Eine Arzneimitteltherapie in Schwangerschaft und Stillzeit stellt den behandelnden Arzt immer wieder vor eine Herausforderung, wird dabei doch quasi das gesunde ungeborene Kind mitbehandelt. Allerdings kann eine unzureichende Behandlung der mütterlichen Erkrankung insbesondere beim Diabetes mellitus ein hohes Risiko für die embryonale und fetale Entwicklung darstellen. Die Betreuung der Patientinnen soll aus diesem Grund durch spezialisierte Praxen und Kliniken erfolgen. Häufig stellt jedoch gerade der Hausarzt einen wichtigen Ansprechpartner vor Ort dar, um Patientinnen über mögliche Risiken ihrer Therapie oder die Folgen einer unzureichenden Behandlung zu informieren.

Die Anwendung von Arzneimitteln während der Schwangerschaft verunsichert sowohl den behandelnden Arzt als auch die Patientin. Aufgrund unzureichender Datenlage oder inadäquater Interpretation vorliegender Daten werden Arzneimittel häufig als für die Schwangerschaft kontraindiziert gekennzeichnet, obwohl keine ernsthaften Hinweise für eine Gefährdung des Ungeborenen vorliegen. Dies erschwert die Abgrenzung von Medikamenten, für die ein entwicklungstoxisches Risiko tatsächlich belegt ist. Da aber auch in der Schwangerschaft behandelt werden muss, wenn die Erkrankung Risiken für das Ungeborene oder die werdende Mutter birgt, muss der Arzt gegebenenfalls off label behandeln. Dieser zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln verstößt nicht gegen geltendes Recht, wenn das Medikament nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausreichend wirksam ist und keine therapeutischen Alternativen verfügbar sind, die einen höheren Grad an Sicherheit aufweisen würden. Dieses Vorgehen ist als Nutzen-Risiko-Abwägung zu verstehen, wobei dann von der Nichtbehandlung eine höhere Gefährdung für Mutter und Kind ausgeht als durch die Therapie [1].

Informationsquellen und Beratung

Für die Beurteilung einer Arzneimitteltherapie in Schwangerschaft und Stillzeit stehen verschiedene Informationsquellen zur Verfügung. Die Angaben der Roten Liste und auf dem Beipackzettel sind für die Einschätzung möglicher Risiken oft unzureichend. Als Alternativen für die Praxis bieten sich hier Fachbücher, das Internetportal Embryotox und der telefonische Kontakt zum Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie in Berlin an. Für die Therapie eines Diabetes mellitus in der Schwangerschaft wird ausdrücklich auf die aktuellen Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) verwiesen.

Diabetes mellitus

Generell ist zwischen einem bereits vor der Schwangerschaft bestehenden Diabetes und einem Gestationsdiabetes zu unterscheiden. 4–5 % aller Schwangeren entwickeln einen Gestationsdiabetes, der in der Regel ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel auftritt. Jede Schwangere wird deshalb im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen zwischen der vollendeten 24. und der 28. Schwangerschaftswoche mittels eines oralen Glukosetoleranztests auf ein Vorliegen der Erkrankung untersucht.

Bei weniger als 1 % aller Schwangeren liegt ein Diabetes mellitus bereits bei Kinderwunsch vor. Einen deutlich höheren Anteil macht hierbei der Typ-1-Diabetes aus, wobei beim Typ-2-Diabetes in den letzten Jahren eine Zunahme zu verzeichnen ist. Gerade adipöse Patientinnen weisen hier ein erhöhtes Risiko auf, wobei die Erkrankung bei jüngeren Patientinnen zu Beginn oft unentdeckt bleibt.

Ein bereits vor der Schwangerschaft bestehender Diabetes stellt ein hohes Risiko für Komplikationen dar, somit muss eine interdisziplinäre Betreuung durch Spezialisten verschiedener Fachrichtungen gewährleistet sein. Bereits vor Konzeption muss, wenn nicht bereits geschehen, eine möglichst optimale Einstellung der Patientin erfolgen. Denn eine unzureichende Stoffwechseleinstellung zum Konzeptionszeitpunkt geht mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko und einer erhöhten Spontanabortrate einher. Eine ungenügende Einstellung im weiteren Verlauf der Schwangerschaft birgt eine Vielzahl weiterer Risiken für Mutter und Kind, die sich im Extremfall in einer diabetischen Fetopathie äußern können. Eine Diabetes-Patientin mit Kinderwunsch soll deshalb bereits vor Eintritt der Schwangerschaft sowohl durch den Gynäkologen als auch durch den Diabetologen beraten werden [2–5].

