Die meisten Rückenschmerzen sind unspezifisch und können vom Hausarzt mit Bewegungsempfehlungen und Schmerzmitteln in der Regel gut behandelt werden. Aber natürlich gilt es auch, die Fälle, die eine weitergehende Diagnostik bzw. eine Überweisung zum Facharzt erfordern, herauszufiltern und nicht zuletzt eine Überversorgung zu verhindern.

Vielen Rückenschmerzpatienten kann der Hausarzt mit einfachen Mitteln helfen. In manchen Fällen erfordert die Differenzialdiagnostik jedoch eine rasche Überweisung zum Spezialisten. Was erwartet den Patienten dort? Ist die zunehmende Häufigkeit invasiver Eingriffe gerechtfertigt und welche Alternativen gibt es?

Rückenschmerz – kein Bagatellphänomen

Rund 74 – 85 % der Deutschen haben mindestens einmal im Leben Rückenschmerzen [1]. Die hohe Prävalenz schlägt sich natürlich auch in der Hausarztpraxis nieder: Rücken- und Nackenschmerzen gehören zu den häufigsten Gründen eines Hausarztbesuchs [1].

Durch den demographischen Wandel ist hier ein Anstieg der Zahlen zu erwarten. Auch wegen der hohen Chronifizierungsrate und der damit einhergehenden verminderten Lebensqualität sollte man eine Bagatellisierung der Problematik vermeiden. Schon heute liegt die Inzidenz chronischer Rückenschmerzen bei
21 % der deutschen Bevölkerung [1].

Diagnostik beim Hausarzt: auf mögliche Chronifizierung achten

Der Hausarzt kann eine orientierende Untersuchung der Wirbelsäule und des Nervensystems vornehmen, um neurologische Ausfälle wie Taubheitsgefühle oder Lähmungserscheinungen auszuschließen.

Bei der Anamnese sind besonders extravertebragene Ursachen und die sogenannten Red Flags (Warnhinweise) zu beachten. Organische Ursachen für Rückenschmerzen gelten mit lediglich 2 % als selten [2]. Auch sind in der ambulanten Versorgung nur in Ausnahmefällen Warnhinweise auf eine gefährliche Grunderkrankung zu beobachten, erfordern aber im Fall des Falles – wie etwa bei Frakturen, Infektionen, Neuropathien, Tumoren oder axialer Spondyloarthritis – eine kurzfristige Abklärung beim Spezialisten. Bei der Beurteilung der Symptomatik ist stets das Gesamtbild zu betrachten, was beim Hausarzt durch die häufig langjährigen Patientenkontakte besonders ergiebig sein dürfte.

Wichtig sind auch die Yellow Flags, die auf eine mögliche Chronifizierung des Krankheitsverlaufs hindeuten. Dazu gehören etwa depressive Neigungen oder passives Schmerzverhalten. Psychosomatisches Krankheitsgeschehen wird nach wie vor häufig unterschätzt, obwohl die Inzidenz allein bei Depressionen bei 18 % liegt [3]. Nach vier Wochen Schmerzdauer – trotz Therapie – ist der Einsatz eines Screeninginstruments zur genaueren Evaluierung sinnvoll. Arbeitsplatzbezogene Faktoren (Blue Flags) wie Schwerarbeit oder berufliche Unzufriedenheit können ebenfalls zu einer Chronifizierung führen und sind daher genauso von Relevanz.

Röntgenbilder häufig unnötig

Sollten die Beschwerden schon länger als sechs Wochen bestehen und haben die initialen schmerztherapeutischen Maßnahmen keine relevante Wirkung gezeigt, ist eine Überweisung zur MRT-Untersuchung angezeigt – mit anschließender Vorstellung bei einem Orthopäden mit Wirbelsäulenschwerpunkt.

Bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen, an denen 85 – 90 % der Rückenpatienten leiden, ist keine Ursache erkennbar [4]. Schöpft der Hausarzt durch Anamnese und körperliche Untersuchung keinen Verdacht auf eine ernstzunehmende Pathologie, ist keine weiterführende Diagnostik erforderlich, so der Expertenkonsens [2].

Dennoch ist die Anwendung bildgebender Diagnostik weit verbreitet. Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse werden jedes Jahr rund 50.000 Patienten umsonst geröntgt [5]. Die frühzeitige Röntgendiagnostik ist übrigens nicht nur unnötig, sondern auch risikobehaftet. Vermeintliche Bandscheibenprobleme (Abb. 1) führen häufig zu einer vorzeitigen Operation, die in einigen Fällen erfolglos bleibt, da das Schmerzgeschehen komplexer und die Bandscheibe nicht zwangsläufig die tatsächliche Ursache ist.

Konservative Maßnahmen bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen

Vor allem nicht-spezifische Rückenschmerzen, d. h. Beschwerden, die im Wesentlichen auf eine funktionelle Störung der Rückenmuskulatur zurückzuführen sind, sprechen gut auf eine multimodale konservative Therapie an. Der Hausarzt übernimmt dabei häufig die Lotsenfunktion. Als erste Anlaufstelle für Patienten koordiniert er die nächsten Behandlungsschritte. Da der Patient maßgeblich zum Therapieerfolg beiträgt, ist die Sicherung der Compliance durch eine umfassende Aufklärung besonders wichtig. Die Ausräumung weit verbreiteter Vorurteile spielt dabei eine bedeutende Rolle. So soll der Patient je nach Indikation zu Bewegung und zu gesundheitsbewusstem Verhalten animiert werden, denn bekanntermaßen fördern körperliche Aktivität und Stressreduktion in der Regel die Genesung.

