Können plötzlich aufgetretene Ischialgien ohne neurologische Ausfallerscheinungen Ausdruck einer Neuroborreliose sein. Wie kann man die Verdachtsdiagnose sichern und wie sollte man therapieren?

Frage: Ein 72-jähriger Patient in bestem Ernährungs- und Allgemeinzustand klagt seit einiger Zeit über therapieresistente Schmerzen/Ischialgien links, besonders nachts.
Diagnostik: Neurologisch keine Ausfälle;
MRT LWS: Bandscheibenprotrusionen L4/L5, aber ohne Kompression der Spinalnerven;
Labor: ohne Entzündungszeichen;
Borrelien AK (IgG) > 124 ↑↑ (normal ­< 16,0); AK (IgM): 41,8 ↑ (normal < 16);
Dringender Verdacht auf Neuroborreliose!
Therapie: Analgesie und Prednisolon 50 bei Bedarf, Doxycyclin 100 mg 1-1-0-1;
Seitdem Besserung der Schmerzen und des Schlafes
Sollte eine Lumbalpunktion mit Liquoruntersuchung stattfinden? Evtl. Antibiose (Tetrazykline) parenteral? Falls Antibiose, zwei oder drei Wochen? Weitere Therapieempfehlungen?

Antwort: Die häufigste klinische Manifestation einer akuten Neuroborreliose ist eine Polyneuroradikulitis (Bannwarth-Syndrom). Die klinische Symptomatik ist geprägt von ischialgiformen Schmerzen, die oft mehrere Dermatome betreffen und häufig auch den Rumpf mit einbeziehen. Viele Patient:innen berichten auch eine deutlich andere Schmerzqualität, als von Wurzelkompressionssyndromen bekannt ist: dumpf, brennend oder bohrend und nachts stärker als am Tage sowie weniger bewegungsabhängig.

Die Schmerzen des berichteten Falls würden dazu passen, auch dass das MRT keine Wurzelkompression zeigt. Ungewöhnlich erscheint, dass keine neurologischen Ausfälle gefunden werden, da sich diese bei einer Neuroborreliose in der Regel finden und nur in der Initialphase fehlen können.

Ein positiver Serologiebefund reicht nicht aus, um den Verdacht einer Neuroborreliose zu bestätigen oder sie auszuschließen. Ca. 25 % der Bevölkerung haben IgG-Antikörper gegen Borrelien im Serum nachweisbar. Bei der Borreliose muss zudem damit gerechnet werden, dass auch IgM-Antikörper nach einer zurückliegenden, auch subklinischen Infektion monatelang bis jahrelang persistieren können. Daher beweisen IgM-Antikörper im Serum nicht zwingend eine akute Infektion.

Wenn klinisch eine Neuroborreliose vermutet wird, kann dieser Verdacht nur durch eine Liquoruntersuchung bestätigt werden. Bei einer akuten Neuroborreliose sind eine deutliche Pleozytose mit einem vorwiegend lympho-monozytären Zellbild und eine Störung der Blut-Liquorschranke zu erwarten. Bei längerem Verlauf kann eine Produktion borrelienspezifischer Antikörper im Liquor nachgewiesen werden, wodurch eine floride oder abgelaufene Neuroborreliose bewiesen wird.

Therapeutisch ist Doxycyclin oral Mittel der Wahl. Es hat sich bisher in Studien kein anderes Antibiotikum überlegen gezeigt. Die Dosis ist 200 mg pro Tag, für eine Neuroborreliose wird eine Behandlungsdauer von 14 bis 21 Tagen empfohlen. Wenn eine klinische Besserung ausbleibt, sollte eine erneute Liquoruntersuchung erfolgen.

Bei anhaltend entzündlich verändertem Liquor ist eine diagnostische Reevaluation sinnvoll. Wirkliche Therapieversager sind bei der Neuroborreliose sehr selten, wenn eine antibiotische Therapie wie angegeben durchgeführt wurde. Mehrmonatige Antibiotikatherapien, wie manchmal empfohlen, sind nicht erforderlich. Man sollte aber der Patient:in erklären, dass die Rückbildung einmal vorhandener motorischer oder sensibler Ausfälle nach einer Neuroborreliose Monate in Anspruch nehmen kann und auch unvollständig bleiben kann, ohne dass dies auf eine unzureichende Therapiedauer hinweist!



Autor

Dr. Carsten Isenberg

Klinik für Neurologie
Klinikum St. Elisabeth
94315 Straubing



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 54-55