Wie gehen die Hausärzt:innen in der Praxis mit Corona-Impfskeptiker:innen um? Versuchen sie zu überzeugen oder haben sie das als zwecklos erlebt? Welche Strategien waren schon erfolgreich? Wie oft werden sie mit solchen Einstellungen konfrontiert?


Julia Butz, Mainz-Gonsenheim

Lasst uns Wissenschaft sachlich-rational, aber auch menschlich vermitteln

In der Hausarztpraxis gab es in der Regel bisher keine Konflikte mit Impfgegner:innen − im Gegensatz zur Kinderarztpraxis, in der Entscheidungen für schutzbefohlene Minderjährige getroffen werden und die Grundimmunisierung erfolgt. Impfgegner:innen kommen dort häufig in die Praxis mit ihren jugendlichen Kindern, wenn diese in die USA zu einem Schulaufenthalt oder als Au-pair möchten und alle Impfungen nachholen müssen, denn sonst gibt es kein Visum. Dann sind alle Argumente gegen die Impfungen unwichtig und man soll die Grundimmunisierung am besten innerhalb von 24 Stunden nachholen. Bisher fragten Impfgegner:innen sonst nie nach einer Impfung oder lehnten diese sofort ab, suchten dabei aber keine große Plattform oder Aufmerksamkeit. Dies hat sich mit Beginn der COVID-19-Impfung grundsätzlich geändert. Seit einigen Monaten finden viele Stellvertreterkämpfe im Rahmen eines Glaubenskrieges um die Pandemie statt, die auch die Schutzfunktion beinhalten: von den Masken über den notwendigen Abstand bis hin zur eigentlichen Impfung.

Hier geht es nicht um Wissenschaft, sondern um Pseudo-Experten, Logik-Fehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinen-Pickerei, Verschwörungsmythen: PLURV, den Grundkurs der Desinformation.

Aufgrund der unwissenschaftlichen, glaubensbasierten Grundlage lassen sich durch rein wissenschaftliche Argumente solche Positionen nicht ändern. Das ist leider ein Diskurs, der immer mehr auch Einzug hält in die medizinische Versorgung, da zunehmend auch Kolleg:innen in diesem Glaubens- und Denkmodell leben.

Wir als Hausärzt:innen müssen uns auf die Verunsicherten und Unentschlossenen konzentrieren, die verwirrt sind von den vielen konträren Positionen und dem lauten emotionalen Aufmerksamkeitsstreben der Pseudowissenschaft. Gerade jetzt sollten wir Wissenschaft sachlich-rational, aber auch menschlich und verständlich vermitteln und damit die Distanz zur Wissenschaft reduzieren. Sie muss begreifbar und faszinierend werden, erst dann gewinnen wir mit Herz und Verstand die Menschen für die Impfung und können Perspektiven für ein Leben mit COVID-19 entwickeln. Vermutlich werden auch zukünftig viele Impfgegnern:innen ihre Position durch Sachzwänge ändern, ähnlich wie bei den Impfgegner:innen unter den Eltern, wenn die Kinder z. B. ins Ausland möchten.



Dr. Fritz Meyer, Oettingen

Der Blick in die Geschichte hilft weiter

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie war ich zusammen mit meinem Zwillingsbruder in einer land- und kleinstädtischen Gemeinschaftspraxis tätig, jetzt bin ich in Rente. Dennoch werde ich in der gegenwärtigen COVID-19-Situation von besorgten ehemaligen Patient:innen auf das Impfproblem angesprochen, sobald sie meiner habhaft werden können. "Die Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Verantwortung gegenüber der Zukunft geben fürs Leben die richtige Haltung": Dieses Bonhoeffer-Zitat habe ich schon zu Praxiszeiten immer sinngemäß benutzt, wenn impfkritische Patient:innen meine diesbezügliche Meinung wissen wollten. Ich habe und hatte immer eine ganz klare PRO-Position für notwendige Impfungen, denn ein Blick in die Medizinhistorie ist für mich Beweis genug. Man denke nur an den "Würgeengel der Kinder" (Diphtherie): Seit der Entwicklung des Diphtherieserums durch Emil von Behring ist diese Erkrankung zumindest in den Industrieländern Geschichte. Ohne Impfungen würden die Menschen noch heute an episodisch auftretenden Pocken erkranken. Weitere Beispiele gibt es genug.

Mit diesem Rückgriff in die Infektionsgeschichte konnte und kann ich auch jetzt noch kritischen Geistern verständlich machen, worum es bei Impfungen geht und wie sie individuell sowie im Kontext gesellschaftlicher Forderungen funktionieren. Eine undifferenzierte Ablehnung war und ist damit meist vom Tisch. Allerdings habe und hatte ich auch nie den Anspruch, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben. Oft zeigt sich nämlich, dass viele Patient:innen von einem alternativlos angebotenen schulmedizinischen Impfplan bzw. Impfangebot schlichtweg überfordert sind und rigide Strategien dann pauschal ablehnen.

