Syndrom hatte. Im Unterschied zum Kawasaki-Syndrom waren diese Kinder jedoch älter – zumeist Jugendliche – , hatten Zeichen einer ausgeprägten Myokarditis mit katecholaminpflichtiger myokardialer Funktionseinschränkung und Zeichen einer Peritonitis. Nicht wenige dieser Kinder wurden mit V. a. Appendizitis kinderchirurgisch versorgt.

Kasuistik: Eine einfache Erkältung?
Ein 11-jähriger Junge stellt sich in der Praxis mit seit 2 Tagen bestehendem Fieber bis 39 °C vor. Anamnestisch hat er keine Grunderkrankung und neben dem Fieber einen leichten Husten und Myalgie, ansonsten keine weitere Symptomatik. Bei der klinischen Untersuchung fällt bis auf ein blasses unspezifisches feinfleckiges Exanthem am Brustkorb keine Besonderheit auf. Die HF liegt bei 105/min – was durch das Fieber erklärt wird –, die AF bei knapp 30/min, die Sauerstoffsättigung bei 96 %. Der Junge ist nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft, der Schnelltest war jedoch negativ. Der U-Stix ist unauffällig. Der Junge wird mit V.a. "Virusinfekt" und "symptomatischer" Therapie nach Hause geschickt. Am nächsten Tag stellt sich der Junge erneut in der Praxis vor. Er ist im Vergleich zum Vortag deutlich schlapper. Neben dem weiterhin bestehenden hohen Fieber gibt er nun starke abdominelle Schmerzen an. Sie stellen ein druckschmerzhaftes Abdomen und eine Abwehrspannung insb. im rechten Unterbauch fest und weisen den Jungen umgehend mit V. a. Appendizitis in die Kinderklinik ein. Dort kann man dem Verdacht bei zudem hohem CRP und Leukozytose folgen und der Junge wird umgehend einer Appendektomie unterzogen. Der junge Patient wird perioperativ zunehmend kreislaufinstabil und katecholaminpflichtig und daher postoperativ auf die Kinderintensivstation verlegt. Echokardiografisch zeigt sich eine hochgradig eingeschränkte Herzfunktion. Laborparametrisch sind Troponin und NT-proBNP erhöht, die Gerinnung ist leicht derangiert, die D-Dimere erhöht, er hat eine Anämie und eine Thrombozytopenie. Die SARS-CoV-2-PCR ist negativ, jedoch lassen sich positive AK gegen das SARS-CoV-2-Spike-Protein nachweisen. Die gesamte Familie war vor 6 Wochen "erkältet", wobei der Junge am wenigsten "krank" war, ein SARS-CoV-2-Test wurde nicht durchgeführt. Anhand der vorliegenden Symptomkonstellation wird ein Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) vermutet und eine Therapie mit Immunglobulinen, hochdosierten Kortikosteroiden und Heparin initiiert. Erfreulicherweise geht es dem Jungen bereits am nächsten Tag deutlich besser, er ist fieberfrei, kann extubiert und die Kreislaufunterstützung nach 2 Tagen beendet werden.

Stark variierende Symptome

Mittlerweile wird dieses Krankheitsbild Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) oder auch Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) genannt. PIMS/MIS-C tritt 2 bis 6 Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion als postinfektiöse hyperinflammatorische Immunreaktion auf. Wenn es nicht rechtzeitig erkannt und eine frühzeitige Therapie eingeleitet wird, können schwere bis sogar letale Verläufe auftreten. Die Symptome können stark variieren und umfassen laut deutschem Register vor allem kardiovaskuläre (> 70 %) – bei Tachykardie und Tachypnoe an kardiale Genese denken! –, gastrointestinale (ca. 80 %), pulmonale (ca. 45 %), hämatologische (ca. 35 %) und zentralnervöse Beschwerden (ca. 30 %). Ebenso werden aber auch kutane (ca. 79 %), mukosale (ca. 60 %) sowie bei ca. 20 % der Kinder hepatische, renale oder muskuloskelettale Symptome beschrieben [4]. Schwerwiegende Komplikationen, u. a. Schock und Myokarditis, führen in 60–80 % der Fälle zu einer intensivmedizinischen Behandlungsnotwendigkeit [5]. Aneurysmen der Koronararterien, eine gefürchtete Komplikation des Kawasaki-Syndroms, können auch beim PIMS entstehen, scheinen jedoch hinsichtlich ihrer Dimensionen weniger ausgeprägt zu sein. Aufgrund der sehr heterogenen Symptomatik werden nur knapp 50 % der PIMS/MIS-C- Patienten bei Aufnahme im Krankenhaus direkt diagnostiziert. Die Diagnose wird jedoch heutzutage deutlich schneller als noch vor einem Jahr gestellt. Häufige Verdachtsdiagnosen bei Aufnahme sind Gastroenteritis, Appendizitis, Sepsis u. Sepsis-ähnliches Krankheitsbild, Kawasaki-Syndrom bzw. Fieber unklarer Genese [4].

