Wir haben uns intensiv mit der Zukunft der Diabetesschulung beschäftigt: Das sind unsere Überlegungen und Lösungen. Mit der Diabetes Schulungs-Lounge möchten wir die Zukunft der Schulung sichern und proaktiv gestalten.

Die Diabetesschulung hat eine lange Tradition. Seit den ersten strukturierten Diabetes-Schulungsprogrammen der Düsseldorfer Gruppe um Prof. Michael Berger und Dr. Viktor Jörgens sind mittlerweile bereits mehr als 40 Jahre ins Land gezogen. Es macht daher Sinn, einmal eine Standortbestimmung der Diabetesschulung vorzunehmen und sich vorzustellen, wie die Diabetesschulung der Zukunft aussieht.

Aktueller Stand der Diabetesschulung

Aktuell haben wir in Deutschland sicher weltweit eine der besten Bedingungen für die Diabetesschulung. Die Schulung ist eine abrechenbare Leistung und wird (mit Einschränkungen) von den Krankenkassen finanziert, mehr als 15.000 ausgebildete Schulungskräfte (Diabetesberater:innen, Diabetesassistent:innen) und die Notwendigkeit, Seminare zu den einzelnen Schulungsprogrammen nachweisen zu müssen, sichern die Qualität der Schulung. Und mit mehr als 20 zertifizierten Schulungsprogrammen haben wir in Deutschland eine große Auswahl von unterschiedlich strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogrammen. Durch die DMP-Programme haben die eingeschriebenen Menschen mit Diabetes das Recht – aber auch die Pflicht –, an einer Diabetesschulung teilzunehmen. Man könnte meinen, alles ist gut, aber wo Licht ist, ist oft auch Schatten.

Aktuelle Probleme der Diabetesschulung

Schaut man sich die Realität der Schulung an, so ist nicht alles so rosig, wie es scheint. Stillschweigend haben die Krankenkassen beschlossen, die Diabetesschulung nur für Menschen mit Diabetes zu refinanzieren, die sich in DMP-Programmeeingeschrieben haben. Eigentlich ein Unding, denn jeder Mensch mit Diabetes sollte nach den Leitlinien das Recht auf eine Schulung haben – unabhängig von seiner Herkunft, Religion, Rasse … und auch der DMP-Einschreibung. Überhaupt sind die Krankenkassen nicht die Förderer der Diabetesschulung, da sie kaum Initiativen ergreifen, um die Diabetesschulung zu fördern, sondern eher durch Blockadeaktionen auffallen und eigene digitale Konkurrenzprogramme fördern. Ersichtlich ist diese Haltung bei der Nichtweiterleitung und Blockade von Schulungsprogrammen zu modernen Technologien (z.B. Flash, Spektrum) an das Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) oder einer sehr kritischen Haltung zur Videoschulung. Aber auch die Hausärzt:innen, die die Mehrzahl der Menschen mit Diabetes – vor allem mit Typ-2-Diabetes – betreuen, schulen immer weniger. Und immer weniger Diabetolog:innen nehmen eine Überweisung nur zur Schulung an, sondern möchten eine Überweisung von der Hausärzt:in, um auch für die Überprüfung und Anpassung der Therapie verantwortlich zu sein. Und so imposant die Zahlen zur Diabetesschulung in den DMP-Berichten auch sein mögen, so ist Vorsicht bei der Interpretation der Zahlen angebracht. Da ein Kreuz bei "Schulung verweigert" zum Ausschluss der Teilnehmer:in an dem DMP-Programmführen würde, wird oft eine andere Angabe gewählt, die sicherstellt, dass die Patient:in nicht aus den DMP-Programmenausgeschrieben wird. Die Zahlen der verkauften Verbrauchsmaterialien des Kirchheim-Verlages und des Deutschen Ärzteverlages sprechen eine ganz andere Sprache. Der fehlende Drive bei der Diabetesschulung zeigt sich auch an den Preisen für die Schulung. Diese sind gefühlt seit über 30 Jahren identisch – trotz Inflation, Lohnsteigerungen, gestiegener Praxiskosten, ständig erhöhter Papierpreise und technologischer Innovationen. Und anachronistisch ist auch die Tatsache, dass Schulungskräfte nur für die strukturierte Schulung vergütet werden und nicht für Tätigkeiten wie z. B. Qualitätsmanagement und Fußkontrollen. Die traditionelle Präsenzschulung wird zunehmend auch durch die Veränderung unserer Gesellschaft bedroht. Wenn es für fast alle Lebensbereiche digitale Angebote gibt, wäre es seltsam, wenn die Diabetesschulung davon ausgenommen bliebe.

Schon 2020 antworteten bei der Befragung für den Digitalisierungs- und Technologie-Report über 30 % aller befragten Menschen mit Diabetes, dass sie bei der Wahl zwischen einer Präsenzschulung und einer Videoschulung Letztere präferieren würden. Dies zeigt, dass sich auch die Schulung den Bedürfnissen und Wünschen von Menschen mit Diabetes anpassen muss. Denn nicht für alle Ewigkeit werden Menschen im Kreis sitzen und an einer Präsenzschulung teilnehmen. Auch die Diabetesschulung muss daher mit der Zeit gehen und sich diversifizieren: "One fits for all-Lösungen" passen nicht mehr in unsere Zeit, sondern unterschiedlichen Schulungsprogrammen in einem Mix aus analogen und digitalen Methoden, angepasst an die Lebenssituation, die Präferenzen, Ziele und Bedürfnisse von Menschen mit Diabetes, gehört die Zukunft.

