Eine Infektion mit SARS-CoV-2 verläuft bei Kindern meist milder als bei Erwachsenen. Das ist aber nicht immer so: PIMS/MIS-C ist ein seltenes, aber ernstzunehmendes Krankheitsbild, welches sich in der Frühphase klinisch sehr unpräzise präsentiert. Große Teile der Pathophysiologie sowie der Langzeitfolgen sind bisher ungeklärt. Eine Therapie und Nachsorgeempfehlung für die betroffenen Kinder ist jedoch erarbeitet worden.
Z u den häufigsten Symptomen einer COVID-19-Erkrankung bei Kindern zählen Fieber und Husten sowie Halsschmerzen, Myalgie, Kopfschmerzen, Rhinitis, Durchfall und/oder Erbrechen [1]. Wenige Monate nach Beginn der globalen Corona-Pandemie wurden jedoch erste Fälle eines neuen schweren Krankheitsbilds bei Kindern berichtet [2, 3]. Im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 trat ein "Hyperinflammations-Syndrom" auf, das frappante Überschneidungen zum Kawasaki-Syndrom hatte. Im Unterschied zum Kawasaki-Syndrom waren diese Kinder jedoch älter – zumeist Jugendliche – , hatten Zeichen einer ausgeprägten Myokarditis mit katecholaminpflichtiger myokardialer Funktionseinschränkung und Zeichen einer Peritonitis. Nicht wenige dieser Kinder wurden mit V. a. Appendizitis kinderchirurgisch versorgt.
Stark variierende Symptome
Mittlerweile wird dieses Krankheitsbild Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) oder auch Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) genannt. PIMS/MIS-C tritt 2 bis 6 Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion als postinfektiöse hyperinflammatorische Immunreaktion auf. Wenn es nicht rechtzeitig erkannt und eine frühzeitige Therapie eingeleitet wird, können schwere bis sogar letale Verläufe auftreten. Die Symptome können stark variieren und umfassen laut deutschem Register vor allem kardiovaskuläre (> 70 %) – bei Tachykardie und Tachypnoe an kardiale Genese denken! –, gastrointestinale (ca. 80 %), pulmonale (ca. 45 %), hämatologische (ca. 35 %) und zentralnervöse Beschwerden (ca. 30 %). Ebenso werden aber auch kutane (ca. 79 %), mukosale (ca. 60 %) sowie bei ca. 20 % der Kinder hepatische, renale oder muskuloskelettale Symptome beschrieben [4]. Schwerwiegende Komplikationen, u. a. Schock und Myokarditis, führen in 60–80 % der Fälle zu einer intensivmedizinischen Behandlungsnotwendigkeit [5]. Aneurysmen der Koronararterien, eine gefürchtete Komplikation des Kawasaki-Syndroms, können auch beim PIMS entstehen, scheinen jedoch hinsichtlich ihrer Dimensionen weniger ausgeprägt zu sein. Aufgrund der sehr heterogenen Symptomatik werden nur knapp 50 % der PIMS/MIS-C- Patienten bei Aufnahme im Krankenhaus direkt diagnostiziert. Die Diagnose wird jedoch heutzutage deutlich schneller als noch vor einem Jahr gestellt. Häufige Verdachtsdiagnosen bei Aufnahme sind Gastroenteritis, Appendizitis, Sepsis u. Sepsis-ähnliches Krankheitsbild, Kawasaki-Syndrom bzw. Fieber unklarer Genese [4].
Die genaue Pathogenese des PIMS/MIS-C ist noch nicht vollständig geklärt. Neben einer Makrophagenaktivierung mit Stimulation der T-Helferzellen scheinen ebenso Autoantikörper gegen den Interleukin-1 Rezeptorantagonisten IL-1Ra auf immunologischer Ebene eine Rolle zu spielen [7, 8]. Nicht nur COVID-19-Patienten, sondern auch Kinder mit PIMS/MIS-C haben eine ausgeprägte endotheliale Dysfunktion und darüber eine pathologische Mikrozirkulation. Diesem Mechanismus wird auch beim Kawasaki-Syndrom eine wichtige ätiopathogenetische Rolle zugeschrieben. Daraus ergibt sich die Hypothese, dass sich die zahlreichen Symptome sowie die unterschiedlichen Verläufe nach SARS-CoV-2-Infektionen unter anderem durch eine Dysregulation des mikrovaskulären Gefäßsystems erklären lassen könnten. Jungen machen etwa 2/3 der PIMS-Fälle aus. Nur selten haben die Kinder eine Vorerkrankung. Unterschiedliche SARS-CoV-2-Varianten können einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben. So werden unter der Omikron-Variante weniger schwere Verlaufsformen berichtet. Dieser Sachverhalt kann aber auch im Zusammenhang mit einer zunehmenden Durchimpfung diskutiert werden.