Die genaue Pathogenese des PIMS/MIS-C ist noch nicht vollständig geklärt. Neben einer Makrophagenaktivierung mit Stimulation der T-Helferzellen scheinen ebenso Autoantikörper gegen den Interleukin-1 Rezeptorantagonisten IL-1Ra auf immunologischer Ebene eine Rolle zu spielen [7, 8]. Nicht nur COVID-19-Patienten, sondern auch Kinder mit PIMS/MIS-C haben eine ausgeprägte endotheliale Dysfunktion und darüber eine pathologische Mikrozirkulation. Diesem Mechanismus wird auch beim Kawasaki-Syndrom eine wichtige ätiopathogenetische Rolle zugeschrieben. Daraus ergibt sich die Hypothese, dass sich die zahlreichen Symptome sowie die unterschiedlichen Verläufe nach SARS-CoV-2-Infektionen unter anderem durch eine Dysregulation des mikrovaskulären Gefäßsystems erklären lassen könnten. Jungen machen etwa 2/3 der PIMS-Fälle aus. Nur selten haben die Kinder eine Vorerkrankung. Unterschiedliche SARS-CoV-2-Varianten können einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben. So werden unter der Omikron-Variante weniger schwere Verlaufsformen berichtet. Dieser Sachverhalt kann aber auch im Zusammenhang mit einer zunehmenden Durchimpfung diskutiert werden.

Therapie

Patienten mit PIMS/MIS-C benötigen eine frühzeitige interdisziplinäre Betreuung und gegebenenfalls eine intensivmedizinische Behandlung. Auf Basis der Erfahrung von Kohortenstudien und Fallserien bzw. der Empfehlung der Therapie des Kawasaki-Syndroms [7, 9, 10, 11] erarbeiteten Vertreter unterschiedlicher pädiatrischer Fachgesellschaften folgende Therapieempfehlung [5]. In dieser Empfehlung wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass eine immunmodulatorische Kombinationstherapie aus hochdosierten intravenösen Immunoglobulin-Gaben (IVIG: Humanes Immunoglobulin i.v. 2 g/kgKG in einer Einzeldosis über 12–16 Stunden, max. 100 g) und Kortikosteroiden möglicherweise eine bessere Wirkung als IVIG alleine hat. Bei klinisch wenig beeinträchtigten Fällen kann IVIG alleine ausreichend sein. Eine Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS (max. 100 mg), sofern keine relevante Thrombozytopenie oder andere Kontraindikationen vorliegen, sollte in jedem Fall durchgeführt werden. Eine Antikoagulation ist nur bei kardialer Funktionseinschränkung bzw. jeglichen Hinweisen auf Thrombusformationen indiziert. Bei unzureichendem Ansprechen bzw. Nichtansprechen, schwerem Verlauf oder Zytokinsturm werden die Steroide fortgesetzt und durch eine weitere immunmodulatorische Therapie ergänzt. Folgende drei Medikamente können in diesem Zusammenhang Einsatz finden:

  1. Interleukin-1-Antagonist (Anakinra s.c. 2–4 mg/kg KG/d Anfangsdosis in 2–3 ED, maximum 100 mg als ED, repetitive Gabe alle 8 h für die Dauer des Zytokinsturms, danach langsame Dosisreduktion um 10–30 %/d),
  2. Interleukin-6-Antagonist (Tocilizumab i. v. bei < 30 kg KG: 12 mg/kgKG in 1 ED, bei > 30 kg KG: 8 mg/kg KG in 1 ED, maximum 800 mg) (bei Kindern < 2 Jahren und Verdacht auf bakterielle Superinfektion Interleukin-1-Antagonist bevorzugen) oder
  3. TNF-alpha-Inhibitor (Infliximab i.v. (5–)10 mg/kg KG in 1 ED).

