Stechend, dumpf oder bohrend, einschießend, kribbelnd oder brennend – Schmerzen haben viele Gesichter. Auf der Suche nach dem Schmerzverursacher geht der Arzt meist von degenerativen Auslösern aus, z. B. von einer Osteoporose, einer Gelenkarthrose oder von Wirbelsäulenbeschwerden. Beim alten Patienten treten allerdings auch Schmerzen häufiger auf, die durch eine Erkrankung oder Schädigung des Nervensystems ausgelöst werden. Gemeint ist der sogenannte neuropathische Schmerz, der unterschiedliche, wechselnde Symptome hat und einer speziellen Therapie bedarf.

Etwa 8 % der chronischen Schmerzpatienten klagen über neuropathische Schmerzen [1, 2]. Das zeigen aktuelle Daten aus Großbritannien und Frankreich. Bei ca. 11 % der niederländischen Altenheimbewohner wurde ein sicherer neuropathischer Schmerz und bei 5,6 % ein möglicher neuropathischer Schmerz eruiert [3].

Eingeteilt wird diese Schmerzform in zentrale neuropathische und periphere neuropathische Schmerzen – nach den betroffenen Anteilen. Ursachen für zentrale neuropathische Schmerzen können im Alter z. B. ein Apoplex, vor allem im Thalamusbereich, und Morbus Parkinson sein. Periphere neuropathische Schmerzen finden sich vor allem bei Diabetikern und als Folge einer Herpes-Zoster-Erkrankung. Als weitere Ursache sollte ein Mangel an Vitamin B12, Vitamin B1 und Eisen beim alten Patienten abgeklärt werden. Außerdem treten hier Trigeminusneuralgien und ischämische Neuropathien auf. Natürlich löst auch eine Spinalkanalstenose neuropathische Schmerzen aus. Eine ausführliche Liste möglicher Ursachen ist in neuen Veröffentlichungen nachzulesen [4].

Diagnostik

Woran erkennt man, dass die Schmerzen, über die der Patient klagt, neuropathischer Natur sind? Neuropathischer Schmerz äußert sich meist als brennender oder einschießender Schmerz. Sogenannte Plus-Symptome wie Hyperalgesie und Allodynie, aber auch Minus-Symptome wie Hypästhesie und Hypalgesie können auf neuropathische Schäden hindeuten. Schon eine einfache klinische und neurologische Basis-Untersuchung kann also einen ersten Hinweis geben. Hilfreich sind auch spezifische Fragebögen, mit denen die typischen Symptome abgefragt werden können [5].

Ein Goldstandard in der weiteren Diagnostik wurde bislang noch nicht festgelegt. In der Regel wird die Vermutung durch neurophysiologische Tests untermauert. Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit erfasst keine Schädigungen der dünnen Nervenfasern, und auch zentral ausgelöste neuropathische Schmerzen können so nicht erkannt werden. In den letzten Jahren hat sich die Quantitative Sensorische Testung (QST) als sehr hilfreiche, aber auch aufwendige Untersuchung etabliert. Des Weiteren sind sensorisch-sensible evozierte und Laser-evozierte Potenziale und Hautbiopsien zu empfehlen. Bei einem Verdacht auf neuropathische Schmerzen sollte also ein Neurologe hinzugezogen werden [6].

Therapie

Der wichtigste und erste Schritt ist, reversible Ursachen abzuklären und zu behandeln. Dabei müssen sich Arzt und Patient im Klaren darüber sein, dass eine reine Schmerztherapie bei neuropathischen Schmerzen nur bedingt erfolgreich sein kann. So beschreiben die nationale Versorgungsleitlinie für die Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter und weitere Leitlinien zum Thema neuropathische Schmerzen eine Linderung um 30 – 50 %, eine Verbesserung der Schlaf- und Lebensqualität sowie den Erhalt der Teilhabe am sozialen Leben und der Arbeitsfähigkeit als realistische Therapieziele [7].

Medikamentös gibt es mehrere Möglichkeiten: Als erste Empfehlung stehen in den Leitlinien trizyklische Antidepressiva, allen voran Amitriptylin. Es ist allerdings für geriatrische Patienten aus verschiedenen Gründen nicht geeignet. Neben starken anticholinergen Nebenwirkungen, die kognitive Einschränkungen auslösen und verstärken können, sind Wechselwirkungen, QT-Zeit-Verlängerung, Schwindel und Erhöhung der Sturzgefahr gute Argumente, um Trizyklika nicht beim alten Menschen einzusetzen.

Als weitere Empfehlungen der ersten Wahl gelten die Kalziumkanal-Liganden Gabapentin und Pregabalin. Pregabalin hat zusätzlich die Zulassung für zentrale neuropathische Schmerzen. Aber auch hier sind die Nebenwirkungen teils beachtlich und können im Alter den Einsatz dieser Medikamente verhindern. Zu nennen sind hier vor allem Schwindel und Schläfrigkeit. Beide Medikamente werden renal eliminiert und müssen bei Niereninsuffizienz in der Dosis angepasst werden. Bei Pregabalin können ausgeprägte periphere Ödeme einen Therapieabbruch erzwingen.

