Es sind keine einfache Zeiten. Für Ärzt:innen schon gleich gar nicht. Selten zuvor war ein ganzer Berufsstand derart gefordert. Es herrscht Dauerkrisenmodus. Dieser ist zum einen strukturell bedingt. So gibt es viel zu wenige Ärzt:innen oder auch medizinische Assistenzkräfte. Zum anderen müssen sich Ärzt:innen heute aber auch immer häufiger akuten gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Seit gut zwei Jahren zählen dazu zum Beispiel die Folgen der Corona-Pandemie. Schon etwas länger laufen in den Praxen und Kliniken die immer deutlich sichtbareren Folgen der Klimakrise auf. Und jetzt der Krieg in der Ukraine, mit dem auch die Ärzt:innen hierzulande noch lange konfrontiert sein werden.

Politik ist Medizin im Großen

Wäre es da nicht an der Zeit, dass sich die Ärzt:innen gerade jetzt auch politisch stärker engagieren? Der alte Virchow sah schon im 19. Jahrhundert in der Politik "weiter nichts als Medizin im Großen". Daran knüpfte nun der frühere Kanzleramtsminister und Arzt Professor Helge Braun an, als er jüngst eine These in die Welt setzte, die aufhorchen ließ. Der Glaube, dass Ärzt:innen bei der Politik kein Gehör finden, sei falsch: "Ich glaube, dass die Ärzteschaft einen enorm hohen Einfluss auf die Politik hat." Die Bewegung "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) ist hierfür ein Paradebeispiel. Für ihr Engagement zur Ächtung sämtlicher Atomwaffen und der Atomenergie wurde die Ärztevereinigung im Jahr 1985 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Das Besondere dabei: Gemeinsame Drahtzieher hierfür waren die zwei im vergangenen Jahr verstorbenen Ärzte und Wissenschaftler Bernard Lown auf US-Seite sowie Evgenij Chazov auf russischer Seite. Mit im Boot als Repräsentant auf deutscher Seite war auch stets der Frankfurter Internist Prof. Ulrich Gottstein. Bezogen auf den Ukrainekrieg warnt nun der heute 95-Jährige erneut vor dem Einsatz taktischer Atomwaffen und den Folgen einer weiteren kriegsbedingten Nuklearkatastrophe in der Ukraine.

Ärzt:innen können etwas bewegen

Die Verantwortung der Ärzt:innen sieht er nicht nur im humanitären Bereich, sondern auch als aktive Friedensstifter. So lehnen sich auch jetzt russische und US-Ärzt:innen der IPPNW wieder gemeinsam gegen den Krieg in der Ukraine auf. Nach Ansicht Gottsteins und Brauns sollten aber noch weit mehr Ärzt:innen als bislang politisch Flagge zeigen. Beim Thema Krieg und Frieden ist das vielleicht für manchen Mediziner zu ambitioniert, weil Erfolge hier niemals genau gemessen werden können. Beim Thema Klima ist das schon anders. Hier kann jede einzelne (Haus-)Ärzt:in politisch durchaus etwas bewegen. Bereits in der eigenen Praxis. Doch auch hier werden viele Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft. Welche Potenziale das genau sind und was Hausärzt:innen konkret tun können, um sich politisch und praktisch hör- und sichtbar einbringen zu können, darüber soll die neue Serie "Brennpunkt Klima" in dieser Zeitschrift konkrete Anstöße geben. Den ersten Teil können Sie in dieser Ausgabe ab Seite 30 lesen,


... Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (4) Seite 27