Geeignete Antidiabetika in der Schwangerschaft

Der höchste Erfahrungsumfang zur Anwendung in der Schwangerschaft liegt für Humaninsulin vor. Es kommt als kurzwirksames Insulin oder langwirksames Neutral-Protamin-Hagedorn (NPH)-Insulin zum Einsatz.

Humaninsulin ist sowohl für einen vorbestehenden Diabetes mellitus als auch für die Therapie eines Gestationsdiabetes als Mittel der Wahl anzusehen, wenn diätetische und sonstige nichtmedikamentöse Maßnahmen nicht zum gewünschten Behandlungserfolg führen. Für die sogenannten Kunstinsuline liegen deutlich weniger Daten vor.

Laut der DDG sollte die Therapie mit dem langwirksamen Insulin detemir bei einer perikonzeptionell zielgerecht eingestellten Schwangeren fortgeführt werden. Auch das ebenfalls langwirksame Insulin glargin kann bei einer perikonzeptionell zielgerecht eingestellten Schwangeren weiter verwendet werden. Bei dem zuletzt genannten Präparat sind die schlechtere Studienlage im Vergleich zu Insulin detemir und die Diskussion um die verstärkte Progression einer diabetischen Retinopathie zu erwähnen.

Bei den kurzwirksamen Kunstinsulinen empfiehlt die Fachgesellschaft eine Fortführung der Therapie bei Insulin lispro und Insulin aspart, wobei eine bessere Studienlage bei letztgenanntem Präparat angegeben wird [4]. Bei einer unzureichenden Einstellung eines Gestationsdiabetes durch kurzwirksames Humaninsulin ist die Anwendung sowohl von Insulin aspart als auch von Insulin lispro möglich [3].

Alle oralen Antidiabetika und die injizierbaren GLP-1-Analoga sind für die Schwangerschaft unzureichend untersucht und sollten bereits vor der Schwangerschaft auf Humaninsulin umgestellt werden. Bei einer ungeplanten Schwangerschaft stellt diese Medikation jedoch keinen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch dar. Bisher liegen bei keinem der auf dem deutschen Markt verfügbaren Antidiabetika ernsthafte Hinweise auf ein erhöhtes teratogenes Risiko vor, allerdings ist der Erfahrungsumfang in Abhängigkeit vom Präparat sehr unterschiedlich [6]. Im Fall einer ungeplanten Schwangerschaft ist eine Umstellung auf eine für die Schwangerschaft erprobte Medikation vorzunehmen. Im Gegensatz zu den deutschen Leitlinien ist jedoch anzumerken, dass Fachgesellschaften im englischsprachigen Raum Metformin und Glibenclamid als Behandlungsoptionen beim Gestationsdiabetes angeben [7], wobei neuere Studien Vorteile beim Metformin gegenüber Glibenclamid sehen [8].

Die Therapie von Begleiterkrankungen muss ebenfalls überprüft werden. Sollte die Patientin einen ACE-Hemmer oder ein Sartan erhalten, so ist die Medikation zügig durch den behandelnden Arzt umzustellen, da diese Substanzen in der zweiten Schwangerschaftshälfte u. a. zu schweren Nierenschäden beim Kind und einem Oligohydramnion führen können [9]. Für eine Risikoabschätzung und Beratung zu alternativen Antihypertensiva sollte in diesem Fall das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie kontaktiert werden (siehe Info-Kasten).

Stillen unter antidiabetischer Therapie der Mutter – geht das?

Auch in der Stillzeit liegt der größte Erfahrungsumfang für Humaninsulin vor. Allerdings ist aufgrund der fehlenden oralen Bioverfügbarkeit weder für die Kunstinsuline noch für Humaninsulin mit Nebenwirkungen beim Kind zu rechnen [6]. Eine Insulintherapie der Mutter stellt also keinen Grund dar, auf das Stillen zu verzichten; es wird Müttern mit einem Diabetes mellitus sogar ausdrücklich empfohlen [2].

Zur Therapie von Müttern mit oralen Antidiabetika in der Stillzeit liegen deutlich weniger Daten als zur Insulintherapie vor, dementsprechend ist Humaninsulin als Mittel der Wahl vorzuziehen.

Die meisten Untersuchungen zur Verträglichkeit in der Stillzeit liegen zu Glibenclamid und Metformin vor. In einzelnen Milchproben von Müttern, die unter Glibenclamid gestillt haben, konnte kein Wirkstoff nachgewiesen werden. Bei einer guten Beobachtung des Säuglings auf mögliche Anzeichen einer Hypoglykämie scheint das Stillen unter Glibenclamid akzeptabel zu sein.

