In vergangenen Zeiten herrschte eine hohe Kindersterblichkeit, die bis in die Neuzeit anhielt. Besonders viele Kinder erlagen Krankheiten, deren Ursachen man nicht kannte und für die daher wirksame Therapien nicht existierten. Meist behandelten die Menschen Kinderkrankheiten mit Mitteln der Volksmedizin, die ihnen heilkundige Frauen empfahlen. Doch sie waren oft wirkungslos und dem Aberglauben verhaftet. Unser Autor wagt einen medizinhistorischen Rückblick.

Da die Menschen sich früher die Entstehung von Krankheiten nicht erklären konnten, glaubten sie an Dämonen (böse Geister), die in den Körper fahren und bestimmte Krankheiten beim Menschen verursachen. So wurde Niesen früher als günstiges Symptom eines Schnupfens oder einer Erkältung angesehen. Denn Niesen vertreibt den Krankheitsdämon aus dem Körper und entlastet ihn so. Ein Schnupfen reinigt also das Gehirn und besitzt prophylaktische Eigenschaften, das glaubte man damals. Um den Schnupfen loszuwerden, griff man auch zu sympathetischen Heilmitteln: Ein roter Heller (Geldstück) wurde mit dem Schnupfenschleim bestrichen, in Papier gewickelt und auf die Straße geworfen. Der Finder des Hellers bekam jetzt den Schnupfen, und der "Schnupfige" war geheilt. Erkältungen bei Erwachsenen und Kindern wurden von Fall zu Fall auch mit anderen probaten Mitteln behandelt: Man lässt Kandiszucker in einem ausgehöhlten schwarzen Rettich zergehen und trinkt dann den Rettichsaft. Außerdem wurden Lakritzsaft, Brustbonbons, Rettichzucker und Zuckersirup eingenommen. Populär waren auch Hustentees aus Eibischwurzeln, Lindenblüten, Königskerze, Ysop, Huflattich, Heidekraut, Natterkopf, Schafgarbe, Malztee – und nicht zuletzt warmes Bier.

"Speikinder sind Gedeihkinder!"

Über das Erbrechen von Säuglingen und Kleinkindern gingen damals die Meinungen auseinander. "Speikinder sind Gedeihkinder" sagte man in Österreich und unternahm nichts dagegen. Auch war die Volksmedizin der Meinung, dass das Erbrechen auf einem zu vollen Magen beruht und sich der Magen so von einem Nahrungsüberschuss befreit.

Eine Krankheit, die viele Kinderleben kostete, war der Magen-Darm-Katarrh, vor allem wenn er durch eine Infektion ausgelöst wurde. Man gab hier den Kindern teelöffelweise Gänsefett oder Olivenöl ein. In Schwaben rieb man das Rückgrat und die Fußsohlen des Kindes mit dem Schmalz von Kapaun, Hase oder Hecht ein. Meist reagierten die Eltern nicht, wenn sich das Kind nur erbrach. Roch das Erbrochene aber sauer, kamen "Hinfälligkeit" (Schwäche) und Durchfall hinzu, verabreichten die Eltern ihrem kranken Kind "Windpulver". Das war eine Mischung aus Magnesia (Magnesiumoxid), Rhabarber und Fenchelsamen. War der Durchfall grün gefärbt, sprach die Volksmedizin von "Darmreißen" und als Therapie legten die Eltern die in Schmalz geröstete Pflanze Hühnerdarm oder Gauchheil (Anagallis arvensis) auf den Leib des Kindes. Außerdem tranken die Kinder Tee von Kamille, Schafgarbe, Minze, Melisse und Majoran und wurden mit Tee-Umschlägen auf dem Leib behandelt. Es gab aber auch noch drastischere Rezepte: Bei "Bauchgrimmen" mussten schon Kleinkinder den Saft des Pferdemistes oder Tabaksaft trinken. Außerdem wurde der Leib mit Lorbeersalbe eingerieben. In der Slowakei galt als bewährtes Hausmittel gegen Brechdurchfall ein Ei mit Zwiebel und Kümmel, gut in Butter verrieben. Litten die Kinder an Verstopfung bereiteten die Eltern ihnen Stuhlzäpfchen aus Butter, Seife oder hartem, gesalzenem Schmalz.

Wie man Würmer und Läuse vertreibt!

Würmer und Läuse waren in vergangenen Zeiten – auch bei Kindern – weit verbreitet. Spulwürmer (Ascaris lumbricoides) wurden als Kinderwürmer bezeichnet. Bei Wurmverdacht legte man dem Kind ein mit Wacholder-
öl oder Myrrhe versetztes Stück Leinwand auf den Nabel. Klebte der Stoff auf der Haut, waren Würmer vorhanden. Die Volksmedizin behandelte sie mit Zitwersamen (Semen Cinae, Artemisia cina), im Volksmund Wurmsamen genannt. Der Inhaltsstoff Santonin besitzt tatsächlich Wurm-treibende Eigenschaften. Aufgrund von schweren Intoxikationen werden Semen Cinae heute nicht mehr als Anthelminthikum eingesetzt.

