Die Bandbreite der dermatologischen Erkrankungen mit wesentlichen psychischen Auslösern und Verschlimmerungsfaktoren ist lang. Vor diesem Hintergrund sprachen wir mit Dr. med. Uwe Schwichtenberg, Facharzt für Dermatologie und Allergologie und Leitender Arzt der DERMA NORD Hautarztpraxen in Bremen (derma-nord.de).

Bei welchen Hauterscheinungen sollte man psychische Probleme mit im Blick haben?

Dr. Schwichtenberg: „Viele Hauterkrankungen korrelieren mit psychischen Faktoren. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM) benennt hierzu eine europäische Studie aus dem Jahr 2016, die belegt, dass fast jeder dritte Hautkranke, der in einer Klinik behandelt wird, auch unter psychischen Problemen leidet. Je nach Definition der Begrifflichkeit ,psychische Probleme‘ sind die Werte sogar noch höher. Das weiß auch der Volksmund: Redewendungen wie ,Das geht mir unter die Haut‘ und ,Das ist zum Aus-der-Haut-Fahren‘ drücken das treffend aus. Bei der Neurodermitis hat diese Beziehung sogar Einzug in die Namensgebung gefunden. Da aber die Genese von Hauterkrankungen komplexer ist und keinesfalls der Eindruck entstehen sollte, die Neurodermitis sei ausschließlich ein Problem der Psyche, sind Bezeichnungen wie atopische Dermatitis oder endogenes Ekzem vorzuziehen. Die Reihe der dermatologischen Erkrankungen mit wesentlichen psychischen Auslösern und Verschlimmerungsfaktoren ist lang: periorale und periorbitale Dermatitis, Akne, Urtikaria – selbst die in den letzten Jahren so viel besser verstandene Psoriasis, die fast den Eindruck erweckt, es sei nur das Problem eines Zytokins, ist über die Psyche triggerbar.“

Was wäre ein typisches Beispiel?

Dr. Schwichtenberg: „In meiner täglichen Praxis sind es vor allem die ,Talgdrüsenüberfunktionserkrankungen‘, wie z. B. die Akne, die zur Illustration des Themas ,Haut als Spiegel der Seele‘ taugen. Junge Erwachsene mit Akne, deren Hautbefund durch Prüfungssituationen, Liebeskummer etc. schlechter wird, sind ganz normales Tagesgeschäft, auch bei den niedergelassenen Kollegen. Aber auch bei der perioralen und periorbitalen Dermatitis sehen wir eine ganz starke psychosomatische Komponente, die natürlich umso stärker ausgeprägt ist, je mehr der Hautzustand als belastend empfunden wird. Dies führt dann zu vermehrter Anwendung von dekorativer Kosmetik, um den Befund zu kaschieren, was wiederum den Hautzustand weiter ­verschlechtert. Das kann in einer Abwärtsspirale enden, aus der manche Patienten nur schwierig wieder herauszulösen sind.“

Was ist häufiger: Hauterkrankungen, die psychische Störungen triggern, oder dass bei psychischen Erkrankungen die Haut mitleidet?

Dr. Schwichtenberg: „Die Psyche hat einen nachweislichen Einfluss auf die Haut, aber Hautkrankheiten sind keine primär seelische Erkrankung. Unsere Patienten haben Hauterkrankungen, die auch die Psyche verändern: Soziale Isolation, Selbstekel, Stigmatisierung und Angststörungen bis hin zu Depressionen können aus einer nicht optimal behandelten Primärerkrankung entstehen.

Geht es dem Patienten unter der entsprechenden Therapiemodifikation besser, relativieren sich auch diese Begleiterscheinungen oft sichtlich.“

Wie sieht ein standardisiertes Vorgehen in der dermatologischen Praxis aus?

Dr. Schwichtenberg: „Es gibt verschiedene evaluierte Erhebungsmöglichkeiten, die den Aspekt der psychischen Gesundheit abdecken. Das subjektive psychische Wohlbefinden kann beispielsweise über den WHO-5-Fragebogen erfasst werden.

Zusätzlich könnte man bei manchen Patienten auch den Aspekt der eigenen Arbeitsfähigkeit über den Work Ability Index (WAI) erheben. Für das situative Stressempfinden steht die Perceived Stress ­Scale 4 (PSS4) zur Verfügung. Letztlich kann auch schon die Eingangsfrage ,Wie geht es Ihnen körperlich und seelisch?‘ bei jeder Konsultation in der dermatologischen Arztpraxis hilfreich sein, um ein Bild von der individuellen psychischen Situation zu gewinnen.“

Erwähnen Patienten psychische Störungen von sich aus oder sollte man als Arzt danach fragen?

Dr. Schwichtenberg: „Eher das Erste. Vielen Menschen ist es nicht bewusst, dass ,schlichte Hautveränderungen‘ ihren Kern in psychischen Belastungen haben können. Es fällt vielen Patienten leichter, sich auf die offensichtlichen Erscheinungen ihrer Erkrankung zu konzentrieren.

Gleichzeitig ist die Überzeugung, dass man seelische Schmerzen klaglos aushalten muss, gerade in der älteren Generation immer noch sehr ausgeprägt. Ich versuche aber immer, den ganzen Menschen zu sehen. Meine Patienten haben eine Problematik mit ihrer Haut und dann zeigen sich eben auch dort Probleme, wenn sie z. B. beruflich und/oder privat unter einem hohen Stresslevel leiden. Dieser lässt die Symptome oft regelrecht aufflammen.“

Können pathophysiologische Prozesse das erklären?

Dr. Schwichtenberg: „Das zentrale Nervensystem hat eine ontogenetische Verbindung zur Haut. Beide entstehen im Mutterleib aus dem Ektoderm. Neuropeptide können Entzündungen auslösen, die sich gleichzeitig sowohl auf der Haut – man denke hier an psoriatische Plaques – als auch seelisch (typischerweise durch depressive Schübe) abbilden. Der besondere Zusammenhang zwischen Haut und Psyche wird anhand extremer Beispiele wie z. B. dem ,schlagartigen Ergrauen‘, einer speziellen Form der Alopecia areata, eindrucksvoll deutlich.“

Wie geht man im Praxisalltag vor?

Dr. Schwichtenberg: „Ich versuche gemeinsam mit den Patienten zu dokumentieren, welche Gefühle und Verhaltensweisen auf die Hauterkrankung Einfluss haben und sie aktivieren bzw. verbessern. Nur wenn diese psychosozialen Faktoren bekannt sind, kann man an ihnen arbeiten. Dann können – je nach Patient – Entspannungsverfahren, kognitive Umstrukturierung, Stressmanagement, Biofeedback, Selbstsicherheitstraining und Copingstrategien zum Einsatz kommen. Psychotherapeutische Interventionen gehören dann in enger Abstimmung mit dem Dermatologen in die Hand eines spezialisierten Kollegen. Für die medizinische Behandlung stehen bei Psoriasis, Neurodermitis und chronisch-spontaner Urtikaria gut wirksame Antikörpertherapien zur Verfügung. Die Verbesserung der Symptomatik bringt dann oft auch eine Entspannung auf der psychischen Seite. Fazit: Es gilt, beides optimal zu therapieren – Haut und Psyche.“


Das Interview führte Sabine Mack


Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (10) Seite 10