Eine sexuell übertragbare Infektion kommt selten allein. Und manchmal täuscht der erste Eindruck. Zwei Kasuistiken aus der auch für Hausärzt:innen relevanten Welt der STI.

Unter dem Titel "Immer noch für eine Überraschung gut – Zeichen sexuell übertragbarer Infektionen" stellte Frau Dr. Anja Potthoff, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum, auf der diesjährigen Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) zwei eindrucksvolle Fälle vor.

Fall 1:

Ein 35-jähriger Mann berichtete, seit mehreren Tagen Ulzerationen am Penis bemerkt zu haben. Er verspürte zwar nur geringe Schmerzen, wollte die Veränderungen aber abgeklärt haben. Auffällig war zudem bei der proktoskopischen Untersuchung des Anus eine geschwollene, gerötete Schleimhaut. Die Diagnose lautete: Lymphogranuloma venereum (LGV), eine Chlamydieninfektion. LGV ist seit etwa einem Jahrzehnt unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), in Europa prävalent und äußert sich meistens als hämorrhagische Proktitis, manchmal auch als Kolitis. Diese kann mitunter auch mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung verwechselt werden. Bis zu 10 % der Chlamydienfälle, die wir bei uns im Zentrum diagnostizieren, sind LGV, erklärte Dr. Potthoff.

Die Differenzierung zu einer Chlamydien-Urethritis ist wichtig. Denn bei Letzterer wird mit Doxycyclin 100 mg zweimal täglich über sieben Tage behandelt, beim LGV über 21 Tage. Medikament der zweiten Wahl ist Azithromycin 1,5 g oral einmalig, bei LGV an den Tagen 0, 8 und 15. Frühestens nach sechs Wochen macht es Sinn, eine Therapiekontrolle durchzuführen. Und ganz wichtig: die Partnerin/den Partner nicht vergessen!

Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose dient ein Nukleinsäureamplifikationstest aus Erststrahlurin oder aus Abstrichen, ggf. direkt aus dem Ulkus oder einer Fistel (sofern vorhanden). Primärläsion war bei dem Patienten das Ulkus am Penis. Gleichzeitig hatte er sich aber im Analbereich infiziert, in dieser Lokalisation äußert sich die Infektion aber nicht als Ulkus, sondern als Proktitis.

Fall 2:

Ein 35-jähriger Mann stellt sich in der proktologischen Sprechstunde zur Kondylom-Operation vor. Bei der Voruntersuchung erschienen die Kondylome etwas schmierig belegt. Die routinemäßig durchgeführte Labordiagnostik ergab einen positiven HIV-Elisa-Test sowie positive TPHA- und VDRL-Tests. Es wurde dann schnell klar, dass es sich um Condylomata lata und nicht accuminata handelte. Die Operation wurde abgesagt und eine Penicillinbehandlung eingeleitet. Die Syphilistherapie besteht aus 2,4 Mio. IE Benzyl-Penizillin einmalig i.m. bei der Frühsyphilis und dreimal im Abstand von je einer Woche bei der Spätsyphilis (wenn eine Neurosyphilis ausgeschlossen ist). Da bei dem Patienten kein vorangegangener Test vorlag, mussten wir von einer Spätsyphilis (Dauer: mindestens ein Jahr) ausgehen. Die – schlechter wirksamen – Alternativtherapien sind Doxycyclin, Erythromycin oder Ceftriaxon. Wenn man bei der oralen Therapie auch nur einmal eine Tablette vergisst, muss wieder ganz von vorn begonnen werden. Auch eine HIV-Therapie wurde eingeleitet und vier Wochen später waren die CD4-Lymphozyten angestiegen und die HI-Viruslast deutlich gesunken.

Meist mehrere Infektionen

Eine sexuell übertragbare Infektion (STI) kommt selten allein. Das heißt also: Wenn Sie eine STI finden, testen Sie immer auf alle anderen Erkrankungen (Syphilis, Gonorrhoe, HIV, Chlamydien) und auch auf Hepatitis B und C! Tests auf meldepflichtige Erkrankungen sind extrabudgetär. Die Meldepflicht gilt seit 1. März 2021 auch für die Gonorrhoe, und zwar immer bei verminderter Empfindlichkeit auf Azithromycin, Cefixim oder Ceftriaxon. Wegen zunehmender Resistenzen der Gonokokken sollte man vor der Therapie immer versuchen, eine Kultur anzulegen. Die Therapie der Wahl ist Ceftriaxon 1 bis 2 g i.v. oder i.m. als Einmaldosis plus Azithromycin 1,5 g p.o. als Einmaldosis. Eine Nachkontrolle ist frühestens nach ein bis zwei Wochen sinnvoll.



Autorin
Dr. med. Vera Seifert



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (8) Seite 26-27