Immer noch wird der Doktortitel von vielen Patient:innen mit der Berufsbezeichnung gleichgesetzt. Im Praxisalltag gibt er jedoch keine Auskunft über Eignung eines Titelinhabers, was die ärztliche Tätigkeit anbelangt.

Ist er damit im beruflichen Alltag obsolet oder doch nicht? Wir haben bei Kolleg:innen aus der hausärztlichen Praxis nachgefragt.


Dr. Jennifer Demmerle, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Gemeinschaftspraxis mit einem weiteren Allgemeinarzt in Winnweiler (Rheinland-Pfalz)

Alles Schall und Rauch!?

"Laut Statistischem Bundesamt (DESTATIS) hatten 2020 in Deutschland rund 24% der Promovierenden ihren Doktortitel in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften anvisiert. Der akademische Grad nimmt also bei den Mediziner:innen nach wie vor einen hohen Stellenwert ein. Aber braucht man ihn wirklich? Bei dieser Frage scheiden sich wohl die Geister. Ich denke, es kommt ganz darauf an, welche berufliche Laufbahn man nach dem Medizinstudium einschlagen möchte. Wird eine Niederlassung angestrebt, ist ein Doktortitel relativ irrelevant.

Hier zählen andere Dinge wie Empathie, Sympathie und der persönliche Umgang mit den Patient:innen viel mehr, ob die Praxis gut besucht ist, als ein Titel. Aufseiten der Patient:innen wird meiner Erfahrung nach bei der Anrede sowieso in den seltensten Fällen unterschieden, ob der Herr oder die Frau Doktor wirklich eine/r ist.

Strebt man allerdings eine wissenschaftliche Karriere oder universitäre Laufbahn an oder möchte sich auf eine beliebte leitende Stelle bewerben, so ist ein Doktortitel sicherlich hilfreich bis gar notwendig. Hier wird nicht selten bereits in den Stellenbeschreibungen eine Promotion verlangt.

Auf eine interessante und für die Karrierelaufbahn absolut irrelevante Thematik bin ich bei meiner Recherche zum Thema Doktortitel gestoßen: Laut einer Studie von ElitePartner von 2011 macht ein Doktortitel (zumindest bei den Männern) sexy. Ob sich das wohl in den kommenden Jahren halten mag?

Am Ende muss unter diesen Überlegungen wohl jeder für sich selbst entscheiden, ob er/sie einen Doktortitel erwerben möchte oder nicht. Nicht für jede Mediziner:in ist er nötig, schadet aber auch nicht. Und wer weiß schon, wo das Leben und die Karriereleiter hinführen und für was man den akademischen Grad noch braucht?!"


Dr. Fritz Meyer, Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde; seit seinem Ruhestand ist er tageweise in einer hausärztlichen Praxis in Bayern tätig

Zwei Buchstaben machen keinen Arzt

"Das ist nicht schwer, die Welt ist klug, Doktoren gibt es grad genug!" Eugen Roth hat damit resümierend schon recht: Doktoren gibt es viele, aber ist dieser Titel noch zeitgemäß? Zumindest hat er Tradition, denn an deutschen Universitäten wird der Doktortitel seit dem 16. Jahrhundert verliehen. Er konkurriert mit zahlreichen anderen akademischen Abschlüssen (Bachelor, Master, Diplom, Magister, Lizenziat), die sich je nach Universität, Fakultät oder Bundesland erheblich in Voraussetzungen, Aufwand und beruflichen Optionen unterscheiden. Außerdem bringt die zunehmende Globalisierung Menschen mit den unterschiedlichsten Schul- und Studienabschlüssen beruflich und privat zusammen. In dieser akademisch-internationalen Gemengelage lässt sich kaum feststellen, welches Zertifikat besser oder höherwertiger ist.

Der Unterschied liegt im Weg, den die Titelträger :in in ihrer Ausbildung durchlaufen hat. Deshalb beantworte ich die eingangs aufgeworfene Frage mit einem entschlossenen "Jein". Einerseits gebe ich mein "Ja" zum Doktortitel, weil die alte Tradition des deutschen "Doktors" als universitäres Attribut und Rekrutierungsplattform für Student:innen mit wissenschaftlichem Potenzial erhalten werden sollte. Schon viele Student: innen hat die initial ungeliebte Recherchearbeit und das folgende Publizieren der Ergebnisse so inspiriert, dass der damit erreichte akademische Grad fast zur Nebensache und die Forschungsidee zum Lebensthema wurde.

Andererseits gilt mein "Nein" dem Doktortitel, weil der überhöhte Nimbus eines "Doktors" oder anderer Diplome aus der Zeit gefallen scheint. Stattdessen sollten aktuell ausgeübte Tätigkeiten, Verdienste und Leistungen —auch Lebensbilanzen — angemessen und fair bewertet werden. Der allein auf einen Titel fokussierte Blick in den Rückspiegel einer akademischen Ausbildung ist nämlich keine Garantie dafür, wie gut Vorgesetzte oder Arbeitnehmer:innen ihren Arbeitsplatz aktuell und in Zukunft ausfüllen können. Ein "Dr." bietet Patient:innen keine Gewähr, ob die Chirurg:in am Tisch souverän operiert oder sich meine Hausärzt:in konsequent weiterbildet. Ein blendend präsentierter Doktortitel bewahrt nicht vor Inkompetenz und Scharlatanerie. Davor schützen nur integre, verantwortungsvolle und empathische Persönlichkeiten, gewissenhaft absolvierte Facharztausbildungen sowie eine lebenslange Fort- und Weiterbildung. Doch dafür braucht es nicht unbedingt einen Doktorhut. Der allein macht noch keinen guten Arzt oder eine engagierte Ärztin, genauso wenig wie die Soutane einen Priester.

Doktortitel gibt es viele
Auch heute noch wird der Doktortitel im Alltag v. a. mit Ärzt:innen oder Jurist:innen in Verbindung gebracht. Dabei können Wissenschaftler:innen aller akademischen Disziplinen einen Doktortitel erlangen. Studienfachunabhängig belegt ein Doktortitel, dass seine Träger:in einen originellen Beitrag zur Wissenschaft geleistet hat (im Regelfall eine Promotion). "Dr. phil." ist z. B. der Doktortitel für sämtliche geisteswissenschaftlichen und philosophischen Fachrichtungen, teilweise auch für die Psychologie. In den Geisteswissenschaften ist auch der Begriff des Ph.D. (Philosophical Doctorate) geläufig: ein Doktorgrad, der auf der akademischen Skala mit dem deutschen "Dr. phil." verglichen werden kann und auch international gerne vergeben wird. Der Ph.D. ist eher forschungs- und projektbezogen, was beim geisteswissenschaftlichen Doktorat (Dr. phil.) in Deutschland nicht zwingend notwendig ist. Der Titel Dr. med. ist ein geschützter Titel in Deutschland, der im Ausland nicht existiert und auch nicht vergeben werden darf. Daher wird im Ausland oft der Ph.D als Promotion angeboten. Einen Überblick zum Thema findet man z. B. hier: www.academics.de/ratgeber/welche-doktortitel-gibt-es



Autorin
Sabine Mack

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 58-59