Um Infektionen mit SARS-CoV-2 zu vermeiden, ist es derzeit von Bedeutung, Abstand zu unseren Mitmenschen zu halten. Doch wie verhält man sich, wenn in einem Notfall Erste-Hilfe-Maßnahmen geleistet werden müssen? Handelt es sich um unterlassene Hilfeleistung, wenn man aus Schutz vor einer potentiellen Infektion Reanimationsmaßnahmen unterlässt?

Während der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Praxisumfeld stellt sich selbstverständlich nicht die Frage, ob eine Notfallbehandlung durchgeführt wird oder nicht, zumal hier (i. d. R) auf Schutzausrüstung zurückgegriffen werden kann und entsprechende medizinische Ausstattung zur Versorgung vorhanden ist. Doch wie verhält man sich, wenn man in der Freizeit zum Ersthelfer an einer Unfallstelle oder bei Herz-Kreislauf-Versagen wird? Hier gerät der Helfer – egal ob medizinisches Fachpersonal oder Laienhelfer – in den Zwiespalt, dass je nach Ereignis schnell und unverzüglich eine lebenserhaltende Therapiemaßnahme eingeleitet werden muss bei gleichzeitig größtmöglichem Schutz der hilfeleistenden Person. Die aktuelle Sorge mancher Gesellschaften ist daher nicht unberechtigt, dass aus Angst vor einer Infektion zurzeit eine Erstversorgung unterbleiben könnte. "Wir sehen das Risiko, dass in Zukunft aus Angst vor einer Coronavirus-Infektion Zeugen eines Herzstillstands wieder häufiger die lebensrettende Herzdruckmassage unterlassen und stattdessen nur noch den Notruf 112 absetzen. Das bedeutet dann für viele Patienten den sicheren Tod oder schwerste bleibende Hirnschädigungen", warnt Prof. Dr. med. Dietrich Andresen, Notfallmediziner und Klinikdirektor für Kardiologie am Ev. Hubertus-Krankenhaus und Martin-Luther-Krankenhaus, Berlin, in einer Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung.

Unterlassene Hilfeleistung

Fest steht, dass derwährend der COVID-19-Pandemie empfohlene Mindestabstand von 1,5m bei den klassischen Erste-Hilfe-Maßnahmen nicht eingehalten werden kann. Davon unabhängig ist die Aussage der Rechtsexperten deutlich: Unterlassene Hilfeleistung ist auch in Anbetracht der Infektionsgefahr mit SARS-CoV-2 strafbar, hieran ändert sich zunächst einmal nichts. Kommt man der Pflicht, bei einem Unfall mit Personenschaden Erste Hilfe zu leisten, nicht nach, drohen u.U. eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323 c StGB. Allerdings gilt es während der COVID-19-Pandemie je nach Einzelfall abzuwägen, was zumutbar ist. Unbestritten – da von jeglicher Infektion unbeeinflusst – ist, dass grundsätzlich jeder Teilnehmer am Straßenverkehr verpflichtet ist, bei einem Unfall mit Personenschaden Sorge zu tragen, dass die Unfallstelle abgesichert ist und ein Rettungswagen sowie die Polizei verständigt wird. Ein Unterlassen dieser Maßnahme ist strafbar, da sie für jeden zumutbar ist.

Prüfen, Rufen, Drücken, Schocken
Wird man ohne medizinische Ausrüstung zum Ersthelfer bei einem Notfall, gelten nach wie vor die vier Schritte einer Wiederbelebung, die auch durch Laien umgesetzt werden können: Prüfen, Rufen, Drücken, Schocken. Die Deutsche Herzstiftung e.V. hat ihre Empfehlungen allerdings an die momentane Pandemie-Lage angepasst [1]:
  1. Prüfen: Um zu prüfen, ob es sich um einen Herz-Kreislauf-Stillstand handelt, wird die Person durch lautes Rufen angesprochen (das übliche Bewegen der Person an den Schultern kann entfallen). Ob ein Atemstillstand vorliegt, wird nicht mehr durch Halten eines Ohres unmittelbar vor Mund und Nase des Patienten geprüft. Stattdessen beobachtet man im Stehen, ob sich der Brustkorb des Patienten atemsynchron bewegt.
  2. Rufen: Reagiert die Person nicht und sind keine Atembewegungen zu erkennen, wird sofort der Notruf 112 abgesetzt.
  3. Drücken: Bei der Reanimation wird auf die Mund-zu-Mund-Beatmung verzichtet. (Für den Verzicht auf Atemspende hat sich die Deutsche Herzstiftung im Übrigen schon lange Jahre aus Gründen einer höheren Effektivität ausgesprochen.) Um sich zusätzlich zu schützen, kann es sinnvoll sein, wenn der Helfer eine Gesichtsmaske trägt und dem Bewusstlosen ein leichtes Tuch über Mund und Nase gelegt wird. Die Herzdruckmassage kann nun in gewohnter Weise mit einer Frequenz von 100- bis 120-mal pro Minute durchgeführt werden, bis das Rettungsteam eintrifft.
  4. Schocken: Sind zwei Helfer vor Ort und ist bekannt, dass in der Nähe ein AED (Automatisierter Externer Defibrillator) vorhanden ist, kann die zweite Person diesen holen, während die Herzdruckmassage ohne Unterbrechung weiter ausgeführt wird. Der AED kann sodann nach Anleitung durchgeführt werden.


