Darüber sind sich fast alle einig: So wie derzeit die Übergänge innerhalb des ambulanten Systems gestaltet sind, darf es nicht bleiben. Da hüpfen Patient:innen von einer Fachärzt:in zur anderen, gerade so, wie es ihnen beliebt.

Wenn die Hausärzt:in hier einzulenken versucht, wird sie gleich links liegen gelassen. Die Folge: Keiner hat mehr den Überblick, die Kompetenz der Allgemeinärzt:innen wird ad absurdum geführt und die Fachärzt:innen müssen sich mit Krankheitsfällen befassen, für die sie eigentlich keine Zeit haben.

Seit langem fordern daher der Deutsche Hausärzteverband und die DEGAM ein Primärarztmodell, nach dem Patient:innen grundsätzlich erst einmal eine Primärärzt:in aufsuchen sollten. Dazu zählen Allgemeinärzt:innen, hausärztlich tätige Internist:innen, Pädiater:innen sowie nicht spezialisierte Gynäkolog:innen. Dafür spricht eine ganze Menge: ein Ende des Ärztehoppings, niedrigere Ausgaben gerade bei multimorbiden Patient:innen, weniger unnötige Notfall- und Krankenhausbehandlungen und Eindämmung von unnötigen Medikamentenverordnungen. Vor allem aber kann die Primärärzt:in dann ihrer Rolle als echter Gate-
opener – und nicht als Gatekeeper – besser gerecht werden. Und das für die 20 % von Patient:innen in Arztpraxen, die einer weitergehenden speziellen ambulanten oder auch stationären Diagnostik oder Behandlung bedürfen.

Mehr Berufsgruppen einbinden

Dennoch ist auch ein reines Primärarztsystem zu kurz gedacht, weil es den Anforderungen von heute in einer Arztpraxis nicht mehr voll gerecht wird. Bei immer mehr Patient:innen sind die Beratungs- und Behandlungsansätze so komplex oder sozial/gesellschaftlich bedingt, dass die Hausärzt:in immer stärker auf die Unterstützung weiterer nichtärztlicher Berufsgruppen angewiesen ist. Dazu zählen Therapeut:innen aller Richtungen, die Kranken- und Altenpfleger:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und Selbsthilfegruppen. Natürlich kann eine Allgemeinärzt:in bei Bedarf all diese Berufsgruppen hinzuziehen. Besser und einfacher wäre es aber für sie, wenn diese künftig in größeren Teampraxen oder fachübergreifenden Poliklinik-ähnlichen Einrichtungen in einer ambulanten Versorgungsform direkt zur Verfügung stünden. Die Mehrheit gerade der jungen Ärzt:innen würde sich dagegen sicher nicht stemmen. Sie wollen heute zunächst ohnehin lieber im Angestelltenverhältnis arbeiten, was einem Primärversorgungsmodell sehr zugutekommt.

Doch diesem Versorgungsmodell stehen zwei große Hürden entgegen. Zum einen die Finanzierung, weil die Honorierung medizinisch/ärztlicher und nicht primär medizinischer Leistungen neu geregelt werden müsste. Das wäre nur mit einem großen Kraftakt zu bewerkstelligen, aber auch nicht unmöglich, wie die Finanzierungsmodelle aus der Sozialpädiatrie und Sozialpsychiatrie zeigen. Zum Zweiten spielt bisher die Politik nicht mit. Auch die neue Ampelregierung setzt wohl kaum auf ein Primärarzt- oder gar auf ein Primärversorgungsmodell. Umso wichtiger bleibt es daher, dass die allgemeinärztlichen Verbände hier am Ball bleiben. Denn wenn die Kassendefizite weiter rekordverdächtige Höhen erklimmen, könnte dieser Ball auf einmal doch wieder ins Spiel kommen...


...meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (11) Seite 34