Ein höherer Erfahrungsumfang liegt zum Metformin vor, da dieses nicht nur bei einem Typ-2-Diabetes, sondern auch zur Behandlung eines Polycystischen Ovarial-Syndroms (PCOS) off label eingesetzt wird. Bisher liegen keine negativen Erfahrungen vor, der Übergang in die Muttermilch scheint zudem gering zu sein. Bei einem therapeutischen Vorteil von Metformin gegenüber Humaninsulin darf auch unter einer Metformintherapie gestillt werden.

Generell sollten Kinder, wenn unter einer Arzneimitteltherapie der Mutter gestillt wird, gut (aber nicht übervorsichtig) beobachtet werden. Sollten Symptome, insbesondere einer Hypoglykämie, neu auftreten, sollten der Kinderarzt und das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie informiert werden [6].


Wichtige Informationsquellen

Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG): www.ddg.info

Die DDG bietet ausführliche evidenzbasierte Leitlinien zu allen wichtigen Formen des Diabetes mellitus. Sehr zu empfehlen sind die übersichtlichen Praxisleitlinien. Die Internetseite ermöglicht weiterhin die wohnortnahe Suche nach spezialisierten Ärztinnen, Arztpraxen und Kliniken. Dies ist insbesondere dann hilfreich, wenn die Patientin noch nicht durch einen Spezialisten behandelt wird oder ein Wohnortwechsel ansteht. http://www.ddg.info

www.embryotox.de

Das Internetportal des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums (PVZ) für Embryonaltoxikologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin ermöglicht die übersichtliche und schnelle Information zu mehr als 400 Wirkstoffen und deren Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit. Über die Nutzung des Internet-Fragebogens ist eine persönliche Kontaktaufnahme möglich. http://www.embryotox.de

Telefonische Beratung des PVZ Embryonaltoxikologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Tel.: 030/450 525 700 (Mo.–Fr.: 9-12:30 Uhr sowie Mo.–Fr. (außer Mi.): 13:30–16 Uhr).
Seit mehr als 25 Jahren bietet das PVZ Embryonaltoxikologie eine persönliche und ausführliche Beratung zum Thema Arzneimittelsicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit in allen wesentlichen Indikationsgebieten.



Literatur
1. Schaefer C (2007) Off-label-Use von Medikamenten in der Schwangerschaft. Der Frauenarzt 48:20-25
2. Kleinwechter H, Schäfer-Graf U, Bührer C, Hösli I, Kainer F, Kautzky-Willer A, Pawlowski B, Schunck K, Somville T, Sorger M (2014) Diabetes und Schwangerschaft. Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Diabetologie und Stoffwechsel 9: S214-220
3. Kleinwechter H, Schäfer-Graf U, Bührer C, Hoesli I, Kainer F, Kautzky-Willer A, Pawlowski B, Schunck K, Somville T, Sorger M (2014) Gestationsdiabetes mellitus (GDM) – Diagnostik, Therapie u. Nachsorge. Praxisleitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Diabetologie und Stoffwechsel 9: S202-213
4. Kleinwechter H, Bührer C, Hunger-Battefeld W, Kainer F, KautzkyWiller A, Pawlowski B, Reiher H, Schäfer-Graf U, Sorger M (2014) S3-Leitlinie 057/023: Diabetes und Schwangerschaft. Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
5. Kleinwechter H, Schäfer-Graf U, Bührer C, Hoesli I, Kainer F, Kautzky-Willer A, Pawlowski B, Schunck K, Somville T, Sorger M (2011) Gestationsdiabetes mellitus (GDM). Evidenzbasierte Leitlinie zu Diagnostik, Therapie u. Nachsorge der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
6. Schaefer C, Spielmann H, Vetter K, Weber-Schöndorfer C (2012) Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit. 8. Aufl., Urban & Fischer/Elsevier, München
7. Kelley K, Carroll D, Meyer A (2015) A review of current treatment strategies for gestational diabetes mellitus. Drugs Context. 4:212282
8. Balsells M, García-Patterson A, Solà I, Roqué M, Gich I, Corcoy R (2015) Glibenclamide, metformin, and insulin for the treatment of gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. BMJ. 350:h102
9. Oppermann M, Padberg S, Kayser A, Weber-Schoendorfer C, Schaefer C (2013) Angiotensin-II receptor 1 antagonist fetopathy-risk assessment, critical time period and vena cava thrombosis as a possible new feature. Br. J. Clin. Pharmacol. 75:822-30

Prof. Dr. rer. nat. Stephan Scherneck

Juniorprofessor für Klinische Pharmazie
Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Klinische Pharmazie
Technische Universität Braunschweig
38106 Braunschweig

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (17) Seite 25-28