Der Druck auf Ungeimpfte wächst stetig, sich doch noch impfen zu lassen. Wie gehen die Kolleg:innen in der Hausarztpraxis damit um?

Wie geht man vor diesem Hintergrund mit Menschen um, die für sich eine Corona-Impfung weiterhin ausschließen? Wäre vielleicht eine Impfpflicht, wie sie in Frankreich für bestimmte Berufsgruppen eingeführt wurde, eine Lösung?


Dr. Marcel Schorrlepp, Mainz-Gonsenheim

Intensive Gespräche statt Impfpflicht

"Vom Beginn der Impfkampagne in den Hausarztpraxen im April 2021 bis zum Juni diesen Jahres haben wir das Thema der Impfmüden und Impfverweigerer:innen vernachlässigt. Die Listen waren mit den Namen der Impfwilligen übervoll. Nun kommen kaum noch Anfragen nach einem Impftermin. Fast alle haben schon zwei COVID-Impfungen, wenige bisher nur eine und selten begegne ich Patient:innen, die keine Impfung haben und diese auch nicht wollen.

Wenn es die Zeit irgendwie zulässt, frage ich nach den Gründen. Oft sind das diffuse Bedenken und Ängste, genährt durch bewusste Falschinformationen oder nur durch Andeutungen in den sozialen Medien. Mit sachlicher Information und mit der Tatsache, dass ich fest vom Nutzen und der Verträglichkeit der Impfung überzeugt bin, eröffne ich eine neue Sichtweise. Bei weiteren Fragen kann sich der oder die Betroffene gerne wieder an mich wenden und jederzeit einen Impftermin vereinbaren. Eine spontane Änderung der Einstellung darf ich nicht erwarten.

Eine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 zum Schutz der Gesundheit des Einzelnen und der Gemeinschaft kann ich aus medizinischer Sicht für alle nur befürworten, gleichwohl ich die politischen Einwände nachvollziehen kann. Mit der Impfung haben wir für diese Pandemie eine sehr wirksame medizinische Maßnahme zur Verfügung, die Krankheit und Tod im großen Stil verhindern kann. Was könnte besser sein?

Schwierig ist es mit Mitarbeiter:innen, die sich der COVID-Impfung verweigern. Eine Verpflichtung zur Impfung kann ich nicht aussprechen, ich würde aber intensiv das Gespräch suchen. Problematisch wäre die Praxisorganisation: In einer kleinen Hausarztpraxis sind die Arbeitsbereiche universell besetzt, ein infektiologisch unbedenklicher Arbeitsplatz nicht dauerhaft einrichtbar. Bei neuen Mitarbeiter:innen würde ich auf einen vollständigen Impfschutz achten. Glücklicherweise sind alle Mitarbeiter:innen unserer Praxis vollständig geimpft. Damit schützen wir uns selbst, uns als Team und unsere Patient:innen."



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Dr. Susanne Springborn, Wiesbaden

Die Medizin heißt auch hier Aufklärung, nicht Zwang

"Damit ist für uns im Team alles klar: die FFP-2-Maske auf, sobald ein anderer Mensch den Raum betritt. Egal ob geimpft oder nicht geimpft, ob Patient:in oder nicht. Denn nach Angaben des RKI schützt uns medizinische Fachkräfte die korrekt getragene FFP-2-Maske vor SARS-CoV-2 auch untereinander.

Trotzdem: Bei einer Aussage wie "Ich lasse mich nicht impfen!" schießen mir als Arbeitgeberin und Praxisinhaberin reflexartig Gesetze durchs Hirn, und ich checke in Gedanken die geltenden Vorschriften: Fürsorgepflicht, Infektionsschutzgesetz, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Wenn sich jemand in unserer Einrichtung infiziert, dann könnte das juristische Folgen haben. Es drohen Praxisschließung wegen Quarantänemaßnahmen und wirtschaftliche Probleme. Womöglich wäre auch noch die Gesundheitsversorgung vor Ort gefährdet. COVID-19 und Long-COVID möchte ich nicht in den Umlauf bringen, unser Praxisteam darf die Krankheitserreger keinesfalls weiterverbreiten.

Manchmal sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich Argumente der Impfgegner:innen höre. Doch ihr "Nein" zur Impfung akzeptiere ich als höchstpersönliche Entscheidung. Über mögliche Spätfolgen gibt es noch keine zuverlässigen Erkenntnisse. Und auch Geimpfte können ja selbst wieder infektiös werden. So geschehen in einem kleinen "Hot-Spot" nur 500 m von unserer Praxis entfernt. Um die Impfquote zu verbessern, könnte jemand auf die Idee kommen, Nichtgeimpfte ohne Lohnfortzahlung freizustellen. Das würde den Druck erhöhen, wäre aber zutiefst diskriminierend, auf jeden Fall unvereinbar mit dem "Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)". Für mich steht also fest: Zur Impfung gegen COVID-19 kann und darf ich niemanden zwingen. Daher gebe ich mein Bestes − und rede. Meine Medizin heißt Aufklärung statt Zwang. Und meistens wirkt sie. Nur beim "Oben-Ohne" im Team schalte ich auf stur. Denn FFP-2, das bedeutet für mich auch Fürsorgepflicht und effektiven Infektionsschutz."


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (9) Seite 58-61