Eine häufig lange Behandlungsdauer und eine Vielzahl möglicher Ursachen: Chronische Ulzera sind für Betroffene und ihre Behandlungsteams gleichermaßen eine große Herausforderung. Die wichtigsten Ursachen des chronischen Ulcus cruris sowie diagnostische und therapeutische Optionen klärt dieser Beitrag.
Wunden werden als chronisch bezeichnet, wenn sie innerhalb von acht Wochen nicht abheilen oder die Behandlung einer zugrundeliegenden Erkrankung für die Wundabheilung nötig ist [1]. Das Ulcus cruris umfasst tiefe Defekte, die mindestens bis in die Dermis reichen und am Unterschenkel (zwischen Knie und oberem Sprunggelenk) lokalisiert sind [1, 2].
Das diabetische Fußulkus fällt aufgrund seiner plantaren Lokalisation nicht unter das Ulcus cruris. In Deutschland sind etwa 600.000 Menschen davon betroffen (Prävalenz: etwa 0,5 – 1 %) [3].
Die Ursachen für die Entwicklung eines Ulcus cruris sind vielfältig. Wenngleich in 80 % der Fälle Gefäßerkrankungen wie eine chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) zugrundeliegen, existieren viele weitere, seltenere Krankheitsbilder, die chronische Ulcera hervorrufen können (Tabelle 1) [4]. Häufig kann eine mögliche Ursache bereits nach Anamneseerhebung und einer ersten klinischen Untersuchung eingegrenzt werden [5]. Aufgrund der Vielzahl möglicher Ursachen, die unterschiedliche Therapien erforderlich machen, ist die Identifizierung der zugrundeliegenden Pathologie der erste Schritt einer erfolgreichen Behandlung (Tabelle 2) [6]. Ergänzend zur kausalen Therapie sollte man bei jedem chronischen Ulkus eine Wundphasen-adaptierte topische Wundtherapie vornehmen, um Infektionen zu verhindern und eine Optimierung der Wundheilungsumgebung zu gewährleisten [6].
Versorgung chronischer Wunden
Im Schnitt dauert es in Deutschland über drei Jahre, bis Patient:innen mit chronischen Wunden eine kausale Therapie erhalten [7]. Mitunter sind umfangreiche diagnostische Maßnahmen notwendig, die nicht überall zur Verfügung stehen. Wer im Rahmen der hausärztlichen Erstkontakte an Diagnostik- oder Behandlungsgrenzen stößt, kann bei spezialisierten Fachärzt:innen und/oder in Wundzentren hilfreiche Ansprechpartner:innen finden (Abb. 3). Ein weiteres Problem: In über der Hälfte der Fälle wird der Verbandswechsel von Patient:innen selbst oder von Angehörigen durchgeführt [8]. Da Patient:innen eine korrekte Wundversorgung auch nach umfassender Schulung und Anleitung nicht immer selbstständig leisten können, besteht die Gefahr einer inadäquaten Behandlung, die zur verzögerten Wundheilung führt [8]. Aufgrund der langen Behandlungsdauer ist eine ausschließlich stationäre Behandlung bei chronischem Ulcus cruris in der Regel nicht praktikabel. Ein geplanter stationärer Aufenthalt kann bei invasiven diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen (z. B. operative Defektdeckungen) erfolgen. Akute stationäre Aufenthalte können bei Komplikationen wie Wundinfektionen oder ambulant nicht beherrschbaren Schmerzen erforderlich sein. Rasche Diagnostik und adäquate Therapie sind also nötig, um lange Krankheitsdauer und Behandlungszeiten, Komplikationen und stationäre Aufnahmen zu vermeiden, Kosten zu sparen und die Lebensqualität zu verbessern [7, 8].
Ulcus cruris venosum und arteriosum
In etwa der Hälfte der Fälle ist eine CVI ursächlich für die Entstehung eines chronischen Ulcus cruris (Abb. 4) [4]. Eine CVI kann sich auf dem Boden einer Varikose, eines postthrombotischen Syndroms oder aufgrund von Gefäßmalformationen entwickeln [6].Das Ulcus cruris arteriosum (Abb. 1; vgl. Kasuistik) entsteht als Folge einer Minderperfusion mit daraus resultierender Ischämie und Ausbildung von Nekrosen auf dem Boden einer pAVK. Zu den Risikofaktoren zählen Rauchen, Diabetes mellitus, Störungen des Lipidstoffwechsels, arterielle Hypertonie und Bewegungsmangel [9].