In Italien verabreichten die Eltern wurmkranken Kindern mit Petroleum getränkte Zuckerstücke. Ein beliebtes Hausmittel gegen Würmer war Knoblauch. Er wurde als Amulett um den Hals getragen und in Milch gekocht eingenommen. Auch Klistiere mit Knoblauch, Wermut, Baldrian, Rainfarn, Pomeranzenschalen oder Schwefelwasser sind überliefert. Warf man ein Stück Stinkasant oder Teufelsdreck (Gummiharz Asa foetida) in den Nachttopf, zog er die Würmer aus dem Darm des Kindes. Dabei galt in Ungarn der Aberglaube, dass nur bei zunehmendem Mond oder am Freitag angewendete Wurmmittel helfen.

Quacksalber verdienten sich ihr Geld auf Jahrmärkten damit, Menschen Würmer aus der Nase zu ziehen, die sie dem staunenden Publikum als gefährliche Hirnwürmer präsentierten. Es waren aber nur Nasenschleimfäden oder Nasenpolypen, die sie aus den Nasen "zauberten". Und zum Schluss ein abstoßendes Rezept: In Ungarn trocknete und pulverisierte man abgegangene Würmer. Die Kinder mussten dieses Pulver als "Gegenmittel" einnehmen.

Gegen Läuse schmierte man in Böhmen den Kopf mit Quecksilbersalbe ein. Andere streuten Kapuzinerpulver auf den "lausigen Kopf". Das Pulver bestand aus Läusesamen (Schoenocaulon officinale Sabadilla). Das waren die Früchte einer zwiebelartigen Pflanze aus Mittelamerika. Die Früchte (Samen) enthalten das Alkaloid-Gemisch Veratrin, das tatsächlich gegen Hautparasiten wirkt. Bekannt als Läusemittel war auch der Sabadill-Essig. Aufgrund giftiger Nebenwirkungen ist die Droge heute obsolet.

"Fraisen" machte den Menschen Angst!

In vielen medizinischen Schriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit spielen die "Fraisen" eine große Rolle. Es war ein alter Ausdruck für ein Epilepsie-artiges Krankheitsbild bei Kindern, das durch Krämpfe, Zuckungen, Wut, Zorn und Fieber gekennzeichnet war und manchmal mit dem Tod des Kindes endete. Die Krankheitsursache war damals nicht bekannt. Die Art der Symptome war vielen Menschen unheimlich und löste Ängste aus. Deshalb existiert in der Volksmedizin eine Fülle von Heilmitteln gegen diese Erkrankung. Viele sollten prophylaktisch wirken. So verwendete man in Franken einen Mäusekopf, der einem lebenden Tier abgebissen wurde, gab ihn in ein Säckchen und hängte dies dem Kind als Amulett um. Andere Amulette bestanden aus einer Bernsteinschnur, aus Maulwurfzähnen, einer "Elephanten" (die getrocknete Frucht des ostindischen Elefantenlausbaums, Anacardium orientale), die Kinder am Körper trugen. Eine Kette aus Gichtsamen (Samen der Pfingstrose) war ebenfalls ein beliebtes Mittel gegen die Fraisen. Woanders mussten Kinder als Schutz vor dem gefürchteten Anfall ihre pulverisierte Nabelschnur einnehmen.

Beim Fraisen-Anfall durfte man das Kind nicht anfassen, weil sonst das berührte Glied gelähmt bleiben würde. Zur Anfallsbehandlung kennt die Volksmedizin eine Reihe "unfehlbarer Mittel": Da ist zum Einnehmen das "Goldpulver" zu nennen, das aus zerstoßenen Krebsaugen oder Korallen bestand. Die Milch einer frisch geschlachteten Kuh, die kurz vor ihrem Verenden noch gemolken wurde, sollte Wunder wirken. In Österreich und in Sachsen hackte man einer Katze den Schwanz ab und gab dem Kind drei Tropfen des abfließenden Blutes ein. Auch legte man während des Anfalls den Jungen einen lebenden Hahn, den Mädchen eine Henne auf den Leib. Woanders wurde dem "krampfenden Kind" frisch gegrabene Friedhofserde auf den Leib gelegt. Half sie, musste sie zurück auf den Friedhof getragen werden.



Autor
Ernst-Albert Meyer

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (7) Seite 64-66