Ende September hatte der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) in Berlin getagt und dabei die Gelegenheit genutzt, einer neuen Bundesregierung gleich einige Forderungen ins Hausaufgabenheft für die zukünftige Gesundheitspolitik zu schreiben. An erster Stelle steht hier, die Rahmenbedingungen für die ambulante hausärztliche Versorgung nachhaltig zu stärken und zukunftsfähig auszubauen. Aber das ist längst nicht alles.

Nicht verwunderlich ist, dass die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) bei den Forderungen der DHÄV-Delegierten eine vorrangige Rolle spielt. Schließlich hatte man darum viele Jahre und gegen enorme Widerstände gerungen und möchte nun verhindern, dass das Rad hier wieder zurückgedreht werden könnte.

Hausärzt:innen als erste Ansprechpartner:innen

Der DHÄV stellt daher fest, dass die Hausarztpraxis der Grundpfeiler der medizinischen Versorgung ist und erste Anlaufstelle für Patient:innen bleiben muss. Insgesamt wünschen sich die Delegierten, dass die politisch Verantwortlichen Hausärzt:innen und ihre Teams mehr wertschätzen. Dabei habe die HzV ihre Vorteile gegenüber der Regelversorgung bewiesen und sei als quasi freiwilliges Primärarztsystem für eine effektive Steuerung des derzeit unkoordinierten Zugangs zur medizinischen Versorgung unerlässlich. Die HzV sollte daher nicht nur erhalten, sondern sogar weiter ausgebaut und für Patient:innen durch Anreize noch attraktiver werden.

MFA weiterqualifizieren

Die moderne Hausarztpraxis sei eine Teampraxis, stellten die Delegierten klar. Bei zunehmender Arbeitsbelastung und abnehmender Arztzeit müssten Ärzt:innen durch praktikable Delegationskonzepte unterstützt werden. Eine Idee dazu ist, den Medizinischen Fachangestellten (MFA) die Möglichkeit zu eröffnen, sich akademisch weiterzubilden und so neue Karrieremöglichkeiten zu eröffnen. Gespräche mit einigen Universitäten würden dazu schon laufen, berichtete der DHÄV-Vorstand, der aber auch gleich deutlich machte, dass man eine Substitution ärztlicher Leistungen weiterhin ablehnt. Explizit forderten die Delegierten des DHÄV die zukünftige Bundesregierung auf, jede gesetzliche Initiative zur Substitution hausärztlicher Versorgung zu unterlassen.

Mehr Mitsprache bei Digitalisierung

Bei der Digitalisierung möchte der DHÄV mehr Mitspracherecht, damit sich diese mehr an den realen Versorgungsprozessen orientiert und auch zu einem echten Nutzen für Praxen und Patient:innen führt. Es brauche zeitnahe, sinnvolle und vor allem funktionierende digitale Lösungen, so die Forderung. Insgesamt nahm das Thema Digitalisierung einen breiten Raum ein. Man spürte, dass hier bei vielen der Delegierten aufgrund der bisherigen Erfahrungen die Nerven schon recht blank lagen. Und so gab es auch gleich mehrere Beschlüsse dazu. So wurden der Gesetzgeber und die Gesellschafter der gematik aufgefordert, die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung der hausärztlichen Versorgung unter folgenden Prämissen weiterzuentwickeln:

  • Die Digitalisierung der hausärztlichen Versorgung ist so zu gestalten, dass sie für die Hausärzt:innen nützlich ist. Das heißt, sie soll insbesondere IT-Prozesse und Arbeitsabläufe in den hausärztlichen Praxen vereinfachen, Bürokratie abbauen, die Patientenversorgung verbessern und erleichtern sowie ausfall- und datensicher aufgebaut sein.
  • Die digitalen Identitäten sowie die Einführung von softwarebasierten technischen Anbindungen (statt per Hardware z. B. über Konnektoren) sind möglichst zeitnah einzuführen, weil sie das Handling der Telematik-Infrastruktur (TI) in den Praxen deutlich vereinfachen. Gleichzeitig kann durch eine schnellere Einführung eine Investition in die Aktualisierung der veralteten Hardware-Konnektoren vermieden werden.
  • Die Anbindung weiterer Gesundheitsfachberufe an die TI ist zu beschleunigen, damit hausärztliche Praxen umfassend digital über Sektorengrenzen hinweg kommunizieren können.
  • Eine Überforderung der hausärztlichen Praxen durch ständige technische Neuerungen und Änderungen der IT-Prozesse ist dabei dringend zu vermeiden. Stattdessen sind angemessene Übergangsregelungen erforderlich, die eine schrittweise Skalierung digitaler Prozesse vorsehen.

