Patienten mit Diabetes mellitus sind besonders gefährdet, eine erektile Dysfunktion zu entwickeln. Dieses erhöhte Risiko ist auf vaskuläre und neurogene Faktoren sowie auf die häufig vorliegenden Begleiterkrankungen zurückzuführen. Die Frage nach dem Sexualleben sollte daher bei Männern mit Diabetes zum Standardrepertoire gehören.
Laut aktuellen wissenschaftlichen Daten leben in Deutschland ca. 4 Millionen Männer mit Diabetes mellitus (Typ 1 und Typ 2). Falls die momentane Entwicklung so weitergeht, muss damit gerechnet werden, dass die Zahl bis 2040 um weitere 2 Millionen auf ca. 6 Millionen zunehmen wird. Bei Männern mit Diabetes mellitus liegt das mittlere Erkrankungsalter bei 61 Jahren. 95 % von ihnen leiden an einem Typ-2-Diabetes. Wesentliche Risikofaktoren für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes sind die Adipositas und fehlende körperliche Aktivität. Da mehr als die Hälfte aller Männer über 50 Jahre in Deutschland übergewichtig sind, ist die hohe Prävalenz des Typ-2-Diabetes hier leicht erklärbar.
Warum kommt die erektile Dysfunktion bei Männern mit Diabetes mellitus so häufig vor?
Die bei Diabetikern meist organisch bedingte erektile Dysfunktion ist aufgrund der diabetischen Vaskulopathie und Neuropathie in der Regel kombiniert vaskulär und neurogen bedingt. Auch eine Schädigung des Endothels kommt bei Diabetikern häufig vor, so dass die weniger vorhandene endotheliale Stickoxid-Synthase (eNOS) die Aufrechterhaltung der Erektion verhindert. Nachdem bei vielen Diabetikern zusätzliche weitere Risikofaktoren wie eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie oder ein chronischer Nikotinabusus bestehen, kommen hierdurch bedingte Durchblutungsstörungen im Bereich der sehr feinen penilen Endarterien (Innendurchmesser nur ca. 1 – 2 mm) häufig vor. Auch ein bei Männern mit Diabetes mellitus und Adipositas in über 50 % vorkommendes Testosteronmangel-Syndrom kann im Kontext der erektilen Dysfunktion eine relevante Rolle spielen.
Tabuthema erektile Dysfunktion
Auch im Jahr 2021 fällt es Männern im Allgemeinen noch schwer, über ein so sensibles Thema wie Erektionsstörungen mit ihrer Ärzt:in zu sprechen. Dies ist bei diabetischen Männern mit einer erektilen Dysfunktion nicht anders, obwohl das Problem hier ja besonders häufig vorkommt. Alle an der Behandlung von Männern mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes beteiligten Kolleg:innen sollten daher proaktiv auf die Patienten und ihre Partner:innen zugehen und diese Thematik adressieren. Die Patienten werden es bestimmt danken. Die Einbeziehung der Partner:in spielt für den Erfolg der Therapie der erektilen Dysfunktion unabhängig vom gewählten Behandlungsverfahren eine wesentliche Rolle.
Weiteres praktisch-strukturiertes Vorgehen
Für die Diagnostik und Therapie der erektilen Dysfunktion existiert die zuletzt im März 2021 aktualisierte Leitlinie der Europäischen Urologen-Vereinigung (EAU) [1]. Hierin werden die folgenden Empfehlungen für die Diagnostik der erektilen Dysfunktion gegeben (vgl. Kasten).
- Komplette medizinische und spezielle sexualmedizinische Anamnese (Risikofaktoren? Libido? Dauer und Beginn der Störung? Leidensdruck? Reaktion der Partnerin bzw. des Partners?)
- Körperliche Untersuchung inklusive des äußeren Genitales sowie Messung des Bauchumfanges und Blutdruckmessung
- Laboruntersuchung (Nüchtern-Blutzucker bzw. HbA1c, Nüchtern-Blutfette, kleines Blutbild, Leberenzyme, Nierenretentionswerte, Testosteron, ggf. auch noch Prolaktin, LH oder Schilddrüsenwerte)
- Klärung des kardialen Status gemäß den Empfehlungen der 3. Princeton Konsensus-Konferenz (Abb. 1)
- Semi-invasive und invasive Diagnostik: Schwellkörper-Injektions-Testung (SKIT) mit Pharmakoduplexsonographie, in ausgewählten Einzelfällen auch Cavernosometrie und -graphie
Die unter dem Punkt 5 genannten semi-invasiven und invasiven diagnostischen Maßnahmen sind der fachurologischen bzw. andrologischen Abklärung vorbehalten.