Zu den gängigen Behandlungsverfahren gehören – falls erforderlich – die kurzzeitige Schonung und die Gabe von NSAR in möglichst niedriger Dosis und nur für kurze Zeit. Physiotherapie mit initialer Detonisierung der Muskulatur mit nachfolgend schrittweiser Stärkung der dorsoventralen Rumpfmuskulatur und Akupunktur können genauso zum Einsatz kommen (Abb. 2 und 3). Bei anhaltenden Beschwerden können lokale Injektionen mit einem Lokalanästhetikum sinnvoll sein. Bei Nachweis struktureller Veränderungen an der Wirbelsäule, wie einem Bandscheibenvorfall, sollte eine Überweisung zum Orthopäden mit Wirbelsäulenschwerpunkt erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Arzt mit dem Patienten über den Einsatz gezielter Injektionen in die betroffenen Strukturen (Wirbelgelenke, Nervenaustrittskanäle, Wirbelkanal) der Wirbelsäule sprechen. Hier können unterschiedliche Substanzen zur Anwendung kommen:
  • kortisonhaltige Medikamente
  • Hyaluronsäure
  • körpereigenes plättchenreiches Blutplasma (PRP)

Eine mögliche Opioidtherapie ist regelmäßig zu evaluieren. Bei chronischen Rückenschmerzen sind auch Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapie sinnvoll.

Werden spezifische Rückenschmerzen zu häufig operiert?

Spezifische Rückenschmerzen erfordern eine auf die anatomische Ursache abgestimmte Therapie. Mögliche zugrunde liegende Krankheitsbilder sind Bandscheibenvorfälle, Wirbelgleiten, Arthrose, Wirbelkörperfrakturen und viele weitere Erkrankungen. Je nach Indikation helfen hier entzündungshemmende und schmerzstillende Medikamente, Physiotherapie und Orthesen. Dennoch sind die Rückenoperationen laut Bertelsmann Stiftung von 2007 bis 2015 um 71 % gestiegen [6]. Die Steigerung ist im Grenzbereich derjenigen Patienten zu vermuten, bei denen zwar die Möglichkeit, aber nicht die Notwendigkeit einer Operation besteht. Natürlich stellt sich hier die Frage, ob alle konservativen Maßnahmen ausgeschöpft wurden.

Bessere Heilungschancen durch alternative Verfahren?

Alternativmedizinische Verfahren sind in manchen Fällen eine sinnvolle Ergänzung zur Standardtherapie. Studien zufolge [7] erzielt beispielsweise die Akupunktur eine kurzzeitige Schmerzlinderung bei chronischen Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Dank der Anerkennung der Krankenkassen können Patienten mit einer Kostenerstattung rechnen. Auch Chiropraktik kann je nach Indikation eine Besserung herbeiführen. Die ablehnende Haltung vieler Patienten gegenüber Operationen und die gleichzeitige Offenheit gegenüber nebenwirkungsarmen alternativen Verfahren führen zu einer größeren Verbreitung entsprechender Ansätze.

Neuer Ansatz: Eigenblutbehandlungen an der Wirbelsäule

Eigenblutbehandlungen gibt es bereits seit 100 Jahren. In der Orthopädie kommt PRP seit zwei Jahrzehnten zur besseren Wundheilung nach Operationen zum Einsatz. Speziell in der Wirbelsäulentherapie ist dieses Verfahren aber noch recht unbekannt. Das Wirkprinzip plättchenreichen Plasmas liegt in der Freisetzung von Wachstumsfaktoren und der Stimulation der Selbstheilungskräfte.

Ein mögliches Einsatzgebiet sind degenerative Wirbelsäulenerkrankungen. So eignet sich die Eigenbluttherapie beispielsweise zur Verzögerung des Fortschritts einer Arthrose, zur Schmerzlinderung und zur Verbesserung der Beweglichkeit. Sie ist eine interessante Alternative für Patienten mit einer Kortison-Unverträglichkeit. Kleinere Studien zeigten positive Effekte der PRP-Therapie bei degenerativen Bandscheibenerkrankungen im Lendenwirbelbereich [8]. Die Kassen erstatten die Kosten allerdings bislang nicht.

Fazit
Die meisten Rückenschmerzen sind nicht spezifisch. Meist reichen hier Anamnese und körperliche Untersuchung durch den Hausarzt, reichlich Bewegung und Schmerzmittel für eine erfolgreiche Behandlung aus. Bei Verdacht auf anatomische Ursachen oder eine Chronifizierung kann man nach einer Überweisung zum Spezialisten Röntgenbilder anfertigen. Operationen sind in diesem Fall eine häufig gewählte Therapie, lassen sich aber durch die Ausschöpfung konservativer – eventuell auch alternativmedizinischer – Verfahren womöglich in manchen Fällen vermeiden.


Literatur
2) Nationale Versorgungsleitlinie unspezifischer Kreuzschmerz, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-007l_S3_Kreuzschmerz_2017-03.pdf
4) Patienteninformation der Bundesärztekammer und der kassenärztlichen Vereinigung, www.patienten-information.de/patientenleitlinien/patientenleitlinien-nvl/html/kreuzschmerz/kapitel-4
7) Lizhou Liu et al.: Acupuncture for Lower Back Pain: An Overview of Systematic Reviews. In: Evidence-based Complementary and Alternative Medicine, 2015: 328196.
8) Suja Mohammed, James Yu: Platelet-rich plasma injections: an emerging therapy for chronic discogenic low back pain. In: Jounral of Spine Surgery. 2018 Mar; 4(1): 115–122.


Autor:

Dr. med. Oliver Oetke

Orthospinum
80331 München

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (15) Seite 41-44