Keine Strafzahlungen – Forderungen des DHÄV
  1. Schnellstmöglich die Übergangsregelung für die eAU zu verlängern bzw. für das eRezept einzuführen. In dieser Zeit können die hausärztlichen Praxen die digitalen Übertragungsmöglichkeiten nutzen, müssen dies allerdings nicht tun.
  2. Diese Übergangszeit zu nutzen, um die Prozesse zum eRezept und zur eAU vollständig digital und bürokratiearm zu gestalten. Parallel dazu müssen die Prozesse so weiterentwickelt und ergänzt werden, dass sie einen echten Mehrwert für die hausärztliche Versorgung generieren (z. B. im Bereich Medikationsmanagement).
  3. Die Übergangszeit für umfangreiche Tests und ein gestuftes Hochskalieren der digitalen Prozesse zu nutzen. Im Live-Betrieb müsse der digitale Prozess ohne technische Ausfälle o. Ä. jederzeit funktionieren und einfach handhabbar sein.
  4. Die Patient:innen umfangreich und leicht verständlich auf allen verfügbaren Medienkanälen über die geplanten Änderungen zu informieren. Die hausärztlichen Praxen seien für die Patient:innen bei der Digitalisierung von Prozessen im Gesundheitswesen nicht der "Kundenservice".
  5. Jegliche Strafzahlungen für Hausärzt:innen im Zuge der Einführung der eAU, des eRezepts und weiterer digitaler Anwendungen sind auszuschließen, ferner müssen bereits existierende Strafzahlungen abgeschafft werden. Hausärztliche Praxen können nicht für fehlerhafte IT-Komponenten der Industrie oder der gematik verantwortlich gemacht werden. Solange die erforderliche technische Ausstattung in den hausärztlichen Praxen nicht flächendeckend verfügbar ist (bzw. sein kann) und solange auf der Empfängerseite ebenfalls keine 100 %ige Umsetzung erfolgt ist, soll keine verpflichtende Übermittlung der eAU und des eRezepts aus den Hausarztpraxen erfolgen.


Bisher nur Ärger und Probleme

Grundsätzlich seien Hausärzt:innen keine Digitalisierungsgegner, das hatte der DHÄV-Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt schon in seiner Grundsatzrede betont. Insofern begrüßten die Delegierten prinzipiell die Einführung eines elektronischen Rezepts ebenso wie die Einführung einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Durch die Digitalisierung könnten administrative Prozesse in den hausärztlichen Praxen vereinfacht und beschleunigt sowie weitere Möglichkeiten der Versorgungssteuerung zum Wohle der Patient:innen geschaffen werden. Gleichzeitig wurde aber auch Kritik laut: In derzeitiger Form bringe die geplante verpflichtende Einführung des eRezepts und der eAU vor allem Ärger und Probleme in die Hausarztpraxen:

  • So sei in vielen Fällen die notwendige Infrastruktur, trotz Bemühungen vieler Hausärzt:innen, noch nicht vorhanden (z. B. KIM, eHBA, Konnektor-Update).
  • Patient:innen erhielten bislang keine Informationen, dass eine grundlegende Veränderung der entsprechenden Prozesse in den Arztpraxen, Apotheken bzw. mit den Krankenkassen und Arbeitgebern geplant ist. Die Praxisteams könnten diesen Informations- und Erklärungsaufwand zeitlich einfach nicht leisten.
  • Vor allem aber böten die eAU und das eRezept in ihrer jetzigen Form keinerlei Vorteile für die hausärztlichen Praxen. Stattdessen würden papiergebundene nur um digitale Prozesse ergänzt, sodass kein Mehrwert, sondern ein Mehraufwand für die hausärztlichen Praxen und auch keine greifbaren Vorteile für die Patientenversorgung entstünden.
  • Das Fehlen jeglicher belastbarer Testläufe berge zudem das Risiko massiver Fehler und Anfälligkeiten bereits in den ersten Tagen des Live-Betriebs. Die Digitalisierung bleibt also eine große Baustelle und man darf gespannt sein, ob die Forderungen des DHÄV (und auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung) bei einer neuen Bundesregierung Gehör finden werden.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (11) Seite 32-33