Welche Therapieoptionen stehen von der Prävention bis zum Penisimplantat zur Verfügung?
Zur Vermeidung einer erektilen Dysfunktion bei Männern mit Diabetes mellitus sollten vor allem eine Gewichtsreduktion und eine vermehrte sportliche Aktivität angestrebt werden. Der Diabetes mellitus selbst und eventuelle weitere internistische Begleiterkrankungen wie eine arterielle Hypertonie oder eine Hyperlipidämie sollten optimal therapiert werden. Exogene Noxen wie ein chronischer Nikotinkonsum müssen unter allen Umständen vermieden oder vollständig beendet werden. Ein Testosteronmangel-Syndrom, welches bei Männern mit Diabetes mellitus in mehr als 50 % der Fälle vorkommt, sollte erkannt und adäquat mittels Testosteron-Substitutionstherapie (TRT) behandelt werden. Hierbei handelt es sich um eine medizinisch anerkannte und ebenfalls in den EAU-Leitlinien definierte Störung, deren Diagnostik und Therapie somit auch Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sind.
Ansonsten stehen gemäß den aktuell geltenden EAU-Leitlinien stufengerecht von der oralen Therapie mit PDE-5-Hemmern (Avanafil, Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil) über die topische oder intracavernöse (SKAT) Anwendung von gefäßerweiternden Substanzen (Alprostadil bzw. Phentolamin-Papaverin-Gemisch) und die Anwendung von Vakuumpumpen-Systemen bis hin zur niedrig-energetischen Stoßwellentherapie verschiedenste Therapieoptionen zur Behandlung der erektilen Dysfunktion bei Diabetikern zur Verfügung. Für die hausärztlich/internistische Behandlung kommen hiervon allerdings sicher nur die Behandlung mit den verschiedenen PDE-5-Hemmern oder die topische Therapie mit Alprostadil infrage. Alle weiteren Behandlungsoptionen sollten der fachärztlich-urologischen bzw. andrologischen Versorgung vorbehalten bleiben. In Fällen einer schweren organischen erektilen Dysfunktion und/oder bei Versagen der vorher genannten Möglichkeiten stellt die operative Behandlung mit einem semirigiden oder besser hydraulischen Penisimplantat die Methode der Wahl dar. Dies geht selbstverständlich nur unter stationären Bedingungen und sollte im Sinne einer möglichst hohen Ergebnisqualität am besten in ausgewählten Kompetenzzentren für solche Eingriffe durchgeführt werden.
Fazit
In Deutschland leben aktuell ca. 4 Millionen Männer mit Diabetes mellitus. Da die Prävalenz der erektilen Dysfunktion bei Männern mit Diabetes mellitus bei über 50 % liegt, muss davon ausgegangen werden, dass es somit mehr als 2 Millionen betroffene männliche Patienten mit einem Diabetes mellitus und einer erektilen Dysfunktion gibt. Die Häufigkeit ist so hoch, da bei Diabetikern pathogenetisch sowohl die vaskulären als auch die neurogenen Funktionen der Erektion gestört sind. Im Rahmen der Prävention spielen vor allen Dingen Lebensstiländerungen wie eine Gewichtsreduktion und die vermehrte sportliche Aktivität sowie die optimale Behandlung des Diabetes mellitus und eventueller weiterer Begleiterkrankungen eine Rolle. Noxen wie einen chronischen Nikotinkonsum gilt es unbedingt zu vermeiden. Zur leitliniengerechten und evidenzbasierten Therapie (EAU) der erektilen Dysfunktion stehen auch für Diabetespatienten alle verfügbaren Optionen wie die orale Einnahme von PDE-5-Hemmern, topische oder intrakavernöse Anwendung von direkt gefäßerweiternden Substanzen (z. B. SKAT-Injektionstherapie), der Einsatz von Vakuumpumpen-Systemen, die niedrig-energetische Stoßwellentherapie (LESWT) oder die operative Behandlung mittels semirigiden oder hydraulischen Penisimplantaten zur Verfügung. So kann in nahezu allen Fällen eine erfüllte Sexualität und damit ein wesentliches Stück Lebensqualität für die betroffenen Patienten zurückgewonnen werden.
- Männern fällt es schwer, über Erektionsstörungen zu reden, sprechen Sie das Thema aktiv an!
- Männer mit Diabetes sind sehr häufig betroffen.
- Therapeutisch stehen dieselben Optionen wie bei Männern ohne Diabetes zur Verfügung.

Dr. med. Christian Leiber
Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (1) Seite 14-16