Droht den Arztpraxen in Deutschland ein digitaler Stillstand? In diese Richtung deuten die Ergebnisse des Meinungsbarometers "Der amazonisierte Patient", das sich mit dem Digitalisierungsstand im Gesundheitswesen hierzulande beschäftigt.

Das Patientenverhalten in unserer Gesellschaft verändert sich nachhaltig. Corona fördert Entwicklungen zutage, die Parallelen aufweisen zur Entwicklung des Einzelhandels. Hier hat sich der E-Commerce dauerhaft durchgesetzt, auf Basis des veränderten Kaufverhaltens der Kunden. Der Einzelhandel vor Ort hat das Nachsehen, große Zusammenschlüsse und Ketten profitieren. Parallel dazu geht auch die Entwicklung im ambulanten medizinischen Bereich zunehmend in Richtung einer Erreichbarkeit 24/7 – zugunsten großer Einrichtungen. Insbesondere Öffnungszeiten rund um die Uhr sind für eine klassische Hausarztpraxis nicht umsetzbar −erst recht nicht, wenn sich der Fachkräftemangel weiter verschärft. Digitale Konzepte wie die Videosprechstunde könnten hier mehr Flexibilität bedeuten: wenn z.B. Patient:innen vom Sofa aus hausärztlichen Rat suchen können oder Mediziner:innen virtuelle Sprechstunden auch über Mittag bzw. aus dem Homeoffice (ohne Support der MFA) durchführen.

Aber entspricht das der Realität und wie sieht das die Ärzteschaft?Das aktuelle Meinungsbarometer förderte eine ambivalente Haltung der Ärzt:innen zutage: 37,3 % der Befragten stufen virtuelle Konzepte wie die Videosprechstunde als sinnvolle Ergänzung für die medizinische Versorgung auf dem Land ein. Potenzial für die Attraktivität ihrer eigenen Praxis sieht aber nur jeder Zehnte. Als entscheidenden Grund für ihre Skepsis nennen die befragten Ärzt:innen Schwierigkeiten bei der praktischen und v.a. technischen Umsetzung. So bemängeln rund 30% Unklarheiten beim Datenschutz und zu langsame Internetverbindungen.

Die Umfrageergebnisse zeigen gleichzeitig, dass es keinen grundsätzlichen Widerstand der Ärzteschaft gegenüber digitalen Konzepten gibt. Damit wir aus den teils schmerzhaften Erfahrungen lernen können, die der Einzelhandel im Bereich E-Commerce machen musste, brauchen wir aber deutlich mehr Tempo in Richtung einer anwenderfreundlichen Digitalisierung: PRAXIS-tauglich in dem Sinne, dass die Umsetzung vor Ort in den Arztpraxen gefördert und nicht durch immer neue Herausforderungen vonseiten der Telematikinfrastruktur behindert wird. Auf diesem Wege könnten sich die ambulanten Praxen konkrete Wettbewerbsvorteile erschließen, auch bei der Mitarbeiterbindung: indem sich z. B. durch mehr (digitale) Flexibilität ihre Attraktivität als Arbeitgeber verbessert. Das wäre auch im Hinblick auf Abwerbeversuche durch finanzkräftigere Mitbewerber wie Kliniken hilfreich.

Meinungsbarometer: Die Einschätzung auf Ärzteseite



Autorin
Sabine Mack



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (3) Seite 57