Schwangere Diabetikerin oder gesunde, werdende Mutter, die plötzlich höhere Blutzuckerspiegel zeigt? Beim Thema "Diabetes und Schwangerschaft" muss man immer unterscheiden: Liegt eine Schwangerschaft vor, die bei einem Diabetes – in der Regel Typ-1-Diabetes – auftritt, oder ein Gestationsdiabetes, bei dem die gestörte Stoffwechselsituation durch eine Schwangerschaft erstmals einen Diabetes hervorruft?

Nestor der deutschen Diabetologie
Wer kennt ihn nicht? Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert ist seit über 50 Jahren auf dem Gebiet der Diabetologie aktiv. Auch heute noch hält der ehemalige Chefarzt der Medizinischen Klinik des Krankenhauses München-Schwabing Vorträge und leistet Aufklärungsarbeit. Prof. Mehnert möchte Diabetesforschung so vermitteln, dass sie auch für niedergelassene Allgemeinärzt:innen umsetzbar ist. In diesem Sinne sind auch "Mehnerts Diabetes-Tipps" verfasst, die als Serie in doctors|today erscheinen und hoffentlich dazu beitragen, dass Sie Ihre Diabetes-Patient:innen besser betreuen können.

In Deutschland hat jede hundertste Schwangere einen manifesten Diabetes – im Jahre 2014 waren es 6.400 von fast 700.000 Frauen. Wichtig ist, dass Frauen im gebärfähigen Alter über die möglichen Risiken einer Schwangerschaft aufgeklärt werden. Frauen mit Kinderwunsch sollten hier Informationen erhalten, wie sie mit gesundem Lebensstil und guter Stoffwechselführung das Fehlbildungsrisiko bei den Kindern reduzieren können. Nach K. Fuhrmann gilt, dass Frauen mit Typ-1-Diabetes, die gut eingestellt schwanger wurden, ein deutlich geringeres Risiko haben, Kinder mit Fehlbildungen zur Welt zu bringen.

Immerhin lässt sich auch durch eine optimale Diabetestherapie während der Schwangerschaft das Risiko für vaskuläre Schäden vermeiden. Der HbA1c-Wert sollte zu Schwangerschaftsbeginn normal sein, besser noch vor der Konzeption. Hypoglykämien sind zu reduzieren, wobei Unterzuckerungen allerdings nicht selten den Preis für die gewünschte scharfe Stoffwechseleinstellung darstellen. Die größere Gefahr besteht aber zweifellos in Hyperglykämien, vor allem bei gleichzeitiger Ketoazidose. Für die Therapie gilt: Humaninsuline sind die Medikamente der ersten Wahl, aber auch Insulinanaloga können beibehalten werden. Orale Antidiabetika sind in jedem Fall zu vermeiden. Daneben ist vor allem das Augenmerk auf die Therapie des Bluthochdrucks zu richten. Hier ist Alpha-Methyldopa als Antihypertonikum die orale Behandlung der Wahl.

Das Präeklampsierisiko lässt sich durch eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) vermindern. Bei fortgeschrittener Nephropathie sollte man von einer Schwangerschaft eher abraten, auch wenn immer wieder gezeigt wurde, dass Nierenpatientinnen komplikationsfrei gesunde Kinder zur Welt bringen. In erster Linie gilt es, schwere Hypoglykämien und natürlich auch Hyperglykämien zu vermeiden. Die selbst bei strengstem therapeutischem Bemühen nicht ganz vermeidbaren mütterlichen Unterzuckerungen bedingen beim Fötus ein vermehrtes Wachstum und eine verstärkte Bildung von Insulin-produzierenden Betazellen. Die Neugeborenen mit Hypoglykämien sind strikt zu behandeln, um die Hirnfunktion in der gewünschten Weise aufrechtzuerhalten. Selbst vergleichsweise milde Hypoglykämien können nachteilige Folgen haben. Die Ernährung sollte vorwiegend kohlenhydratreiche Kost beinhalten. Insgesamt kann man sagen, dass die Fortschritte im Hinblick auf eine Schwangerschaft mit Diabetes erheblich sind. Während in den 1950er- und -60er Jahren noch 25 bis 30 % der Kinder diabetischer Mütter vor, während oder nach der Entbindung verstarben, ist dieser Prozentsatz jetzt auf 2 bis 4 % zurückgegangen.

Gestationsdiabetes

Wie sieht es nun mit dem Gestationsdiabetes aus? Hier handelt es sich um eine nicht zu unterschätzende Schwangerschaftskomplikation mit Nachteilen für Mutter und Kind. Mit über 30.000 Fällen im Jahr 2014 in Deutschland ist der Gestations-
diabetes als eine der häufigsten Schwangerschaftskomplikationen anzusehen. Wichtig ist zu wissen, dass bei Gestationsdiabetikerinnen ein gesteigertes Präeklampsierisiko vorliegt, das durch Hypertonie und Proteinurie gekennzeichnet ist. Dies erhöht natürlich die Gefahr für eine Früh- oder Mangelgeburt. Bei den Kindern mit vermehrter Zuckerzufuhr über die Nabelschnur wird ein Hyperinsulinismus und dadurch ein Wachstumsschub ausgelöst. Dies ist nicht unbedenklich, da Kinder mit Makrosomie bei vaginaler Geburt eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Schulterdystokie haben. Wie bei Typ-1-Diabetikerinnen mit Schwangerschaft neigen auch die Kinder von Gestationsdiabetikerinnen nach der Geburt zu Hypoglykämien.

In Deutschland werden alle Schwangeren in der Frühgravidität auf einen Gestationsdiabetes untersucht. Dies gilt insbesondere bei erhöhten Risiken, wie bei älteren Schwangeren über 30 Jahre und einer höheren präkonzeptionellen Glykämie. Auch auf das polyzystische Ovarialsyndrom ist hinzuweisen, das man in der Regel sonografisch und durch das Auftreten eines Hirsutismus feststellen kann. Die Glukosebelastungsprobe, die bei allen Schwangeren in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche zu empfehlen ist, sollte nach unserem Erachten mit 75 Gramm Glukose durchgeführt und nicht erst der Umweg über 50 Gramm Glukose gewählt werden.

Nach der Diagnose des Gestationsdiabetes ist die Patientin im positiven Fall dazu anzuhalten, Blutzuckerselbstkontrollen vorzunehmen. Zudem sollte unbedingt eine Ernährungsberatung stattfinden. Auch Bewegung ist zu empfehlen, wie etwa mehrere halbstündige Spaziergänge pro Woche. Das Körpergewicht der Schwangeren sollte man ebenfalls regelmäßig kontrollieren, um starke, übermäßige Gewichtszunahmen zu vermeiden.



Autor

© Kirchheim
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (7) Seite 54-55