Nachsorge

Die Langzeitfolgen des PIMS/MIS-C sind aktuell noch nicht geklärt. Erste Untersuchungen mittelfristiger Nachbeobachtungen mit dem Fokus auf die kardialen Folgen deuten erfreulicherweise nicht auf eine langfristige myokardiale Funktionseinschränkung hin. In Verantwortung für diese Patienten wurde im Konsens mehrerer pädiatrischer Fachgesellschaften ein strukturiertes Nachsorgekonzept entwickelt (Tabelle 1) [12]. Dieses soll bestenfalls in enger Kooperation zwischen niedergelassenen Kinderärzten und Fachkliniken erfolgen. Die klinischen Daten von Kindern mit PIMS sollen im nationalen PIMS-Register über die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI, https://dgpi.de/pims-survey-anleitung/) erfasst werden, um sowohl über das akute Krankheitsgeschehen als auch den Langzeitverlauf dieser neuen Erkrankung Erfahrungen sammeln zu können.

Wichtig für die Sprechstunde
  • PIMS/MIS-C präsentiert sich in der Frühphase klinisch sehr unspezifisch.
  • Häufige Verdachtsdiagnosen sind Gastroenteritis, Appendizitis, Sepsis, Kawasaki-Syndrom und Fieber unklarer Genese.
  • Wenn keine frühzeitige Therapie eingeleitet wird, können schwere bis letale Verläufe auftreten.


Literatur:
[1] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.: Stellungnahme der DGPI, GPP, API, GKJR, DGPK und STAKOB zur klinischen Präsentation und zur medikamentösen Behandlung von Kindern mit COVID-19 – Update November 2020 (Stand 26.09.2022). https://dgpi.de/wp-content/uploads/2020/11/COVID-19-Therapie-Stellungnahme-2020-11-28.pdf
[2] Riphagen S, et al.: Hyperinflammatory shock in children during COVID-19 pandemic. Lancet. 2020, 395:1607-1608.
[3] Malviya A, et al.: Childhood Multisystem Inflammatory Syndrome: An Emerging Disease with Prominent Cardiovascular Involvement-A Scoping Review. SN Compr Clin Med. 2021, 3:48-59.
[4] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.: Aktuelle Ergebnisse der Datensammlung vpn Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS)-Fällen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland (Stand 26.09.2022). https://dgpi.de/pims-survey-update/
[5] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.: Stellungnahme der DGPI, API, DGKJ, DGPK, GPOH, GKJR, GPP und STAKOB zur Klinik, Diagnostik und Therapie von Kindern mit COVID-19 – Update Februar 2022 (Stand 26.09.2022). https://dgpi.de/wp-content/uploads/2022/02/COVID-19-Klinik-Diagnostik-Therapie-Stellungnahme-2022-02_Final2.pdf
[6] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.: Anleitung zum PIMS-Survey (Stand 20.08.2022). https://dgpi.de/pims-survey-anleitung/
[7] Nakra NA, et al.: Multi-System Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) Following SARS-CoV-2 Infection: Review of Clinical Presentation, Hypothetical Pathogenesis, and Proposed Management. Children (Basel). 2020 Jul 1, 7:69.
[8] Pfeifer J, et al.: Autoantibodies against interleukin-1 receptor antagonist in multisystem inflammatory syndrome in children: a multicenter, retrospective, cohort study. Lancet Rheumatol. 2022 May, 4:e329-e337.
[9] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie et al.: Leitlinie Kawasaki Sydrom (S2k Leitlinie) (Stand 20.08.2022). https://www.dgpk.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/KawasakiLLfinales_Finale_Dezember2020.pdf
[10] Henderson LA, et al.: American College of Rheumatology Clinical Guidance for Multisystem Inflammatory Syndrome in Children Associated With SARS-CoV-2 and Hyperinflammation in Pediatric COVID-19: Version 3. Arthritis Rheumatol. 2022 Apr, 74:e1-e20.
[11] Harthan AA, et al.: Early combination therapy with immunoglobulin and steroids is associated with shorter ICU length of stay in Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) associated with COVID-19: A retrospective cohort analysis from 28 U.S. Hospitals. Pharmacotherapy. 2022 Jul, 42:529-539.
[12] Jakob A, et al.: Nachsorge von Kindern bei PIMS. Dtsch Arztebl 2021, 118: A-1814 / B-1502


Autor

© privat
PD. Dr. med. André Jakob

Klinikum der LMU München, Abteilung Kinderkardiologie und pädiatrische Intensivmedizin
81377 München
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert

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Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (12) Seite 18-21