Therapie
Patienten mit PIMS/MIS-C benötigen eine frühzeitige interdisziplinäre Betreuung und gegebenenfalls eine intensivmedizinische Behandlung. Auf Basis der Erfahrung von Kohortenstudien und Fallserien bzw. der Empfehlung der Therapie des Kawasaki-Syndroms [7, 9, 10, 11] erarbeiteten Vertreter unterschiedlicher pädiatrischer Fachgesellschaften folgende Therapieempfehlung [5]. In dieser Empfehlung wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass eine immunmodulatorische Kombinationstherapie aus hochdosierten intravenösen Immunoglobulin-Gaben (IVIG: Humanes Immunoglobulin i.v. 2 g/kgKG in einer Einzeldosis über 12–16 Stunden, max. 100 g) und Kortikosteroiden möglicherweise eine bessere Wirkung als IVIG alleine hat. Bei klinisch wenig beeinträchtigten Fällen kann IVIG alleine ausreichend sein. Eine Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS (max. 100 mg), sofern keine relevante Thrombozytopenie oder andere Kontraindikationen vorliegen, sollte in jedem Fall durchgeführt werden. Eine Antikoagulation ist nur bei kardialer Funktionseinschränkung bzw. jeglichen Hinweisen auf Thrombusformationen indiziert. Bei unzureichendem Ansprechen bzw. Nichtansprechen, schwerem Verlauf oder Zytokinsturm werden die Steroide fortgesetzt und durch eine weitere immunmodulatorische Therapie ergänzt. Folgende drei Medikamente können in diesem Zusammenhang Einsatz finden:
- Interleukin-1-Antagonist (Anakinra s.c. 2–4 mg/kg KG/d Anfangsdosis in 2–3 ED, maximum 100 mg als ED, repetitive Gabe alle 8 h für die Dauer des Zytokinsturms, danach langsame Dosisreduktion um 10–30 %/d),
- Interleukin-6-Antagonist (Tocilizumab i. v. bei < 30 kg KG: 12 mg/kgKG in 1 ED, bei > 30 kg KG: 8 mg/kg KG in 1 ED, maximum 800 mg) (bei Kindern < 2 Jahren und Verdacht auf bakterielle Superinfektion Interleukin-1-Antagonist bevorzugen) oder
- TNF-alpha-Inhibitor (Infliximab i.v. (5–)10 mg/kg KG in 1 ED).
Nachsorge
Die Langzeitfolgen des PIMS/MIS-C sind aktuell noch nicht geklärt. Erste Untersuchungen mittelfristiger Nachbeobachtungen mit dem Fokus auf die kardialen Folgen deuten erfreulicherweise nicht auf eine langfristige myokardiale Funktionseinschränkung hin. In Verantwortung für diese Patienten wurde im Konsens mehrerer pädiatrischer Fachgesellschaften ein strukturiertes Nachsorgekonzept entwickelt (Tabelle 1) [12]. Dieses soll bestenfalls in enger Kooperation zwischen niedergelassenen Kinderärzten und Fachkliniken erfolgen. Die klinischen Daten von Kindern mit PIMS sollen im nationalen PIMS-Register über die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI, https://dgpi.de/pims-survey-anleitung/) erfasst werden, um sowohl über das akute Krankheitsgeschehen als auch den Langzeitverlauf dieser neuen Erkrankung Erfahrungen sammeln zu können.
- PIMS/MIS-C präsentiert sich in der Frühphase klinisch sehr unspezifisch.
- Häufige Verdachtsdiagnosen sind Gastroenteritis, Appendizitis, Sepsis, Kawasaki-Syndrom und Fieber unklarer Genese.
- Wenn keine frühzeitige Therapie eingeleitet wird, können schwere bis letale Verläufe auftreten.

PD. Dr. med. André Jakob
Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (12) Seite 18-21