Raucher wissen wohl ausnahmslos, dass sie mit dem Tabakkonsum ihrer Gesundheit schaden. Dem entgegen stehen der Sucht-Impuls und die individuellen Umstände. Der Goldstandard – Verhaltenstherapie in der Gruppe, unterstützt durch Medikamente – eignet sich nicht für jeden. Dann gilt es, zusammen mit dem Betroffenen einen gangbaren Weg zu finden. Auf jeden Fall gilt die Regel: Regelmäßig nachfragen und immer etwas anbieten!

Tabakabhängigkeit ist so stark und schwer zu überwinden, weil sie aus zwei unabhängig wirksamen Elementen besteht.

Nikotin-Drogensucht

Einerseits gibt es eine regelrechte Drogenabhängigkeit vom durch das Rauchen aufgenommenen Nikotin. Dieses bindet an die Alpha-4-Beta-2-Rezeptoren am Tegmentum und löst im Belohnungssystem eine Dopamin-Ausschüttung aus, die zu höherer Zufriedenheit, Reduktion depressiver Stimmungen etc. führt. Die fehlende Absättigung der Alpha-4-Beta-2-Rezeptoren durch Nikotin führt zu den allbekannten Entzugserscheinungen der Irritabilität, Konzentrationsschwäche und letztlich zum Rauchimpuls.

Konditionierung/habituelle Abhängigkeit

Außerdem gibt es, und oftmals sehr stark ausgeprägt, die habituelle Komponente der Tabakabhängigkeit. Raucher haben über Jahre und Jahrzehnte entlastende Situationen bzw. Selbstbelohnungssituationen an das Rauchen gekoppelt. Der Mechanismus "ich gönne mir eine Pause", begleitet von der Zigarette, soll hier an erster Stelle genannt werden. Menschen, die rauchen, können oftmals eine Tasse Kaffee, ein Telefongespräch etc. kaum erleben, ohne gleichzeitig zur Zigarette zu greifen.

Im Ergebnis rauchen dauerhafter ein Drittel der Erwachsenenbevölkerung, mithin etwa 18 bis 20 Millionen Menschen in Deutschland und dauerhafte Raucher:innen verkürzen ihr Leben im Durchschnitt um etwa zehn Lebensjahre – geschuldet vor allem den drei wichtigsten "Killern" Herzinfarkt, Lungenkrebs und COPD. Etwa jeder sechste vorzeitige Todesfall in Deutschland – zuletzt etwa 127.000 jährlich – ist dem Tabakkonsum geschuldet.

Goldstandard Verhaltenstherapie plus Medikation

Die vor kurzem aktualisierte S3-Leitlinie "Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung" [1] legt unverändert dar, dass die Tabakabhängigkeit mit verhaltenstherapeutisch basierter psychosozialer Intervention (habituelle Komponente) und begleitender medikamentöser Therapie durch Nikotinersatz, Vareniclin und Bupropion (Nikotin-Drogenabhängigkeit) behandelt werden soll. Eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten zur Umsetzung dieser Prinzipien wird in der Leitlinie ausführlich dargelegt. Es heißt darin, dass

  • jede Raucher:in regelmäßig nach der Motivation und Bereitschaft sowie Zuversicht der Beendigung des Rauchens gefragt wird und
  • dass ihr danach geeignete Verfahren der Behandlung angeboten werden.
  • An vorderster Stelle der Angebote steht – quasi als Goldstandard – das Angebot der verhaltenstherapeutisch basierten Gruppenbehandlung, ggf. ergänzt durch die medikamentöse Unterstützung. Mit diesem Verfahren sind gut evaluiert langfristige Abstinenz-Raten – gemessen wird nach zwölf Monaten – von 30 bis nahezu 50 % zu erwarten.

Was, wenn der Goldstandard nicht realistisch ist?

Was aber, wenn – vielleicht ganz einfach aus praktischen Gründen des zu weiten Wohnortes oder der aus Sicht der Raucher:in zu hohen Kosten – der Goldstandard Gruppentherapie plus Medikation nicht infrage kommt? Welche Alternativen sollen und können angeboten werden? Wie verhält es sich mit Selbsthilfe-Manualen, auf elektronischen Medien basierenden Verfahren und eventuellen Alternativmethoden wie Akupunktur oder Hypnose? Und schließlich: Wie sind E-Zigarette bzw. Tabakerhitzer einzuschätzen und in die Empfehlung einzubeziehen?

All dies muss sich nach den von der Patient:in präsentierten Ausgangsparametern richten. In der Sprechstunde bedeutet dies, das potenziell einzusetzende Instrumentarium für den Weg aus der Tabakabhängigkeit intuitiv und schnell abzugleichen mit den Bedingungen, die von der Patient:in vorgegeben sind (Abb. 1).

Patient:innen bieten mit ihrer Ambivalenz – sie wollen den Rauchstopp und dann wollen sie ihn eben doch wieder nicht – eine herausfordernde Ausgangslage. Sie sind sozusagen vor dem Rauchstopp immer innerlich "auf der Flucht" und immer "auf der Suche nach dem Notausgang", der ihnen das Weiterrauchen erlaubt.

