Wenn es um Funktionsstörungen der Schilddrüse geht, gilt es, die individuelle Lebensphase zu berücksichtigen. So unterscheiden sich beispielsweise die TSH-Referenzbereiche und die Häufigkeit, mit der bestimmte Störungen auftreten. Prof. Dr. med. Onno Janßen, endokrinologikum Hamburg, erklärte beim FOMF-Refresher Innere Medizin in Hamburg, worauf Hausärzt:innen achten sollten.

1. Lebensphase: Kinderwunsch und Schwangerschaft

In dieser Phase gibt es zwei Probleme, so Prof. Janßen. Zum einen besteht ein Mehrbedarf an Jodid von 250 μg/Tag, weil ab der 14. Schwangerschaftswoche auch die fetale Schilddrüse mit Jod versorgt werden muss und weil durch die Gewichtszunahme der Jodbedarf steigt. Dieser Bedarf wird in Deutschland nicht gedeckt, wir haben hier lediglich eine Versorgung von 130 bis 150 μg Jod/Tag. Es fehlen also etwa 100 bis 150 μg, die substituiert werden sollten. Dies ist auch gut möglich mit den gängigen, auch im Reformhaus erhältlichen Substitutionspräparaten für Schwangere mit Folsäure etc. Die einzige Kontraindikation für eine Jodgabe während der Schwangerschaft ist eine manifeste Hyperthyreose mit massiver Erhöhung von fT3/fT4.

Zum anderen gibt es einen Mehrbedarf an L-Thyroxin von etwa einem Drittel. Für gesunde Frauen ist das nicht relevant und reguliert sich von alleine. Hatte die Schwangere aber z. B. vorher einen Hashimoto, wurde operiert oder hat eine Radiojodtherapie erhalten, erhöht sich die Schilddrüsenhormon-Substitution von den üblichen 75 μg/Tag auf 100 μg/Tag.

Laut der DEGS-Studie herrscht in Deutschland nach wie vor ein Jodmangel, der am ausgeprägtesten ist bei Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, also im gebärfähigen Alter. Für sich alleine ist dieser Jodmangel aber so mild, dass man nicht individuell substituieren muss. Die Jodierung des Speisesalzes ist ausreichend. Das ändert sich aber in der Schwangerschaft. In einer englischen Studie aus dem Jahr 2013 an schwangeren Frauen zeigte sich, dass die Kinder bei einer adäquaten Jodversorgung während der Schwangerschaft später einen besseren Sprach-IQ, besseren Gesamt-IQ, bessere Lesegenauigkeit und besseres Leseverständnis aufwiesen. Durch eine Optimierung der Jodversorgung in der Schwangerschaft lässt sich mehreren Studien zufolge ein Zuwachs von 3 bis 5 IQ-Punkten beim Kind erreichen, so Janßen.

Der Referenzbereich für TSH hat in der Schwangerschaft niedrigere Obergrenzen. Für das Erwachsenenalter liegt er zwischen 0,4 und 4,0 mIU/l. In der Schwangerschaft gelten dagegen für das 1. Trimester 2,5, für das zweite Trimester 3,0 und für das dritte Trimester 3,5 mIU/l als Obergrenzen (vgl. Tabelle). Das liegt daran, dass vor allem während der Frühschwangerschaft von der Plazenta HCG gebildet wird. HCG bindet an den TSH-Rezeptor, was zur Folge hat, dass mehr Schilddrüsenhormon produziert wird, was wiederum die TSH-Produktion drosselt. Eine TSH-Untergrenze gibt es in der Schwangerschaft nicht, so Prof. Janßen.

Eine Studie hat gezeigt, dass in der Gruppe der Schwangeren mit einem TSH zwischen 4,3 und 6,5 mIU/l das Risiko für Abort (+ 15 %), Totgeburt (+ 58 %) und Frühgeburt (+ 20 %) im Vergleich zu Frauen mit einem TSH unter 2,5 mIU/l anstieg. Bei einem Wert zwischen 2,5 und 4,3 mIU/l war das Risiko leicht erhöht. Man sollte also möglichst dafür sorgen, dass der TSH-Wert während der Schwangerschaft unter 2,5 mIU/l bleibt, so Prof. Janßen.

2. Lebensphase: Kinder und Jugendliche

Kinder haben höhere TSH-Grenzbereiche (bei der Geburt: bis 20, im 4. Lebensjahr: bis 8 mIU/l, im 10. Lebensjahr: bis ca. 5 mIU/l). Die TSH-Werte, die gemessen werden, sind außerdem nicht für sich allein stehend pathologisch. Wichtig zu wissen: Ein normaler TSH-Wert braucht nicht kontrolliert zu werden. Gemäß einer Studie erhält man in ca. 97% der Fälle bei der Kontrolle wieder einen normalen Wert. Bei einem niedrigen TSH-Wert erhält man bei der Kontrolle nach drei Monaten immerhin noch in 79% der Fälle einen Normwert. Für diesen Fall gilt: Ohne eine entsprechende klassische Klinik sollte man also nicht sofort auf den ersten gemessenen TSH-Wert reagieren. Auch bei einem erhöhten TSH-Wert zwischen 5,5 und unter 10 mIU/l erweist sich die Kontrolle in drei Viertel der Fälle als normal, bei einem Wert über 10 mIU/l aber nur in 40%. Nur in diesen Fällen sollte man eine Hypothyreose sofort abklären und ggf. behandeln.