Mit Duloxetin gibt es ein weiteres Arzneimittel, das für die schmerzhafte diabetische Polyneuropathie zugelassen und wirksam ist. Der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) ist dabei relativ gut verträglich, hat aber einige Interaktionen, die zu beachten sind. So erhöhen sich z. B. die Metoprolol-Spiegel. Und Raucher benötigen die doppelte Dosis. Als eine gewünschte Nebenwirkung ist hingegen die zweite Indikation für Duloxetin bemerkenswert: die Stressinkontinenz. Dies könnte die Medikamentenauswahl beeinflussen. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind bei neuropathischen Schmerzen nicht wirksam. Das altbekannte Carbamazepin ist nur noch für Trigeminusneuralgie das Mittel der ersten Wahl. Die Interaktionen und Nebenwirkungen machen aber den Einsatz beim multimorbiden Patienten problematisch.

Periphere Analgetika haben in Studien keine Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen gezeigt und sind somit nicht indiziert. Opioide haben allerdings einen Platz in deren Therapie, vor allem Tramadol und Oxycodon. Sie sind aber nicht die erste Wahl. Als neuere Substanz ist Tapentadol mit den beiden Angriffspunkten an den Opioidrezeptoren und der Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmung speziell für neuropathische Schmerzen entwickelt worden. In der Behandlung der schmerzhaften diabetischen Neuropathie zeigt es bisher gute Ergebnisse in den Studien. Durch ein fehlendes Interaktionspotenzial ist es für geriatrische Patienten ein interessantes Medikament. Zu beachten sind jedoch die Opioid-typischen Nebenwirkungen.

Die eingesetzten Medikamente müssen individuell ausgewählt und titriert werden, und wie immer gilt beim geriatrischen Patienten das Motto "Start low – go slow", um Nebenwirkungen gering zu halten.

Mit Capsaicin und Lidocain sind für die Post-Zoster-Neuralgie zusätzlich noch lokale Behandlungsmöglichkeiten verfügbar. Das Capsaicin-Pflaster kann nach einmaliger Applikation für etwa drei Monate eine Schmerzlinderung bringen. Die Anwendung selbst ist jedoch schmerzhaft und sollte von erfahrenen Schmerztherapeuten erfolgen. Die Lidocain-Pflaster werden einmal täglich für zwölf Stunden auf die betroffene Stelle geklebt und können für einige Patienten gut schmerzlindernd sein.

Eine ausführliche Beschreibung der Medikamente mit Studienlage findet sich in der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zum Thema "Pharmakologisch nicht interventionelle Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen" [8].

Nicht-medikamentöse Optionen

Auch wenn die medikamentöse Therapie beim neuropathischen Schmerz im Vordergrund steht, sollten nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten angeboten und versucht werden. Physikalische Maßnahmen, Ergo- und Psychotherapie können sinnvolle Ergänzungen sein. Damit gibt man dem Patienten auch eine Hilfe an die Hand, mit der er lernen kann, selbst etwas gegen den Schmerz zu tun. Eine Behandlung mit transkutaner elektronischer Nervenstimulation (TENS) kann z. B. einen Gegenreiz setzen. Bei einer diabetischen Polyneuropathie gibt es gute Erfahrungen mit Hand- und Fußbädern in Raps-Samen.

Wichtig ist, die Option neuropathischer Schmerzen in Betracht zu ziehen, die entsprechende Diagnostik anzustoßen und ggf. eine spezifische Therapie zu beginnen. So kann einer Gruppe von Schmerzpatienten geholfen werden, die häufig mit Analgetika fehlversorgt sind.


Literatur:
1. Torrance N et al. The epidemiology of chronic pain of predominantly neuropathic origin. Results from a general population survey. J Pain. 2006 Apr;7(4): 281-289.
2. Bouhassira D et al. Prevalence of chronic pain with neuropathic characteristics in the general population. Pain 2008 Jun;136(3): 380-387.
3. Van Kollenburg EG et al. Prevalence, Causes, and Treatment of Neuropathic Pain in Dutch Nursing Home Residents: A Retrospective Chart Review. J Am Geriatr Soc 2012 Aug; 60(8): 1418-1425.
4. Stengel M et al. Neuropathischer Schmerz in Baron R et al. (Hrsg. ) Praktische Schmerztherapie 2. Auflage Springer Verlag 2011: 337-353.
5. Haanpää M et al. NeuPSIG guidelines on neuropathic pain assessment. Pain 2011 Jan;152(1):14-27.
6. S1 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Diagnostik neuropathischer Schmerzen Stand 2012 AWMF Registernummer 030 – 132.
7. Nationale VersorgungsLeitlinie: Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter Stand 2011 AWMF Registernummer nvl - 001e.
8. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft der Neurologie: Pharmakologisch nicht interventionelle Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen Stand 2012 AWMF-Registernummer 030 – 114.


Autorin:

Dr. med. Corinna Drebenstedt

Abt. Geriatrie/ Innere Medizin, St. Marienhospital Fresoythe
26169 Firesoythe

Interessenkonflikte: Die Autorin hat in den Jahren 2012-2015 Vortragshonorare der Firmen Pfizer, Lilly und Novartis erhalten



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (20) Seite 43-47