Seit mittlerweile neun Monaten ist die COVID-19-Pandemie das dominierende Thema in den Hausarztpraxen. Neun Monate, in denen die Hausärzt:innen an Konzepten gearbeitet haben, wie sie dem in diesem Herbst und Winter zu erwartenden Patientenansturm der "zweiten Welle" mit all den nötigen Sicherheitsvorkehrungen gerecht werden können. Wer den Platz zur Verfügung hat, konnte vielleicht die sicherste Variante ermöglichen: eine Infektionsambulanz außerhalb der Praxisräume, um infektiöse von nicht-infektiösen Patienten zu trennen. So geschehen bei Dr. Marcus Berg, Allgemeinarzt im rheinhessischen Nieder-Olm und Mitglied im hausärztlichen Beirat von doctors today. Wie er dieses Großprojekt angegangen ist und welche Vorteile eine Infektionsambulanz bietet, beschreibt er im Folgenden.

Corona-Viren, so auch SARS-CoV-2, zählen im weitesten Sinne zu den Erkältungsviren. Sie kommen gewöhnlich in der kalten Jahreszeit verstärkt vor und so war uns bereits im Mai klar, dass wir einen Anstieg der Fallzahlen ab Oktober erleben werden und dies auch bis zum nächsten Frühjahr anhalten wird. So verwundert es mich keineswegs, dass wir jetzt einen Anstieg der Fallzahlen haben, nicht nur durch einzelne Hotspots bedingt, sondern auch in der Fläche.

Während uns im März dieses Jahres die Zeit für eine effektive Vorbereitung fehlte, haben wir nun die Sommermonate zur Planung genutzt, um effektive Strukturen aufzubauen, die auch einen größeren Patientenandrang in der hausärztlichen Praxis zu bewältigen vermögen. Die konkrete Umsetzung hatten wir Anfang September abgeschlossen und so konnten wir bereits am 15. September unsere Infektionsambulanz neben der Hausarztpraxis in Betrieb nehmen.

In der Diskussion über die Versorgung von COVID-19-Patient:innen und solchen mit Erkrankungen der oberen Luftwege wird stetig übersehen, dass die Mehrzahl, nämlich weit über 90 %, eben nicht in den Krankenhäusern und Notaufnahmen, sondern vielmehr bei den Hausärzt:innen gesehen und behandelt werden muss. Ihnen kommt eine Schlüsselfunktion zu, welche gleichsam auch eine Schutzfunktion für das Krankenhaussystem darstellt, sodass möglichst nur die Patient:innen in die Notaufnahmen kommen, die ambulant nicht versorgt werden können. Das bedeutet damit auch, dass das absolute Gros der Patient:innen durch das hausärztliche System versorgt werden muss. Dieses Faktum war Motivation, eine Infektionsambulanz mit Schwerpunkt der ambulanten Versorgung von insbesondere Erkrankungen der oberen Luftwege zu schaffen und somit gezielte Versorgungsstrukturen zu etablieren, die für die Patient:innen klare Anlaufstellen bedeuten, unabhängig, ob Corona oder eine andere Infektion vorliegt.

Ziele: effektive Testung und Patiententrennung

Wie wir jetzt alle aus leidlicher Erfahrung wissen, lassen sich COVID-19-Erkrankte klinisch nicht von Patient:innen mit anderen Erkältungsviren – beispielhaft seien Rhino-, Influenza-, Paramyxo-Viren genannt – unterscheiden. Bei all diesen Viren finden wir ein allgemeines Krankheitsgefühl mit unterschiedlicher Ausprägung, trockenem wie auch produktivem Husten, rhinitischen Symptomen, Geruchs- und Geschmacksverlust und Fieber. Letztendlich können die COVID-19-Patient:innen nur durch konsequente Testung unterschieden werden. Um Infektionswege zu stoppen, ist also ein konsequentes Testen von Patient:innen mit einer entsprechenden Infektion der oberen Luftwege unabdingbar. Die bislang oft gelebte Teststrategie, Menschen ohne Symptome abzustreichen, verbraucht bei geringem Nutzen sehr viele Ressourcen. Ein weiteres Ziel stellt neben der konkreten Versorgung der Patient:innen mit akuten Atemwegsinfektionen, auch eine strikte Trennung zwischen chronisch Erkrankten und infektiösen Patient:innen dar. Im Frühjahr dieses Jahres hatten wir vielfach erlebt, dass sich Patient:innen mit chronischen Erkrankungen aus Angst vor Ansteckung allzu häufig nicht in die Arztpraxen trauten mit zum Teil erheblichen Folgen.

Unsere Lösung: Patiententrennung durch Containersystem

Wir haben ein von den Praxisräumen getrenntes Containersystem aufgebaut. Hierzu wurden mit einem Kran Versorgungscontainer in unseren Garten gehoben. Somit konnten wir für die Infektionspatient:innen einen getrennten Eingangsweg herstellen und haben dann ein Einbahnstraßensystem entwickelt. Dazu haben wir zwei Container in Reihe verbunden. Durch die Eingangstür gelangt man in den Wartebereich, dahinter ist das Behandlungszimmer angeschlossen. Hier erfolgt die Versorgung durch einen erfahrenen Arzt oder eine erfahrene Ärztin und eine Arzthelferin bzw. Medizinstudent:in. Damit die Patient:innen nicht noch einmal durchs Wartezimmer müssen, ist eine zusätzliche Ausgangstür im Behandlungszimmer angebracht, sodass es nicht zu Überschneidungen der Wege kommt. Der Arbeitsplatz der Arzthelferin ist durch eine zusätzliche Plexiglasscheibe geschützt. Die behandelnde Ärzt:in und die nichtärztliche Kollegin arbeiten in dem üblichen Vollschutz, jedoch haben wir uns bewusst gegen Overalls entschieden. Während man in vielen Krankenhäusern und auch Arztpraxen auf die recht dünnen Einweg-Infektionskittel gesetzt hat, haben wir uns für lange OP-Mäntel aus festem Stoff entschieden. Dies birgt für die Mitarbeiter:innen eine zusätzliche Sicherheit und reduziert drastisch den Müll. Nach Verwendung werden die OP-Kittel desinfiziert und in einer eigenen Waschmaschine bei 70° und Desinfektionswaschmittel gereinigt. Wie weit sich unser aktuelles Konzept dauerhaft bewährt, auch bei zunehmendem Patientenaufkommen, wird dann die Zukunft zeigen. Obgleich wir mittlerweile weit mehr als 100 Corona-positive Patient:innen behandelt haben, gab es erfreulicherweise bei unserem Personal bislang keine Infektionsfälle.