Eine häufige Frage von Müttern übergewichtiger Kinder lautet: "Das liegt doch bestimmt an der Schilddrüse, kann man nicht mal Schilddrüsenhormone verordnen?" Es gibt natürlich übergewichtige Kinder mit Hashimoto, die substituiert werden sollten, so Prof. Janßen. Allerdings bewirkt eine Thyroxin-Substitution bei schilddrüsengesunden Kindern keinerlei Gewichtsabnahme, davon sollte man also unbedingt absehen.

3. Lebensphase: Erwachsene

Der Referenzbereich für TSH liegt bei Erwachsenen zwischen 0,4 und 4,2 mIU/l. Allgemein gilt: Das Screening wird mit TSH gemacht, der Bestätigungstest mit fT4/fT3. Bei Verdacht auf eine Unterfunktion genügt fT4, weil es keine isolierte T3-Hypothyreose gibt, eine isolierte T3-Hyperthyreose aber schon, nämlich beim M. Basedow. Dass man zum Screening TSH heranzieht, hat mit der Beziehung zwischen TSH und fT4 zu tun. Eine Verdoppelung des fT4 hat eine Abnahme des TSH um den Faktor 100 zur Folge (inverse exponentielle Abhängigkeit). Das heißt, dass der TSH-Wert als Kriterium zur Anzeige einer Schilddrüsenstörung sehr viel empfindlicher ist. Allerdings unterliegt der TSH-Spiegel einer zirkadianen Rhythmik. Die Werte sind in den frühen Morgenstunden am höchsten und am Nachmittag am niedrigsten, dies gilt es bei Kontrollmessungen zu berücksichtigen. Außerdem gibt es saisonale Schwankungen, im Sommer sind die TSH-Werte niedriger als im Winter. Und schließlich hat jeder seinen individuellen TSH-Bereich. Das heißt, dass die Einstellung der Schilddrüsenfunktion sich nicht nach dem TSH-Wert, sondern nach der Klinik richten sollte. Drei Fragen sollten Sie Patient:innen mit V.a. Schilddrüsenstörung stellen:

  1. Sind Sie müde oder nervös?
  2. Frieren Sie oder schwitzen Sie?
  3. Haben Sie zu- oder abgenommen?

Gibt beispielsweise eine Patientin an, mehr als sonst unter Müdigkeit zu leiden, leicht zu frieren und in den letzten beiden Jahren 3 kg zugenommen zu haben, wäre das verdächtig auf eine Hypothyreose. Wenn dann noch das TSH hoch ist, im Ultraschall Zeichen für eine AutoimmunthyreoiditisHashimoto (echoarme Binnenstruktur) bestehen, wäre dies eine Therapie-Indikation. Die übliche Substitutionsdosis bei Frauen beträgt 50 bis 100 μg L-Thyroxin pro Tag, bei Männern 75 bis 125 μg/Tag, sie wird aber individuell angepasst. In der Regel erfolgt die Substitution mit T4, nur im Ausnahmefall mit T3.

Der Morbus Basedow mit Hyperthyreose mit der Merseburger Trias endokrine Orbitopathie, Tachykardie und Struma wird thyreostatisch behandelt – standardmäßig mit Thiamazol oder Carbimazol, bei fehlender Wirksamkeit oder Unverträglichkeit mit Propylthiouracil (PTU) oder Perchlorat.

4. Lebensphase: Senioren ab 66

Schilddrüsenfunktionsstörungen sind mit zunehmendem Alter häufiger. Senioren haben einen höheren Referenzbereich. Das liegt daran, dass niedrige TSH-Werte häufiger mit unangenehmen Folgen einhergehen. So vervierfacht bereits eine latente Hyperthyreose das Risiko für Schenkelhals- und Wirbelsäulen-Frakturen. Bei Männern gibt es einen Zusammenhang zwischen niedrigen TSH-Werten und Herzrhythmusstörungen bzw. Vorhofflimmern. Etwas zu hohe TSH-Werte scheinen dagegen im Alter weniger problematisch zu sein. In einer Studie erbrachte eine Substitution bei Patienten mit TSH-Werten über 6 mIU/l jedenfalls keinerlei klinischen Benefit. Im Alter sollten daher TSH-Werte bis 10 mIU/l ohne Krankheitszeichen keine Konsequenzen nach sich ziehen.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft erfolgt eine leitliniengerechte Jodid- und Schilddrüsenhormonsubstitution, Ziel ist ein TSH < 2,5 mU/l (< 3/3,5).
  • Kinder haben andere TSH-Referenzwerte als Erwachsene.
  • Eine Hypothyreose wird mit L-Thyroxin substituiert: Ziel ist Wohlbefinden der Patient:innen und TSH im Referenzbereich. Nur im Ausnahmefall T3 oder Kombi.
  • Eine Hyperthyreose wird thyreostatisch behandelt. Cave: Osteoporose & VHF. Bei Rezidiv: Op. oder RJT.
  • Schilddrüsenfunktionsstörungen sind im Alter häufiger: Hyperthyreose aggraviert Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Höheres TSH verlängert Leben.



Autorin
Dr. Vera Seifert



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (11) Seite 43-45