Frage: Ich bin Hausarzt und Mitinhaber einer Gemeinschaftspraxis. Das Ehepaar F., beide in den 50ern, kommt seit langen Jahren in meine Praxis. Als Frau F. neulich zum Check-up bei mir war, erzählte sie mir nebenbei, dass ihr Mann seit zwei Jahren Alkoholprobleme und Suizidgedanken habe, aber ich dürfe ihn auf gar keinen Fall darauf ansprechen. Ich mache mir Sorgen und würde gerne auf die genannten Probleme eingehen, bevor er sich ernsthaft in Gefahr begibt. Wie verhalte ich mich richtig, ohne gegen die Schweigepflicht zu verstoßen?

Antwort von Rechtsanwalt Stäwen

Die konsequente Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht ist unabdingbare Voraussetzung für das Arzt-Patient-Vertrauensverhältnis. Dieses Grundverständnis wurde bereits in einem Teil des hippokratischen Eides verankert: "Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf."
Heute bestimmen § 9 Abs. 1 MBO-Ä und entsprechend die rechtsverbindlichen ärztlichen Berufsordnungen der Landesärztekammern eine rechtlich sanktionsbewehrte Schweigepflicht: "Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist (...) zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der Patientin oder des Patienten, Aufzeichnungen über Patientinnen und Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde." Werden diese Pflichten verletzt, drohen straf- und zivilrechtliche Folgen sowie berufs- und standesrechtliche Konsequenzen.

Diese Schweigepflicht gilt auch gegenüber Ehepartnern von Patient:innen. Ausnahmen sind von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in engen Grenzen anerkannt. Die wichtigste Ausnahme besteht darin, dass die betroffene Person die Ärzt:in selbst davon entbinden kann. Zudem ergibt sich eine Offenbarungsbefugnis aus dem sogenannten Güterabwägungsprinzip gem. § 34 StGB. Demnach darf die Mediziner:in dann ein Patientengeheimnis offenbaren, wenn das Interesse, das der ärztlichen Schweigepflicht zugrunde liegt, nämlich das Vertrauen der Betroffenen in die Verschwiegenheit ihrer medizinischen Vertrauensperson gegenüber einem anderen Rechtsinteresse, geringwertiger ist. Dies kann u.a. dann der Fall sein, wenn die Einhaltung der Schweigepflicht zu einer schwerwiegenden Verletzung oder gar dem Tod einer Person führen kann.

Die Offenbarung eines Patientengeheimnisses ist im Rahmen eines Interessenkonflikts jedoch nur "Ultima Ratio". Dem sollte stets eine nachdrückliche Kommunikation und problemorientierte Behandlung zwischen Ärzt:in und Betroffenem vorausgehen. Im Praxisalltag lassen sich gerade bei Suchterkrankungen und psychischen Problemen in Laborwerten, optischem Erscheinungsbild, gefühlsmäßigen Reaktionen etc. regelmäßig genügend Anknüpfungspunkte für eine sensible Problemansprache finden, ohne dass die ärztliche Schweigepflicht überhaupt berührt werden müsste.

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Autor

© Björn Stäwen
Björn Stäwen, LL. M.

Fachanwalt für Medizinrecht, kwm rechtsanwälte – Kanzlei für Wirtschaft und Medizin PartG mbB
Lehrbeauftragter der Universität Münster im Masterstudiengang Medizinrecht für den Bereich Vertragsarztrecht

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 73