Frage: Einige Menschen berichten nach dem Genuss von Wein über Kopfschmerzen, insbesondere bei vorbestehender Migräne. Ich wüsste gern: 1) Wie ist der genaue Pathomechanismus (unterschiedliche Genexpression für ADH1? Welche Rolle spielen Sulfite und gibt es hier eine "Schwellendosis")? 2) Gibt es Rebsorten mit geringem Risiko oder spielen auch divergente Herstellungsstufen beim Vergleich einer Rebsorte eine Rolle?

Antwort

Der Alkoholabbau findet in zwei Oxidationsschritten statt: Die Alkohol-Dehydrogenase (ADH) metabolisiert das Ethanol zunächst in Acetaldehyd (toxisches Zwischenprodukt), das dann von der Aldehyd-Dehydrogenase (ALDH) in Acetat (Essigsäure) und schließlich im Citratzyklus zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut wird. Von beiden Enzymen sind Polymorphismen bekannt, die die Abbaugeschwindigkeit des Ethanols entscheidend beeinflussen. So entstehen bei Individuen mit hoher ADH-Aktivität (ADH1B) aus Ethanol sehr schnell größere Mengen Acetaldehyd. Liegt gleichzeitig die inaktive ALDH-Variante vor (ALDH2), kommt es zum Acetaldehyd-Stau.

Die inaktive ALDH2-Variante kommt ausschließlich bei Asiaten vor (in 40 – 60 %) und ist die Ursache für Gesichtsröte und Herzrasen im Rahmen des Asian-Flush-Syndroms. In der Kombination ALDH2/ADH1B lösen bereits kleinste Alkoholmengen Hautrötung, erhöhten Blutdruck und Kopfschmerz aus. Da die inaktive ALDH-Variante bei Europäern gar nicht vorkommt und ADH1B* nur in 5 – 20 %, spielt der Genotyp im Zusammenhang mit dem Auftreten von Kopfschmerzen hierzulande keine Rolle.

Schwefel/Sulfite

"Schwefeln" bedeutet, dass dem Wein bzw. Most flüssiges SO2 oder festes Kaliumdisulfit zugefügt wird. In der gleichen Form wird es unter normalen physiologischen Bedingungen von Saccharomyces-Hefen bei der Gärung gebildet und liegt deshalb in allen Weinen in geringen Konzentrationen (bis zu 30 mg SO2/l) vor. "Schwefelfreien" Wein gibt es folglich gar nicht, nur welchen, dem kein SO2 zugeführt wurde.

Die Werte, die beim "In-Verkehr-Bringen" des Weines zum unmittelbaren Verbrauch nicht überschritten werden dürfen, liegen für die meisten Weine (je nach Restzuckergehalt) zwischen 160 und 260 mg/l). Die Einhaltung der Grenzwerte wird analytisch kontrolliert, so dass die heutigen Weine in der Regel deutlich unter den SO2-Höchstgrenzen liegen. Sulfite werden im Körper mit Hilfe von Sulfitoxidasen zu nicht reaktionsfähigem Sulfat oxidiert und als solches ausgeschieden. Bei einer Sulfit/Schwefeldioxid-Unverträglichkeit handelt es sich um eine nichtimmunologische Unverträglichkeit. Bei besonders empfindlichen Personen kann Sulfit eine pseudoallergische Unverträglichkeitsreaktion (sog. "Sulfit-Asthma") auslösen, zu der neben den asthmaähnlichen Erscheinungen auch die Migräne gehört. "Sulfit-Allergiker" (ca. 10 % der Asthmatiker) müssen auch bei moderatem Weingenuss Vorsicht walten lassen. Allerdings sollten diese Personen auch SO2-haltige Arznei- und Nahrungsmittel (Trockenfrüchte, bestimmte Kartoffel- und Süßwarenerzeugnisse) meiden. Die Sulfit-Schwellendosis liegt zwischen 20 und 50 mg. Lebensmittel mit einem Sulfitgehalt von < 10 mg Sulfit/kg sind in der Regel unbedenklich.

Biogene Amine, besonders Histamin

Im Zusammenhang mit der Migräne sind die biogenen Amine relevanter als das Sulfit. Insbesondere ist hier das Histamin zu nennen. Histamin entsteht wie alle biogenen Amine bei der Decarboxylierung von Aminosäuren – hier aus Histidin. Der Histamingehalt des Weins korreliert nicht mit der Traubensorte, sondern mit der Güte des Leseguts, der Art der Weinbereitung und den für den Säureabbau eingesetzten Bakterienstämmen. Wegen des vermehrten Einsatzes von Maischegärung und dem biologischen Säureabbau in der Rotweinherstellung haben Rotweine ein höheres Histaminpotential als Weißweine. Histamin wird durch das Enzym Diaminooxidase (DAO) aus Darm und Nieren abgebaut. Gründe für Histaminunverträglichkeit ist entweder die Überlastung oder der Mangel des Enzyms DAO. Letzteres ist unter dem Krankheitsbild der Histaminintoleranz bekannt und kann durch gezieltes Vermeiden der auslösenden Nahrungsmittel, möglicherweise auch durch die Gabe von DAO, therapiert werden.

Lipid-Transfer-Protein

Das einzig bekannte echte Allergen im Wein ist das sogenannte LTP (Lipid-Transfer-Protein). Es kommt vor allem in Kernobst (Kirsche, Pfirsich), aber auch in der Schale der Weintraube vor. Bedingt durch die Rotweinherstellung (Maischegärung, in der die Substanzen aus der Schale herausgelöst werden) findet man LTP vorwiegend im Rotwein. Die LTP-Allergie äußert sich weniger in Form von Migräne, sondern primär als Schwellung an Augen, Lippen und Zunge, Atemnot, Schluckbeschwerden und Kreislaufbeschwerden.



Autor

Prof. Dr. med. Kristian Rett

Endokrinologikum München
80333 München

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 48-49