Werden notwendige Impfungen aber im Rahmen einer individuellen und patientenbezogenen Analyse diskutiert, habe ich praktisch immer eine Impfzusage für die erforderlichen Impfungen bekommen, selbst von bekennenden Gegner:innen der Schulmedizin. Klar ist auch, dass von Patient:innen befürchtete Nebenwirkungen offen thematisiert werden müssen. Das kostet Zeit, ist aber essenziell.

Es ehrt mich sehr, dass vielen meiner ehemaligen Patient:innen auch heute noch meine persönliche Meinung und Empfehlung bezüglich der COVID-19-Impfung wichtig ist. Jahrelang gewachsenes persönliches Vertrauen scheint eben wichtiger zu sein als eine Flutwelle medialer Informationen.



Dr. Christian Schulze, Winterburg

Sind Impfgegner:innen skeptischer?

Ich denke NEIN! Bei jeder Frage, die eine Patient:in in die Hausarztpraxis mitbringt, schwingt zunächst auch Angst vor Krankheit und gleichzeitig die Sorge vor Nebenwirkungen mit. Beim Manipulieren am Atlas, was ich 10x am Tag mache, möchte keiner einen Schlaganfall bekommen, vom Betablocker keiner Erektionsstörungen, vom Antibiotikum keine Frau Scheidenpilz. Beim Blutabnehmen will keiner kollabieren − und tut es trotzdem. So ist der Alltag. Letztlich müssen die berechtigten Ängste und die gesunde Skepsis einer jeden Patient:in ernst genommen werden und es muss darauf eingegangen werden. Das gilt gleichermaßen auch beim Thema COVID-19-Impfungen. Die Impfstoffe, über die wir hier reden, sind unglaublich schnell entwickelt und zugelassen worden. Das erstaunt auch mich als Mediziner, aber die Datenlage ist eindeutig und es ist klar, dass ich das Impfen empfehle − und gleichzeitig die Menschen mit mundgerechten Laieninformationen versorge und ihnen einen Überblick über die verwirrende Lage verschaffe. Ich tue das durch aufklärende Videos in unserem Youtube-Praxiskanal genauso wie auf unseren Social-Media-Profilen bei Instagram und Facebook und verweise natürlich auch auf unsere Homepage, wo die tagesaktuellen Aufklärungs- und Einwilligungsbögen des RKI direkt verlinkt sind, sodass sie jeder lesen und einsehen kann. Die meisten Patient:innen bringen ihren Einwilligungsbogen dann bereits ausgefüllt zum Impftermin mit.

Hilfreich ist es an dieser Stelle, dass ich einen versierten, schlauen Fuchs gefunden habe, einen Medizinerkollegen aus Berlin, der auf vortreffliche Weise die Dinge auf den Punkt bringt, wie in der Abbildung links hier zu sehen. Mit solchen Infos kann man, glaube ich, sehr gut skeptischen Menschen entgegentreten und sie für das Thema dieser Impfkampagne begeistern. Ich kann mich mit der Methode zumindest nicht über fehlende Nachfrage beschweren. Noch dazu bin ich selbst zweimal gegen Corona mittels AstraZeneca geimpft. Auch aus dieser Erfahrung und Überzeugung heraus argumentiere ich sehr gerne gegenüber unseren Patient:innen. Wir wohnen auf dem Land und selbst bei der einheimischen Bevölkerung habe ich keinerlei Probleme bei der Akzeptanz der Impfungen erlebt. Auch bei den Vektorimpfstoffen, die ja letztlich im Falle von AstraZeneca vermutlich wegen des Brexit und aus anderen Gründen bei uns sehr schlecht durch die Presse getrieben wurden, bin ich der Meinung, dass die Wirkung, die man mit dieser Impfung erzielen will, erreicht wird. Wenn man ehrlich und geradlinig aufklärt, den Patient:innen überzeugend sowie mit den passenden Argumenten und Informationen gegenübertritt, dann sollte man sie problemlos mit ins Boot holen können. Ein Angebot zur Bescheinigung in Wirklichkeit nicht durchgeführter Impfungen − das ich in Höhe von einigen Tausend Euro bekommen habe − habe ich natürlich abgelehnt und auch hier versucht, mit Fakten zu überzeugen. In diesem konkreten Fall, damit dass die Impfung gerade für beruflich bedingte, internationale Reisen erforderlich und sinnvoll ist.

Es sind die normalen Herausforderungen im Alltag, die uns alle beschäftigen. Aber gut konzipiert sollte man sie meistern können, davon bin ich überzeugt!


Redaktion

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (6) Seite 62-64