Wer sich eine solche Lösung vorstellen kann, benötigt etwa eine Planungszeit von 4 bis 6 Wochen. Die Kosten eines solchen Systems ergeben sich vor allem aus dem Aufwand, der für die Anlieferung und die Versorgung mit Strom und EDV betrieben werden muss. In unserem Fall mussten die Container mit einem Autokran über das Haus gehoben werden, sodass die Anlieferung und spätere Abholung mit 3.000 € zu Buche schlugen. Der Elektriker für die Stromanbindung und der Netzwerkadministrator rechnen gewöhnlich nach Aufwand ab. Die monatlichen Containermietpreise sind indes mit 185 €/Monat pro Container erträglich. Wir haben uns für einen regionalen Anbieter entschieden, da dieser bei Problemen flexibel helfen kann.

Herausforderung: Infektionssprechstunde in den Praxisräumen

Wahrscheinlich denken Sie nun, nicht jeder hat die Möglichkeit, ein solches Containersystem aufzubauen, weil die Umfeld-Struktur der Praxis ein solches Vorhaben nicht hergibt. Dann stellt sich die Frage, wie man eine Infektionssprechstunde in den bestehenden Praxisräumen durchführen kann. Mit dieser Herausforderung war auch unsere Praxis in der ersten Pandemie-Welle konfrontiert. Als erste Lösung hatten wir rein pragmatisch am Ende der Sprechstunde eine Infektionssprechstunde eingeführt. Hierbei ergeben sich aus unserer Erfahrung einige Probleme. Die reguläre Sprechstunde muss wirklich pünktlich enden, was nicht immer einfach ist. Vernachlässigt man dies, entstehen für die Chroniker, das Personal und auch für die akut Erkrankten kaum beherrschbare Gefahrenquellen. Eine Pufferzeit muss zudem eingeplant werden, damit sich das gesamte Praxisteam umstellen kann und muss. Das ist nicht nur eine Zeit, um Energie zu tanken. Während vorher nicht-infektiöse Patient:innen behandelt wurden, müssen nun sorgfältig alle Eigensicherungsmaßnahmen beachtet werden, trinken oder auf die Toilette gehen ist während der Infektionssprechstunde nicht gut möglich und das Personal, welches direkten Patientenkontakt hat, sollte reduziert werden. Ein zu abrupter Übergang ohne einen für jeden wahrnehmbaren Schnitt führt sonst allzu schnell zu Sicherheitslücken.

Wir hatten für diese festen Zeiten die Praxis nur für Infektionspatient:innen geöffnet und dies mit Warn- und Sperrschildern kenntlich gemacht, und doch haben sorglose Patient:innen darauf gedrängt, Rezepte abholen zu wollen. Die Mitarbeiter:innen in der Praxis haben wir in diesem Zeitraum auf ein absolutes Minimum reduziert. Die Ärzt:innen haben ihre Patient:innen selbst aufgerufen, die Dokumentation als auch das Ausdrucken von Rezepten oder Krankmeldungen wurde von einer Mitarbeiterin im Raum durchgeführt. Nach der Infektionssprechstunde erfolgten dann sehr umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen, was kosten- und personalintensiv ist. Legt man die Infektionssprechstunde, was einzig vernünftig ist, ans Ende der täglichen Routine, entsteht ein weiteres Problem: Da die Labore meistens bereits in den späten Vormittagsstunden Abstrichröhrchen und Blutproben abholen, müssen die Laborproben von einer Mitarbeiter:in der Praxis selbstständig ins Labor gebracht werden, auch dieser Vorgang ist sehr zeit- und kostenintensiv.

Ausblick auf den bevorstehenden Winter

So bleibt die Versorgung von Corona-Patient:innen und solchen mit Infektionen der oberen Atemwege in diesem Herbst/Winter eine besondere Herausforderung für die Hausarztpraxis. Alle hausärztlichen Praxen werden vor logistische Herausforderungen gestellt. Ist die Hausarztpraxis doch immer die erste Anlaufstelle, gerade für Infektionspatient:innen. Gleichzeitig muss die Versorgung der chronisch Erkrankten auf einem hohen Niveau weitergeführt werden, ohne diese zu gefährden.

Wir bleiben trotz aller Mühen zuversichtlich, dass wir auch diese Herausforderung durch unsere Erfahrung und pragmatisches Arbeiten bewerkstelligen können. So wünsche ich Ihnen am Ende den Mut, das Unmögliche zu denken, das Vertrauen in die Möglichkeit der Gestaltung und die Zuversicht, dass Sie die Anforderung bewältigen können – jeden Tag aufs Neue.


Autor:

Dr. med. Marcus Berg

Hausärztlicher Internist
55268 Nieder-Olm

Erschienen in: doctors|today, 2020; 1 (1) Seite 64-67