Schulung 2030

Die Situation der Diabetesschulung ist symptomatisch für viele Bereiche unserer Gesellschaft. Angesichts einer vermeintlich komfortablen Situation nimmt der Veränderungsdruck ab und Innovationen unterbleiben. In der Wirtschaft nennt man die Analyse der Stärken und Schwächen, aktueller und zukünftiger Herausforderungen "Potenzialanalyse", die Optionen für die Zukunft "Zukunftsoptionsanalyse". Eine solche haben wir von FIDAM, als Anbieter von modernen Schulungsprogrammen, und der Kirchheim-Verlag, als führender Verlag für Diabetes-Schulungsprogramme, gemeinsam gemacht. In einem Brainstorming haben wir zusammen überlegt, wie die Schulung 2030 aussehen könnte (vgl. obige Abbildung). Einige der grundlegenden Schlussfolgerungen lauten:

  • Mix aus analogen und digitalen Schulungsformen.
  • Die Bedürfnisse, Ziele und Wünsche von Menschen mit Diabetes werden die zukünftige Schulungslandschaft prägen.
  • Eine zukünftige Schulung wird immer stärker diversifiziert werden – in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Bedürfnissen.
  • Es ist wichtig, die Integration von Schulung und Behandlung aufrechtzuerhalten. Dies erfordert strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramme. Die Arztpraxis ist und soll auch zukünftig der ideale Ort für die Diabetesschulung bleiben.
  • Die aktuelle Schulung wird den Bedürfnissen vieler Menschen mit Diabetes nicht gerecht. So erhalten viele Menschen mit Typ-2-Diabetes zu Beginn ihrer Erkrankung keine Schulung. Personen, die bereits mehrfach geschult wurden und trotzdem ihre Therapieziele nicht erreichen, brauchen andere Schulungsformen, ebenfalls Menschen mit Diabetes mit neuen Technologien wie z.B. CGM oder AID-Systemen.
  • Auch die analoge Schulung sollte in Zukunft digitale Komponenten erhalten. Es macht sicher Sinn, dass Schulungskräfte stets auf aktuelle Schulungsmaterialien zurückgreifen können und mit digitalen Möglichkeiten (z.B. Videos) die Schulung abwechslungsreich und modern halten.
  • In Zukunft sollte eine Videoschulung in der Praxis reibungslos möglich sein und alle technischen Voraussetzungen dafür gegeben sein (z. B. digital ausfüllbare Arbeitsblätter, eBooks).
  • Im Moment gibt es keinen zentralen Ort, an dem Schulungskräfte, Ärzt:innen und Kostenträger gesammelt alle Informationen zur Schulung vorfinden.
  • Ein Relaunch der Schulung sollte der Diabetesschulung wieder mehr Bedeutung geben und dazu führen, dass die Erfahrungen von Menschen mit Diabetes und Schulungskräften in die Weiterentwicklung der Schulung einfließen.

Unsere Lösung: die Diabetes Schulungs-Lounge

Am Ende dieser Überlegungen ging es um konkrete Lösungen. Wir haben uns entschieden, ein digitales Ökosystem für Schulungskräfte zu schaffen, welches versucht, möglichst viele dieser oben skizzierten Schlussfolgerungen umzusetzen. Die Schulungs-Loungehat das Ziel, die Schulung zu modernisieren und über eine Cloud stets den Zugriff auf aktuelle Schulungsmaterialien zu haben. So ist sichergestellt, dass Innovationen und Veränderungen in den Therapie- und Schulungsanforderungen sehr zeitnah auch in den Schulungsmaterialien umgesetzt werden. In der Schulungs-Lounge sollen sowohl die Voraussetzungen für eine analoge Schulung mit digitaler Unterstützung als auch einer digitalen Schulung gegeben sein. Sie soll auch der Ort sein, in dem alle Informationen zur Diabetesschulung gebündelt und stets aktuell vorzufinden sind – etwa zu allen Materialien, Abrechnungsbedingungen oder Coronabedingungen. Neben den Schulungsmaterialien sollen in der Schulungs-Lounge auch viele praktische Hilfestellungen für den Praxisalltag vorzufinden sein, wie z.B. Einladungsflyer, Videos oder Materialien für den Schulungsraum oder die Webseite der Praxis. Ein moderiertes Schulungsforum soll die Interaktion der Schulungskräfte fördern und die Möglichkeit bieten, hilfreiche Tipps und Tricks der Schulung auszutauschen.|

Neugierig geworden?

Dann schauen Sie doch einmal rein: www.diabetes-schulungs-lounge.de

Wichtig für die Sprechstunde
  • Eine optimale Diabetesschulung sollte aus einem Mix aus analogen und digitalen Tools bestehen.
  • Die Schulung sollte besser auf die Bedürfnisse der Menschen mit Diabetes zugeschnitten sein.
  • Alle Informationen sollten zentral gebündelt sein.



Autor

© zukunftsboard digitalisierung/Ludwig Niethammer
Prof. Dr. Bernhard Kulzer

Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM)
97980 Bad Mergentheim
Erstveröffentlichung: Diabetes-forum 9/22, S. 40



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 18-20