Die Tollwut ist die Infektionskrankheit mit der höchsten bekannten Letalität weltweit. Auch in Deutschland besteht weiterhin Ansteckungsgefahr - vor allem durch Fledermäuse und illegal importierte Haustiere. Wer sollte eine Schutzimpfung erhalten und was ist zu tun, wenn ein Patient von einem verdächtigen Tier beleckt, gekratzt oder gebissen wurde?

Erreger der Tollwut ist ein neurotropes RNA-Virus aus der Familie der Rhabdoviridae, Genus Lyssaviridae (Rabiesvirus, RABV). Daneben können auch zehn verwandte Spezies das klinische Erkrankungsbild verursachen (z. B. die unter Fledermäusen verbreiteten European Bat Lyssaviren 1 und 2, EBLV-1 und -2). Die Viren werden hauptsächlich durch Kontakt mit infektiösem Speichel direkt übertragen. Sie dringen durch verletzte Haut, z. B. Bisswunden, in Muskel- und Nervenzellen ein und bis ins ZNS vor. Infektionen über Schleimhäute sind unwahrscheinlicher. Übertragungen von Erkrankten auf medizinisches Personal oder andere Kontaktpersonen sind nicht beschrieben, betonen Dr. med. Tim Kümmerle und Kollegen von der Universitätsklinik Köln [1].

Infauste Prognose nach Ausbruch

Im Schnitt bricht die Erkrankung nach ein bis drei Monaten aus, beschrieben sind jedoch auch deutlich schnellere bzw. jahrelange Verläufe. Erst mit Auftreten einer Enzephalitis entwickelt der Patient in der Regel Symptome wie Fieber, Bewusstseinsstörungen, schmerzhafte Krämpfe der Schlund- oder Atemmuskulatur, Konvulsionen, Hypersalivation und andere Zeichen einer zentralen autonomen Dysregulation, berichten Kümmerle und Kollegen. Bei einem von fünf Erkrankten stehen schlaffe Lähmungen im Vordergrund (paralytischer Verlauf). Mit Einsetzen der Symptome sind prophylaktische Maßnahmen nicht mehr wirksam, warnen die Autoren. Vielmehr sterben die meisten Patienten binnen einer Woche. Das Virus breitet sich in dieser Zeit peripher im Organismus aus, die Folge ist eine Infektiosität nahezu aller Körperflüssigkeiten. Ansteckungsgefahr durch Erkrankte (Mensch wie Tier) besteht durchschnittlich 10 - 15 Tage, bevor der Tod eintritt, so das Autorenteam.

Die Diagnose Tollwut wird typischerweise durch die Zusammenschau von klinischen Symptomen und Laborbefunden gestellt. Zur Sicherung ist meist eine Kombination aus Analysen von Serum, Speichel, Liquor und einer Hautbiopsie erforderlich sowie Tests wie PCR, Serologie und Antigennachweis, so Kümmerle und Kollegen. Eine Serokonversion mit Nachweis von Antikörpern findet sich häufig erst spät im Krankheitsverlauf.

Größte Gefahr durch Fledermäuse

Unterschieden wird zwischen Fledermaus- und terrestrischer Tollwut, letztere wird in urbane und silvatische Tollwut differenziert. Hunde gelten als Hauptvektor der urbanen Tollwut, die silvatische Form wird in Europa vor allem durch Füchse übertragen. Als Reservoir kommen auch Marder, Marderhunde, Waschbären, Dachse und Rehe infrage. Durch Lebendimpfung von Wildtieren mit Impfködern und durch die Vakzinierung von Haustieren gilt Deutschland seit September 2008 als frei von terrestrischer Tollwut. Fälle sind in den letzten Jahren im östlichen Teil Polens, in Norditalien, der Ukraine, Weißrussland, Bulgarien, Rumänien, im Baltikum sowie im ehemaligen Jugoslawien aufgetreten. Angesichts der typischen Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Tollwutepidemie von 40 - 60 km/Jahr sind diese Gebiete jedoch zu weit entfernt, als dass dadurch derzeit mit einem erneuten Ausbruch der Wildtiertollwut in Deutschland zu rechnen wäre, beruhigen Kümmerle et al. Fledermaustollwut dagegen ist in ganz Europa endemisch. Hierzulande traten Fälle zuletzt hauptsächlich in Norddeutschland auf.

Aktuelle STIKO-Empfehlung

Aufgrund der Epidemiologie hat die STIKO im Juli 2010 ihre Impfempfehlung geändert: Eine großzügige Indikation gilt bei Personen, die regelmäßig Kontakt mit Fledermäusen haben, ebenso für Laborpersonal mit Kontakt zu Tollwutviren. Außerdem wird die Impfung für Reisende in Gegenden mit hohem Tollwutaufkommen (z.B. Indien, Südostasien, Afrika, Südamerika) empfohlen. Dies gilt insbesondere bei einfachen Reisebedingungen, langen Aufenthalten, unzureichender ärztlicher Versorgung sowie zu erwartendem Umgang mit Tieren, fassen Kümmerle et al. zusammen. Personen mit potenzieller beruflicher Exposition wie Tierärzte, Jäger oder Forstpersonal sollten sich dagegen erst impfen lassen, falls die Wildtiertollwut erneut ausbricht. Bewohner von Häusern, in denen Fledermäuse Unterschlupf finden, müssen wegen des geringen Risikos nicht präexpositionell geimpft werden.

