Der Paradigmenwechsel in der Behandlung des Typ-2-Diabetes war ein wichtiges Thema bei der Online-Pressekonferenz im Vorfeld des diesjährigen virtuellen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Danach sollten die metabolischen Begleiterkrankungen von Anfang an gleichberechtigtes Ziel der Therapie sein.

Bei der Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes, die häufig gleichzeitig an einem metabolischen Syndrom leiden, zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Der therapeutische Fokus liegt nun von Anfang an auch auf der Behandlung der Begleiterkrankungen und nicht nur auf der Einstellung des Blutzuckerspiegels. Langzeitschäden und Sterblichkeit konnten in Studien so drastisch reduziert werden [1–12]. Möglich wird dies durch eine mehrgleisige Therapie, die auch den frühen Einsatz von sogenannten SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten beinhaltet. Oft tritt Typ-2-Diabetes im Rahmen eines sogenannten metabolischen Syndroms auf. Dann leiden die Patient:innen auch an Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Gerinnungsstörung und niederschwelliger Entzündung. "Das ist eine toxische Kombination", sagt Univ.-Professor Dr. med. Jochen Seufert, Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Freiburg, "denn sie bildet die Grundlage für schwerwiegende Folgeerkrankungen."

Therapieziel: Langzeitschäden verhindern

Zu den Langzeitschäden des Typ-2-Diabetes gehören etwa kardiovaskuläre und mikrovaskuläre Komplikationen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen, aber auch Niereninsuffizienz, Erblindung, Nervenschädigungen und das diabetische Fußsyndrom. Aufgrund dieser Komplikationen erhöht sich die Sterblichkeit der Betroffenen deutlich. "Das therapeutische Ziel in der Behandlung muss deshalb auf die Verhinderung von Langzeitschäden dieses Syndroms ausgerichtet sein. Und das bedeutet Therapie ein ganzes Leben lang", so Seufert, der dieses Jahr Präsident des DGE-Kongresses ist.

Metabolisches Syndrom von Anfang an mitbehandeln

Bei dieser sogenannten "multifaktoriellen Therapie" werden Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und Typ-2-Diabetes gleichzeitig behandelt. "Dies kann heute durch den sinnvollen Einsatz von neuen Medikamenten gelingen", sagt Seufert. Für die Behandlung des Typ-2-Diabetes habe sich in Studiendaten aus den letzten Jahren gezeigt, dass gerade neuere antidiabetisch wirksame Medikamente wie SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur Verbesserung des Stoffwechsels, sondern auch zur Gewichtsreduktion und zur Blutdruckreduktion leisten können. Dazu gehöre auch das Verhindern von Langzeitschäden und Folgekomplikationen sowie die Reduktion der Sterblichkeit.

SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten sind Gamechanger

Die Substanzklasse der SGLT2-Inhibitoren – mit den Vertretern Dapagliflozin, Empagliflozin, Canagliflozin, Sotagliflozin und Ertugliflozin – sind Antidiabetika zur oralen Einnahme. Über die Hemmung eines Natrium/Glukose-Cotransporters an der Niere führen sie zu einer vermehrten Ausscheidung von Glukose, jedoch ohne die Gefahr einer Unterzuckerung. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel schonend gesenkt, die Adipositas geht zurück und der Blutdruck fällt. "Die Studienergebnisse haben darüber hinaus auch einen echten Schutz vor Langzeitschäden an Herz und Niere, im Sinne eines Langzeit-Organschutzes, gezeigt", so der Diabetologe undEndokrinologe [1 – 3].

Auch für die Medikamentengruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten mit den Vertretern Exenatid, Lixisenatid, Liraglutid, Semaglutid, Dulaglutid, Albiglutid und Efpeglenatid sind in den letzten Jahren überzeugende Studiendaten zur Reduktion von Langzeitschäden bei Typ-2-Diabetes und beim metabolischen Syndrom vorgelegt worden [4 – 12]. Diese Medikamente imitieren die Wirkung des körpereigenen Inkretins und Darmhormons Glukagon-like Peptide 1 (GLP-1). Sie führen zu einem ausgeprägten Rückgang von Übergewicht und Adipositas bei gleichzeitiger positiver Wirkung auf Blutzucker und Blutdruck. "Der Blutzucker-senkende Effekt ist hierbei durchaus mit Insulin zu vergleichen. Entsprechend empfehlen die nationalen und internationalen Leitlinien, GLP-1-Rezeptoragonisten vor dem Einsatz von Insulin zu erwägen", ergänzt Seufert. Studien konnten darüber hinaus belegen, dass die Substanzgruppe das Risiko für Langzeitschäden durch das metabolische Syndrom reduzieren kann. Besonders der Rückgang von Herzinfarkten und Schlaganfällen war ausgeprägt.

HbA1c ist nicht mehr der einzige Zielparameter der Behandlung

"Wir beobachten einen Paradigmenwechsel – statt der vorwiegenden Fokussierung auf den Zielparameter HbA1c, der den langfristigen durchschnittlichen Zuckergehalt im Blut angibt, rückt eine Behandlungsstrategie in den Vordergrund, die auch die Begleiterkrankungen in den Blick nimmt", fasst DGE-Mediensprecher Professor Dr. med. Stephan Petersenn aus Hamburg zusammen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)

Wichtig für die Sprechstunde
  • Die kardiovaskulären und mikrovaskulären Langzeitschäden des Typ-2-Diabetes erhöhen die Sterblichkeit der Betroffenen deutlich.
  • Bei der sogenannten "multifaktoriellen Therapie" werden Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und Typ-2-Diabetes gleichzeitig behandelt.
  • SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten leisten einen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung von Langzeitschäden.


Literatur:
(1) Zinman B et al. N Engl J Med 2015;373(22):2117-28
(2) Wanner C et al. N Engl J Med 2016; 375:323-334
(3) Neal B et al. N Engl J Med 2017; 377:644-657
(4) Wiviott S et al. N Engl J Med 2019;380:347-57
(5) Pfeffer M et al. N Engl J Med. 2015; 373(23), 2247-2257
(6) Holman R et al. N Engl J Med 2017; 377:1228-1239
(7) Marso SP et al. N Engl J Med. 2016;375(4):311-22.
(8) Mann JFE et al. N Engl J Med. 2017 Aug 31;377(9):839-84
(9) Marso SP er al. N Engl J Med 2017; 376:890-892
(10) Husain M et al. N Engl J Med. 2019; DOI: 10.1056/NEJMoa1901118.
(11) Hernandez A et al. Lancet 2018; 392:1519–1529
(12) Gerstein HC et al. Lancet 2019; 394:121-130


Autor:innen
Redaktion



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (5) Seite 40-41