Doch auch darüber hinaus kann man als Ersthelfer viel tun, ohne sich einem größeren Infektionsrisiko auszusetzen (s. Kasten). Hier stimmen auch die aktualisierten offiziellen Empfehlungen überein: Sowohl die Deutsche Herzstiftung e.V. [1], die Johanniter [2] als auch der Deutsche Rat für Wiederbelebung – dessen Stellungnahme [3] auch auf den offiziellen Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) empfohlen wird – geben konkrete Handlungsempfehlungen für Ersthelfer, in denen die potentielle Ansteckungsgefahr mit COVID-19 berücksichtigt wird.

Risikoabwägung bei Erster Hilfe

Laut Empfehlungen gilt es, in der jeweiligen Notfallsituation abzuwägen, wie groß das Risiko einer Infektion der Beteiligten ist. Bei der Abwägung spielen in erster Linie die Aerosole eine Rolle, die bei der Durchführung einer kardiopulmonalen Reanimation über die Atemwege freigesetzt werden können und über die am wahrscheinlichsten eine Infektion erfolgen kann. Und auch bei der normalerweise üblichen Atemkontrolle, bei der man sich dem Mund des Patienten nähert, um den Atem zu hören und zu spüren, besteht ein Infektionsrisiko. Aus diesem Grund sollte die Atemkontrolle derzeit beschränkt werden auf ein Überstrecken des Nackens mit Anheben des Kinns und einer Beobachtung, ob Atembewegungen des Brustkorbes festzustellen sind. Eine ggf. notwendige Herzdruckmassage kann (auch ohne Atemspende) wie üblich durchgeführt werden, bis ein Notarzt eingetroffen ist oder ein öffentlich zugänglicher Defibrillator beschafft wurde. Für einen zusätzlichen Schutzkann der Helfer eine Gesichtsmaske tragen und dem Patienten ein luftdurchlässiges Tuch oder ein Schal über Mund und Nase gelegt werden. Bei einem Autounfall können Handschuhe aus dem Verbandskasten verwendet werden.

Handelt es sich bei Opfer und Helfer um (vermutlich) gesunde junge Erwachsene, kann auch eine Mund-zu-Mund-Beatmung in Erwägung gezogen werden. Gehört der Ersthelfer der Risikogruppe an, ist er z.B. älter als 70 Jahre und hat bereits Vorerkrankungen, kann es vertretbar sein, einen nahen Kontakt zu dem Verletzten zu unterlassen. In diesem Fall kann die Person zumindest Menschen, die sich im Umfeld befinden, herbeirufen und animieren, aktive Hilfeleistung zu übernehmen.

Auch Ärzte haben ggf. eine Alternative

Der Deutsche Rat für Wiederbelebung weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass auch medizinisches Fachpersonal im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwägung die Durchführung von Defibrillationen erwägen soll, bevor ggf. Aerosol-generierende Tätigkeiten durchgeführt werden, die durch das Anlegen einer geeigneten Schutzausrüstung möglicherweise verzögert werden könnten. Dies gilt nur dann, wenn ein Defibrillator ohne jede Zeitverzögerung sofort verfügbar ist. Keinesfalls darf der Beginn der Reanimation verzögert werden, um einen Defibrillator zu holen [3].


Literatur
1. Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung e.V. vom 5. Mai 2020: "Wiederbelebung in Corona-Zeiten: Keine Scheu vor lebensrettender Herzdruckmassage!"
2. Die Johanniter: Ach in Corona-Zeiten: Erste Hilfe rettet Leben; https://www.johanniter.de/die-johanniter/johanniter-unfall-hilfe/juh-vor-ort/landesverband-niedersachsenbremen/aktuelles/nachrichten/archiv-2020/auch-in-corona-zeiten-erste-hilfe-rettet-leben/
3. Deutscher Rat für Wiederbelebung e.V.: Aktualisierte Stellungnahme des GRC zur Durchführung von Wiederbelebungsmaßnahmen im Umfeld der COVID-19-Pandemie, Stand: 4. Mai 2020; https://www.grc-org.de/ueber-uns/aktuelles/131-Aktualisierte-Stellungnahme-des-GRC-zur-Durchfuhrung-von-Wiederbelebungsmassnahmen-im-Umfeld-der-COVID-19-Pandemie
4. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Empfehlungen zur Durchführung von Wiederbelebungsmaßnahmen im Umfeld der COVID-19-Pandemie; Stand: 17. April 2020; https://www.wiederbelebung.de/aktuelles/



Autorin:
Yvonne Emard



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (10) Seite 56-59