Hausärzte werden immer wieder mit sehr speziellen rechtlichen Fragestellungen konfrontiert, wie in diesem Fall: Das Ulcus cruris (Unterschenkel links) einer älteren Patientin wird auf Wunsch des Sohnes von einer Wundexpertin begutachtet. Der Hausarzt war damit einverstanden. Die Expertin hat dann ohne sein Beisein oder Rücksprache und ohne dahingehend von dem behandelnden Hausarzt beauftragt worden zu sein, eine Blase neben dem Ulcus eröffnet und eine Kruste abgetragen. Darf sie das? Wie wäre die Haftung, wenn Folgeschäden auftreten würden?

Die Wundexpertin darf ohne ärztliche Anordnung die Blase neben dem Ulcus cruris nicht eröffnen und auch nicht die Kruste abtragen. Der Grund ist eindeutig: Die Kompetenz der Wundexpertin endet dort, wo die Heilkunde beginnt. Von Heilkunde spricht man dann, wenn eine Tätigkeit ärztliche bzw. medizinische Fachkenntnisse erfordert und die Behandlung – bei generalisierender und typisierender Betrachtung – gesundheitliche Schädigungen verursachen kann.

Diese Klarheit liegt erst einmal nicht auf der Hand. Der Begriff der "Wundexpertin" steht zweifellos für eine faktisch höhere Handlungskompetenz im Umgang mit der Wunde. Der zertifizierte Wundtherapeut (WTcert®) der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung (DGfW) lernt gem. dem Curriculum der DGfW die "sichere und angemessene […] Behandlung von Wunden". Zugleich wird dabei aber darauf hingewiesen, dass mit der Erlangung des Zertifikats zum Führen der Bezeichnung Wundtherapeut/WTcert® keine zusätzliche, über den Berufsabschluss hinausgehende Handlungskompetenz erworben wird. Diese rechtliche Sperre gilt für jeden Wundexperten.

Zur Haftung, wenn Folgen auftreten
Hier ist zu bedenken: Der Hausarzt war lediglich mit der "Begutachtung" der Wunde durch die Wundexpertin einverstanden, und das Begutachten selbst war noch keine heilkundliche Tätigkeit. Die begann dann mit dem Eröffnen der Blase, und dies erfolgte eigenmächtig durch die Wundexpertin. Dann beschränkt sich eine eventuelle Haftung im geschilderten Fall auf die Wundexpertin.

Die Wundexpertin darf als solche – trotz ihrer höheren De-facto-Kompetenz – keine Heilkunde betreiben. Die Wundbehandlung ist grundsätzlich Heilkunde; denn die Wunde ist schon per definitionem ein Fall einer Gesundheitsschädigung, Wunden sind ein "Substanzdefekt" und damit ein "krankhafter Zustand". Auch das Abtragen einer Kruste, das Debridement, ist Heilkunde.



Autor:

Dr. Rolf Jungbecker

Rechtsanwalt für Medizinrecht
79098 Freiburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (19) Seite 62-63