Prädiktoren checken

Die Ärzt:in muss einstufen, welche Rahmenbedingungen welche Behandlungsempfehlungen realistisch erscheinen lassen. Es geht dabei um

  • Grad der Sucht (messbar mit dem Fagerströmtest, jedoch einfach durch Schlüsselfragen wie täglichen Konsum und Dauer zur ersten Zigarette am Morgen nach dem Erwachen abzufragen)
  • Geschlecht (Frauen rauchen weniger, kommen aber schwerer von der Abhängigkeit los)
  • eventuelle Depression
  • Motivationsgrad
  • Selbstwirksamkeit
  • Bildungsgrad
  • Einkommenssituation
  • Wohnort (wäre eine Anfahrt zu Kursterminen realistisch?)
  • Raucherumfeld (im Haushalt? In der Familie wird geraucht?)
  • Wunsch nach "Alternativmethode"
  • Dringlichkeit des Rauchstopps (instabile Angina pectoris? Koronare Anamnese bereits mit manifester Koronarerkrankung? Fortgeschrittene COPD mit nahezu aufgebrauchter Atemkapazität?)

Der Werkzeugkasten der Tabakentwöhnung

Dem gegenüber steht der "Werkzeugkasten" möglicher Interventionen mit

  • Gruppenkurs
  • Einzelberatung
  • Empfehlung Rauchertelefon der "Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung"
  • Verweis auf Selbsthilfe-Manual
  • Angebot von Online-Entwöhnung
  • Verordnung der neuerdings verfügbaren App-Begleitung der Tabakentwöhnung (DiGA)
  • Alternativmethoden (Akupunktur, Hypnose ...)
  • und schließlich Beratung zum Potenzial der E-Zigarette bzw. der Tabakerhitzer

Begleitende Medikation: Nikotinersatz/Vareniclin/Cytisin/Bupropion zusätzlich geben?

Schließlich ist daneben der Einsatz der Medikation in Abhängigkeit vom Suchtgrad – Fagerström-Score 3 Punkte oder mehr? – in Betracht zu ziehen und hierbei die Wahl zwischen Nikotinersatzprodukten einzeln und in Kombination bzw. Vareniclin, neuerdings zugelassenem Cytisin und evtl. Bupropion zu treffen.

Typische wiederkehrende Muster

Natürlich hat eine hoch motivierte Patient:in mit zufriedenstellendem Bildungsgrad und guter Selbstwirksamkeit, die sich wirtschaftlich mühelos die Startinvestition von etwa 300 – 500 Euro für den Rauchstoppkurs in der Gruppe einschließlich Medikation (hierbei ist der Krankenkassenanteil des Gruppenkurses in der Größenordnung von etwa 100 – 150 Euro bereits berücksichtigt) leisten kann und die nicht zu weit weg wohnt, um die in der Regel drei bis sechs Kurstermine wahrzunehmen, die besten Chancen, hiermit langfristig zu einer stabilen Abstinenz zu kommen.

Was aber tun, wenn infolge der hohen Ambivalenz der Motivationsgrad zur Umsetzung noch begrenzt ist, der Wohnort weit weg liegt und die Bereitschaft/Fähigkeit einer persönlichen Anfangsinvestition nicht realistisch ist (die Mehrzahl der Raucher:innen lebt eher in wirtschaftlich knapperen oder prekäreren Schichten)?

Niemals nichts empfehlen!

Grundsätzlich gilt: Nie nichts empfehlen! Für Patient:innen dieses Schwierigkeitsgrades muss nach einer Modalität gesucht werden, die der Patient:in sympathisch ist, für sie wirtschaftlich tragfähig ist und ihre Zuversicht für den Entwöhnungserfolg stärken kann. Dabei sollte man alle Alternativen aus dem "Werkzeugkasten" in Betracht ziehen, damit der Handlungsimpuls an die Patient:in überspringen kann. Jüngere, elektronischen Medien mehr verbundene Patient:innen finden möglicherweise das App-Angebot attraktiv, das zudem neuerdings zulasten der Krankenkassen kostenlos ist! Patient:innen mit einer starken Medikamenten-kritischen Haltung werden den Wunsch äußern, Alternativmethoden einzusetzen wie die Hypnotherapie.

Wenn die Dringlichkeit hoch, andererseits aber die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Evidenz-basierten Entwöhnung niedrig ist, kann z. B. die E-Zigarette empfohlen werden, die ausschließlich Dampf und nicht den für die bereits an KHK oder COPD Erkrankten gefährlichen Rauch verwendet. Voraussetzung ist allerdings, dass zu 100 % auf den Konsum von Tabakzigaretten verzichtet wird.

Vorlieben berücksichtigen!

Der Prozess der Auswahl der geeigneten Option soll unter aktiver Beteiligung der Patient:in selbst geschehen. Es ist hier entscheidend – das muss nochmals unbedingt betont werden –, dass das Angebot der Patient:in selbst sympathisch ist und sie es mit Zuversicht in Angriff nimmt, ihre Rauchstopp-Bemühung umzusetzen. Auch wenn Abstinenz-Quoten nach alleiniger Anwendung des Selbsthilfe-Manuals oder der Betreuung über das BZgA-Rauchertelefon global niedrig sind, kann dies für die Patient:in individuell nicht geltend gemacht werden. Vielleicht ist genau dieser eine für sie akzeptierte Weg der Weg zum Rauchstopp und zum langfristigen Erfolg!

Wichtig für die Sprechstunde
  • Die zwei Komponenten der Tabaksucht sind Nikotin-Drogen-Abhängigkeit und habituelle Abhängigkeit.
  • Der therapeutische Goldstandard besteht aus Verhaltenstherapie und medikamentöser Therapie.
  • Alternativen sind ggf. mit der Patient:in zu erarbeiten.


Literatur:
1. AWMF. S3-Leitlinie "Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung" Langversion AWMF-Register Nr. 076-006. In: https://www.awmf.org/: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF); 2021:


Autor

Dr. med. Thomas Hering

Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde/Pneumologie
Lungenarztpraxis Tegel
14057 Berlin
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (2) Seite 35-37