Kutane Vaskulitiden und Livedovaskulopathie
Bei den Vaskulitiden handelt es sich um eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen es zu einer Entzündung kommt, welche die Gefäßwände schädigt. Das klinische Bild kann zwischen den verschiedenen Vaskulitiden deutlich variieren. Die kutane leukozytoklastische Vaskulitis (Abb. 5) ist die häufigste Vaskulitisform und tritt meist sekundär nach Arzneimitteleinnahme, Infektionen oder im Rahmen neoplastischer Erkrankungen auf [10, 11].
Die Livedovaskulopathie ist eine Koagulopathie, bei der es zu Gefäßverschlüssen in der oberen und mittleren Dermis kommt, die dann zu einer Minderperfusion mit Nekrosen und Ulzerationen (Abb. 6) führen. Diese Ulzerationen sind sehr schmerzhaft und treten episodisch auf. Betroffen sind insbesondere junge Frauen. Die Ulzerationen hinterlassen eine narbige Atrophie blanche [6, 10].
Ekthyma und Pyoderma gangraenosum
Als Ekthyma (Abb. 7) werden Ulzera bezeichnet, die infolge einer Superinfektion von kleinen Epitheldefekten mit Staphylo- oder Streptokokken entstehen. Prädisponierend sind Störungen der Hautbarriere, Immunsuppression, Ödeme sowie ein feuchtwarmes Klima und eingeschränkte hygienische Verhältnisse [12]. Das Pyoderma gangraenosum (Abb. 8) ist eine neutrophile Dermatose unklarer Ätiologie, die in über der Hälfte der Fälle mit anderen systemischen Erkrankungen assoziiert ist, insbesondere mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Arthritiden und Neoplasien [13]. Die Ulzera werden häufig durch Bagatelltraumata, Insektenstiche oder operative Eingriffe getriggert (Pathergiephänomen) [14].
Necrobiosis lipoidica und Kalziphylaxie
Die Necrobiosis lipoidica ist eine entzündliche, granulomatöse Hauterkrankung, die in etwa 50 % der Fälle mit Diabetes mellitus assoziiert ist. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Bei circa einem Drittel der Betroffenen kommt es im Verlauf zum Auftreten von Ulzera (Abb. 9) [15]. Die Kalziphylaxie wiederum ist eine seltene Erkrankung mit hoher Letalität, die vorwiegend Patient:innen mit terminaler, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz betrifft. Durch Störungen im Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel kommt es zu einer Kalzifizierung mit begleitender Entzündung der Arteriolen der Kutis und Subkutis, die dann zu thrombotischen Gefäßverschlüssen mit Auftreten von Nekrosen und Ulcera (Abb. 10) führt [16, 17]. Seltener sind auch nicht urämische Verläufe beschrieben [18].
Artefakte und Neoplasien
Als Artefakte werden Gewebsdefekte bezeichnet, die infolge autoaggressiver Handlungen an der Haut entstehen. Am häufigsten sind Frauen mit medizinischen Vorkenntnissen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr betroffen (Verletzungsmechanismen: u. a. chemische Substanzen, Nadeln, Rasierklingen) [19]. Bei atypischen klinischen, therapierefraktären Befunden sollte man Neoplasien als mögliche Ursache für therapierefraktäre Ulzera bedenken. Von besonderer Relevanz sind epitheliale Neoplasien wie Basalzell- und Plattenepithelkarzinome (Abb. 11) [20]. Auch können sich Plattenepithelkarzinome sekundär auf länger bestehenden Ulzera entwickeln [21].
Zusammenfassung
Für eine adäquate kausale Therapie des chronischen Ulcus cruris ist eine vorherige, mitunter umfangreiche Diagnostik notwendig (vgl. Abb. 3). Eine interprofessionelle, interdisziplinäre und transsektorale Zusammenarbeit ist hilfreich.
- Nach Anamnese und orientierender Untersuchung müssen die Behandlung akuter Beschwerden und eine erste Verdachtsdiagnose erfolgen.
- Überweisungen an Wundzentren können sinnvoll sein.
- Patient:innen benötigen Unterstützung bei der korrekten Wundversorgung.
Interessenkonflikte: Die Autor:innen haben keine deklariert.
- Varicosis und Ulcus cruris: Venenleiden beim alten Patienten
- Diabetisches Fußulkus: So heilen chronische Wunden
- Diabetisches Fußsyndrom: Von den psychischen Folgen der Neuropathie
- Chronische Wunden: Über- und Fehltherapie vermeiden
- Problemwunden: Was ist bei der hausärztlichen Wundversorgung wichtig?
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (9) Seite 44-47