Empfohlen wird die Applikation eines inaktivierten Impfstoffs an den Tagen 0, 7, 21 oder 28 in den M. deltoideus. Die Vakzine (Rabi­pur® oder Tollwut-Impfstoff (HDC)®) schützt gegen RABV und EBLV. Ernstzunehmende Nebenwirkungen sind nicht zu erwarten. Eine Auffrischung sollte bei persistierendem Risiko alle fünf Jahre bzw. gemäß Antikörpertiter erfolgen. Der Zielbereich an neutralisierenden Antikörpern liegt bei > 0,5 lU/ml.

Bei Tierkontakt zuerst eventuelle Wunden gründlich versorgen

Wurden potenziell infizierte Tiere berührt oder gefüttert und dabei nur intakte Haut beleckt, ist lediglich eine gründliche Reinigung der Stelle, jedoch keine weitere Immunprophylaxe erforderlich. Kam es dagegen zu Verletzungen, ist zunächst eine sorgfältige Wundversorgung obligatorisch:

  • Bissstelle oder verletzte Haut für mehrere Minuten mit Wasser und Seifenlösung auswaschen.
  • Antiseptische Waschlösungen (alkohol- oder jodhaltig) verwenden.
  • Möglichst chirurgische Exzision der Wundränder.
  • Nähen der Wunde ist kontraindiziert.
  • Tetanusschutz überprüfen.

Wann eine Immunprophylaxe beginnen?

Eine weitergehende Immunprophylaxe ist bei Kontakten mit Wildtieren in Deutschland aktuell nicht erforderlich. Das gilt für vorab geimpfte wie nicht geimpfte Personen gleichermaßen. Bei Wildtierkontakten in Endemiegebieten sollte die Postexpositionsprophylaxe (PEP) dagegen unverzüglich eingeleitet werden - auch bei Personen, die eine Schutzimpfung erhalten haben.

Hierzulande ist ein solches Vorgehen indiziert, wenn

  • eine Fledermaus die Verletzung verursacht hat,
  • es sich um einen Hund, eine Katze etc. handelt mit Zeichen einer möglichen Tollwutinfektion (z. B. starke Aggressivität, abgemagertes und krankes Aussehen, Speichelfluss),
  • sich kein Halter ermitteln lässt oder das Tier flüchtig ist.

Schließlich bestehe in letzterem Fall die Möglichkeit, dass das Tier aus einem Endemiegebiet illegal importiert wurde, geben die Autoren zu bedenken. Kann es eingefangen werden und treten während zehntägiger Beobachtung keine Tollwutsymptome auf, bestand keine Ansteckungsgefahr. Die PEP kann dann wieder abgebrochen werden. In unklaren Fällen raten Kümmerle et al., Unterstützung durch Veterinärbehörden und das Gesundheitsamt einzuholen. Diese ordnen auch die amtliche Tierbeobachtung an.

Vorgehen bei der Immunprophylaxe

Wegen der hohen Schutzwirkung von nahezu 100 % gibt es in den genannten Fällen keine Kontraindikation für die PEP. Auch Kinder und Schwangere können nach folgendem Schema geimpft werden:

1. Aktive Immunisierung

Bei nicht blutenden oberflächlichen Kratzern oder Schürfwunden, Lecken oder Knabbern an nicht intakter Haut wird die Gabe eines aktiven Impfstoffs an den Tagen 0, 3, 7, 14, 28 empfohlen. Personen, die eine ärztlich dokumentierte vollständige Grundimmunisierung mit in der EU zugelassenen Impfstoffen und sämtliche Auffrischimpfungen erhalten haben, sollen nur an den Tagen 0 und 3 geimpft werden; auf die anschließende Gabe eines Immunglobulins kann bei ihnen verzichtet werden.

2. Gabe eines Immunglobulins

Für präexpositionell nicht oder unvollständig geimpfte Personen bzw. bei einem Antikörpertiter < 0,5 lU/ml ist bei Bissverletzungen, Kratzwunden und bei Kontakt von Schleimhäuten oder Wunden mit Speichel zusätzlich die passive Impfung mit Tollwut-Hyperimmunglobulin indiziert (Tollwutglobulin Mérieux® P, Berirab®). Gleiches gilt bei allen Kratz- oder Bissverletzungen durch Fledermäuse. Cave: Da deren Zähne ausgesprochen scharf und fein sind, sind Verletzungen unter Umständen nicht deutlich sichtbar. Eine PEP ist daher auch erforderlich, falls etwa ein Kind oder eine schlafende Person Kontakt mit einer Fledermaus hatte, geben die Autoren zu bedenken.

Empfohlen ist die Einmalgabe von 20 IE des Immunglobulins pro kg Körpergewicht. Rasch nach Exposition sollte eine möglichst große Menge in den Bereich der Bisswunde injiziert werden, der Rest wird i.m. verabreicht. An Nebenwirkungen sind oft lokale Reaktionen an der Injektionsstelle sowie Kopfschmerzen, Fieber, Hautausschläge, angioneurotisches Ödem und Anaphylaxie beschrieben. Wegen möglicher Interferenz muss die Behandlung sieben Tage nach der ersten aktiven Impfung abgeschlossen sein, warnen Kümmerle et al.

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) Kümmerle T, Fätkenheuer G, Hallek M Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 789 - 792

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (17) Seite 38-40